Thüringische Landeszeitung (Jena)
„Der Video-Assistent macht den Fußball gerechter“
SchiedsrichterChef Fröhlich freut sich über den Einsatz des neuen Hilfsmittels bei der Weltmeisterschaft. Trotzdem sieht er noch viel Verbesserungspotenzial
FRANKFURT/MAIN. Mit Korrekturen von Schiedsrichterfehlern kennt Lutz Michael Fröhlich sich bestens aus. Schon 2004 nahm er als Bundesliga-Schiedsrichter einen Platzverweis gegen Michael Ballack zurück, als die Bayern und sein Assistent auf dem Spielfeld intervenierten. Heute leitet der 60-Jährige das ehrgeizigste Schiedsrichter-Projekt des deutschen Fußballs: den Videobeweis. „Sagen Sie bitte Video-Assistent“, ermahnt Fröhlich im Interview, „da kommt am präzisesten die Assistenzrolle heraus: Er ist ein Assistent, der dem Schiedsrichter hilft.“
Herr Fröhlich, freuen Sie sich als Befürworter des Videobeweises, dass es auch bei der FußballWM VideoAssistenten gibt?
Lutz Michael Fröhlich: Ich bin da streng sachorientiert. Ich glaube, dass der Video-Assistent ein sehr hilfreiches Hilfsinstrument sein kann, um die krassen Fehlentscheidungen aus dem Fußball herauszubekommen. Ich freue mich, dass die Fifa Video-Assistenten bei der WM einsetzt und dass zwei Deutsche als Video-Assistenten dabei sind. So kommt der Input, den sie dort erhalten, auch zu uns in die Bundesliga.
Interessant, dass Sie Input bekommen wollen. Nach einem Jahr VAR in Deutschland sollten Sie der Fifa Input geben können.
Sicherlich profitiert die Fifa von den Erfahrungen, die wir in Deutschland gemacht haben. Das wurde sehr gewissenhaft ausgewertet.
Lief ja nicht alles glatt beim Videobeweis in Deutschland. Uns ist bewusst, dass es ein sehr aufregendes Jahr war. Aber auch, dass das Jahr nicht so schlecht lief, wie es nach einzelnen Situationen rübergekommen ist. Wir haben noch viel zu tun, ja. Aber wir sind doch ein gutes Stück vorangekommen.
Warum fiel die Wahl auf die Schiedsrichter Bastian Dankert und Felix Zwayer?
Alle Teams wurden seit November intensiv geschult. Am Ende hat die Fifa die zwei ausgesucht. Und wenn ich ihre Leistungen sehe, die sie als Video-Assistent bei uns gezeigt haben, rechtfertigt das ihre Nominierung. Es ist auch eine Bestätigung für unsere Arbeit.
Sind Sie zufrieden mit dem ersten Jahr Videobeweis? Zufrieden klingt immer nach „angekommen und ausruhen“, da sind wir doch noch ein Stück weit entfernt. Wir haben eine Wegstrecke zurückgelegt und uns weiterentwickelt. Aber wir sind noch nicht da, wo wir schlussendlich dauerhaft hin wollen. Der Video-Assistent ist nach wie vor ein sehr sensibles Thema.
Wie weit sind Sie denn?
Was an Entscheidungen beim Video-Assistenten herauskommt, ist gut. Aber die Prozesse sind noch optimierungsfähig. Sowohl was die Kommunikation im Schiedsrichterteam angeht, als auch die Transparenz, dass die Zuschauer im Stadion schneller im Bilde sind.
Die Klubs schimpfen trotzdem. Die Kommunikation mit den Klubs lief eigentlich ganz gut. Es macht aber einen Unterschied, ob man in aller Ruhe in einem Workshop miteinander redet oder direkt nach dem Spiel. Hat sich die Einführung des VideoAssistenten gelohnt? Ich denke schon. Die Vorteile und Chancen sind deutlich geworden. In der Rückrunde hatten wir nicht eine Intervention durch den Video-Assistenten, die zu einem falschen Ergebnis führte. Es gibt in einzelnen Fällen
Lutz Michael Fröhlich
vielleicht eine Intervention zu wenig oder zu viel, aber keine führte zum falschen Ergebnis.
In der Hinrunde waren es noch elf, die falsch waren. Richtig. In der Analyse sehen wir, dass wir insgesamt 64 richtige Korrekturen hatten: 37 in der Hinrunde, 27 in der Rückrunde. Dazu kommen diese elf Interventionen aus der Hinrunde, die auf dem falschen Gleis liefen. Zusammengefasst: Von 78 potenziellen Fehlentscheidungen wurden 64 korrigiert.
Das sind 82 Prozent. Sind Sie mit der Quote zufrieden? Fürs erste Jahr: ja. Wir mussten uns in der Anfangsphase ja massiv justieren. Zuletzt haben sich die Schiedsrichter wieder mutig und entscheidungsfreudig präsentiert und sich nicht zu viel mit Köln abgestimmt.
Trotzdem gibt es Diskussionen. Lohnt sich der Aufwand? Wenn wir bei den Korrekturen bei fifty-fifty landen würden, würde ich selbst sagen, dass wir noch mal darüber nachdenken müssten. Aber wir bewegen uns deutlich bei 80 Prozent und drüber. Mit steigender Tendenz. Es macht den Fußball an dieser Stelle gerechter.
„Sicherlich profitiert der Weltverband Fifa von den Erfahrungen, die wir in Deutschland gemacht haben.“
Beim DFLInnovationstag erklärte der Schiedsrichter in einem Test dem Publikum seine Korrektur.
Das wäre eine Variante. Eine andere, das über den vierten Offiziellen oder das Videocenter auf die Anzeigetafel zu kommunizieren. Wir wollen schauen, welche Impulse uns die WM diesbezüglich gibt und wie die Kommunikation dort läuft.