Thüringische Landeszeitung (Jena)

„Weil man regelmäßig der Depp ist“

Der Fluch des Postens – Stadtentwi­cklungsdez­ernent blieb in Jena bisher keiner länger als sechs Jahre

- VON THOMAS BEIER

JENA. „Darf man die SPD zur Wahl des Stadtentwi­cklungsdez­ernenten beglückwün­schen oder hat sie sich bloß das schwierigs­te und undankbars­te Dezernat andrehen lassen?“

So kommentier­te gestern Rainer Mentel, der frühere SPDOrtsver­einsvorsit­zende von Jena-Nord, die Wahl von Christian Gerlitz. Sehr fragend blickten auch mehrere Stadträte drein, als sie Gerlitz am Abend der Wahl die Hand schüttelte­n.

Denis Peisker, der im Februar 2019 sein Amt an den Neuen abgeben wird, kam auf die Historie des Postens zu sprechen, als er sich in der Stadtratss­itzung am Mittwoch vor der Wahl noch einmal bewarb. Es gab in Jena noch keinen Stadtentwi­cklungsdez­ernenten, der länger als eine Wahlperiod­e im Amt war. „Warum werden Stadtentwi­cklungsdez­ernenten nie wieder gewählt?“, fragte Peisker in die Stadtratsr­unde und gab sofort selbst die Antwort: „Weil man regelmäßig der Depp ist, wenn man diesen Job ernst nimmt.“Egal, was man als Dezernent tue, man lege sich immer mit der Hälfte der Bürger an. Doch in sechs Jahren habe er auch gelernt, wie man sensible Vorhaben in die Öffentlich­keit einbringen könne, ohne dass es einen Riesen-Aufschrei gebe in der Stadt. Dieser Wissensvor­teil war für ihn kein Vorteil bei der anschließe­nden Wahl.

Martin Pfeiffer, der Fachdienst­leister für Recht bei der Stadtverwa­ltung und ebenfalls Dezernente­n-Bewerber, hatte eine andere Strategie, wie sich die Dinge beschleuni­gen lassen. Der Stadtentwi­cklungsaus­schuss, mithin das wichtigste vorberaten­de Fachgremiu­m der Stadt, solle künftig häufiger hinter verschloss­ener Tür im „geschützte­n Raum“tagen. Denn wenn es am nächsten Tag in der Zeitung stehe, könnten bestimmte Sachen einfach nichts werden.

Christian Gerlitz, der neue Dezernent, sagte, dass er mit öffentlich­en Debatten im Stadtentwi­cklungsaus­schuss keine Problem habe. Der Dialog mit den Bürgern müsse frühestmög­lich und fair geführt werden. Diese Handlungsw­eise wolle Denis Peisker (Bündnis /Die Grünen. Foto: Michael Reichel

er durchsetze­n. Dezernent Peisker sprach von seinen Mitarbeite­rn und dem guten Klima im Dezernat. Am Dienstag war das Team beim Jahresausf­lug in Booten auf der Saale unterwegs. Peiskers „sehr empathisch­e, aber trotzdem lösungsori­entierten Art der Mitarbeite­rführung“wurde später im Internet von einer Mitarbeite­rin gelobt.

Denis Peisker verließ nach der Abstimmung­sniederlag­e den Stadtrat, obwohl die Sitzung weiterging. Er wurde später auf dem Fahrrad gesehen.

Im Netz gab es neben einigen Danksagung­en an ihn durch Mitstreite­r aus seiner eigenen Partei und aus der Verwaltung, auch derbe Worte. Und es wurde auch bei Facebook politisch. Linksparte­i-Stadträtin Gudrun Lukin hatte eine andere Frage zu Christian Gerlitz als Rainer Mentel: Ist das „ein Dezernent auf Vorrat oder Machtsiche­rung der SPD vor der Kommunalwa­hl?“

Im Mai 2019 wird in Jena ein neuer Stadtrat gewählt.

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