Thüringische Landeszeitung (Jena)
Kim Kardashian, die Retterin
Der TVStar hat sich bei Trump erfolgreich für die Begnadigung einer inhaftierten Drogenhändlerin eingesetzt
WASHINGTON. Alice Marie Johnson wäre sehr wahrscheinlich hinter Gittern gestorben, wenn nicht Ende Mai eine dunkelhaarige Frau, die in Amerika und darüber hinaus fast jeder kennt, auf zitrusgelben Stilettos ins Oval Office marschiert wäre, um Donald Trump mit sanfter Stimme beim präsidialem Mitleid zu packen. Zwei Wochen später hat sich die Welt für die 63-jährige Urgroßmutter aus Alabama, die bereits 22 Jahre wegen Geldwäsche und Drogenhandels im Gefängnis saß, total gedreht.
Nach der Begnadigung durch den Präsidenten und der prompten Freilassung zieht Johnson durch die amerikanischen Frühstücksfernsehshows und berichtet, wie sie bereits alle Hoffnungen aufgegeben hatte – bis Kim kam.
Kim Kardashian. Ihre Retterin. Nun ist die Sache die: Wenn der Name Kardashian fällt, teilt sich die Weltbevölkerung oft in zwei Lager auf. Das eine bewundert die Multifunktionsfrau, die als Instagram-Diva, Selfie-Königin, Model, Frau des SkandalRappers Kanye West, zweifache Mutter, Parfüm- und Lippenstift-Kreateurin und TV-RealityStar („Keeping up with the Kardashians“) rund um die Uhr die Medien bespielt. Das andere Lager hält die Selbstvermarkterin, die 60 Millionen Facebook-Anhänger hinter sich weiß, für eine Nervensäge. Auch darum erntete Kardashian nach der Visite im Weißen Haus Spott. Viel zu ernst sei das Thema Begnadigung, als dass man es einem Showsternchen überlassen dürfte, das nur auf einen „billigen PR-Stunt“erpicht sei, meckerten Kritiker in Internetforen und Leserbriefspalten.
Seit Johnson auf freiem Fuß ist und Trump weitere Begnadigungen in Aussicht gestellt hat, seit Kardashian angekündigt hat, „diese wichtige Aufgabe weiter zu verfolgen“, sind viele Kritiker verstummt. Langjährige Praktiker der Bürgerrechtsorganisation ACLU sind Kardashian dankbar: „Sie hat ihren Bekanntheitsgrad dazu genutzt, um den Scheinwerfer auf einen Skandal zu richten.“
Auch in den Medien herrscht seither ein anderer Ton. Stellvertretend für viele Kommentatoren warf sich „USA Today“sogar fast in den Staub. „Sie hat Zugang, sie hat eine Stimme und sie hat Einfluss. Hasst sie oder liebt sie – sie ist eine kraftvolle politische Aktivistin.“
Wie kam es dazu? Zum einen ist da ihre Familie: Kardashians Vater war der 2003 verstorbene Staranwalt Robert. Er verteidigte O. J. Simpson bei dessen spektakulärem Doppelmord-Prozess. Ihre Mutter ist Kris Jenner, die in zweiter Ehe mit dem Zehnkampf-Olympiasieger Bruce Jenner verheiratet war. Der lebt inzwischen als Frau und heißt Caitlyn. Kim Kardashians Geschwister Kourtney, Khloé, Rob, Kendall und Kylie spielen nicht nur in der familieneigenen TV-Show mit, sondern sind selbst Geschäftsleute und Internet-Stars. Kim Kardashian selbst markiert Oktober 2016 als ihre Zäsur, ihren „Weckruf“. Nachdem sie in einer Pariser Luxusresidenz Opfer eines bewaffneten Raubüberfalls wurde, so sagte sie gerade der „Los Angeles Times“, habe sie erkannt, dass „materielle Dinge“am Ende „rein gar nichts“bedeuten.
Einmal auf Sinnsuche, stieß sie im Internet auf den Fall Johnson, las sich ein, beauftragte ihren Anwalt und ließ ihre Drähte zu Trumps Tochter Ivanka und Schwiegersohn Jared Kushner spielen. Der Termin im Weißen Haus war der Schlusspunkt einer mehrmonatigen Aktion.
Bürgerrechtsorganisation dankt für ihre Hilfe