Thüringische Landeszeitung (Jena)
Staatspolitische Verantwortung
Gut vier Wochen ist das Land in zwei Lager geteilt: Die FußballWeltmeisterschaft zieht eine Art eisernen Vorhang durch die Bevölkerung. Auf der einen Seite die, die jedes Spiel oder zumindest das der deutschen Elf so laut bejubeln, dass die Nachbarn denken, sie wohnten neben einem Stadion. Auf der anderen Seite jene, die es nicht erwarten können, bis es vorbei ist, und insgeheim hoffen, dass das heimische Team in der Vorrunde rausfliegt, und der baldigen Abschlussfeier entgegensehnen.
Für WMHasser ist schon die Eröffnungsgala das höchste der Gefühle. Als sie dort am Donnerstag den extrovertierten britische Popstar Robbie Williams singen hörten, dürften sich manche irritiert die Augen gerieben haben.
Hatte dieser Williams nicht vor einiger Zeit den ebenso mit selbstdarstellerischen Talenten ausgestatteten Staatspräsidenten Wladimir Putin zur Weißglut getrieben, weil er sich über die ausschweifenden russischen Feiergewohnheiten lustig machte („Party Like a Russian“) und war im einstigen Zarenreich zur unerwünschten Person erklärt worden?
Doch irgendwie passt das ins Bild. Grenzen zwischen Hass und Liebe werden immer leichter überwunden. Ob aus Berechnung oder staatspolitischer Verantwortung spielt keine Rolle.
USPräsident Donald Trump trifft sich inzwischen doch auch mit Nordkoreas Diktator Kim JongUn . Vor wenigen Monaten haben sich beide noch beschimpft („Raketenmann“– „seniler Greis“). Jetzt könnte die Freundschaft der Erzfeinde kaum größer sein.
All das beweist: Fast alles ist möglich.
Nun wissen wir nicht, mit welchen Kosenamen sich christdemokratische und linke Landespolitiker in Thüringen überziehen. Aber die Gedanken sind ja bekanntlich frei, und unsere Fantasie kennt an dieser Stelle ausnahmsweise kaum Grenzen.
Was auch immer Mike Mohring und Susanne Hennig Wellsow, die sich beide in Sachen Ehrgeiz kaum voneinander unterscheiden dürften, in Wahrheit voneinander halten mögen: In dieser Woche sind sie einen wichtigen Schritt aufeinander zugegangen. CDU und Linke machen beim Verfassungsgericht gemeinsame Sache. Der Kandidat für das Präsidentenamt, Stefan Kaufmann, ist auf die übrigen Stimmen aus dem rotrotgrünen Regierungsbündnis gar nicht mehr angewiesen. CDU und Linke sind ohnehin die einzigen, die momentan eine wirklich Große Koalition bilden könnten. Wertekonservativ sind beide ebenfalls, irgendwie. Nur dass die Werte nicht (immer) ganz übereinstimmen.
Warum sollen die einzigen verbliebenen Volksparteien im Osten, die sich in der Vergangenheit lange genug wie Kalte Krieger belauerten, ab 2019 aus staatspolitischer Verantwortung nicht gemeinsam den Freistaat regieren? Eine stabile Mehrheit, um echte Reformen umzusetzen, wäre sicher.
Der heutige Ministerpräsident Bodo Ramelow würde mit diesem Coup endgültig in die Geschichte eingehen. Und für den kleinen GummiMarx mit Entenschnabel und dem „Kapital“unterm Arm, der neuerdings Ramelows Schreibtisch ziert, fände sich sicherlich auch im neuen Büro noch ein Plätzchen.
TLZLandeskorrespondent Elmar Otto erreichen Sie unter (0361) 555 05 38 oder per EMail unter e.otto@tlz.de