Thüringische Landeszeitung (Jena)
Über Abschiede
„Da seid ihr ja noch.“– „Na, klar!“sagt Jack. „Was dachtest du? Dass wir uns aus dem Staub machen, nur weil wir mal über Montevideo diskutiert haben?“– Die Jungs räkeln sich auf der Veranda des Saloons und schlürfen kalten Pfefferminztee. „Wie geht’s dir denn nach so langer Absenz?“will Dick wissen. „Ach, leidlich“, entgegne ich. „Was gibt‘s Neues?“
„Einiges“, gewährt Jack spröde Auskunft. Auf meinen fragenden Blick sagt er endlich: „Zum Beispiel den Abschied eines uns wohlvertrauten Theatermachers.“– „Ach?“fragt Dick. „Das ist ja wirklich neu. Wer denn? Etwa der staatlich anerkannte Steuerhinterzieher aus der Landeshauptstadt.“– „I wo“, beschwichtigt Jack. „Deshalb tritt doch kein Mensch mehr zurück. Da rufen die Fans in einer alten Kaufmannsstadt bloß: ,Willkommen im Club!‘“– „Na?! Und?“frage ich. „Spann‘ uns nicht auf die Folter!“– „Es ist“, sagt Jack, „unser alter und in seine Berner Heimat remigrierte Retter des seinerzeit hochlöblich gewesenen Nationaltheaters zu Weimar zurückgetreten.“Einen Moment sind wir sprachlos. Dick will es nicht fassen: „Der Tell von der Ilm? Tritt in Bern zurück? Aber warum denn?“– Jack lässt eine Pause eintreten. Dann sagt er: „Wegen der Liebe.“
Es habe sich, so referiert unser Graukopf die offizielle Berner Verlautbarung, eine intime Beziehung zwischen dem Intendanten und seiner Kommunikationschefin entsponnen. Dabei sei, was sich bei uns niemand vorstellen kann, an den Schweizer Theatern die Liebe verboten. Jedenfalls hinter der Bühne. Dieses Verdikt werde auf Schwyzerdütsch „Gawwernänz“genannt. „Aber deshalb tritt man doch nicht zurück!“protestiert Bill. „Doch“, sagt Jack. „Vermutlich hatte unser Tell einfach den Kleinmut und den Klatsch und Tratsch all der biederen Leute satt, in deren Intimleben niemals was Aufregendes geschieht. Da hat er den Krempel hingeworfen. Eine freie, souveräne Entscheidung. So kennt man ihn ja.“
„Soooo??!“bohrt Dickie genüsslich nach. „Da hat sich die KommunionsChefin wohl im Zungenreden profiliert?“– „Lass den Klatsch!“straft ihn Jack. „Dein Intimleben ist offenbar auch etwas karg!“– „Aber hat er nicht Derartiges schon in Weimar inszeniert?“will Bill wissen. „Richtig“, antwortet Jack. „Das war ,Werther. Sprache der Liebe‘. Ist auch schon lang her.“Dabei stehe das Theater in Bern glänzend da, ergänzt unser Alter. Die Besucherzahlen steigen, das Schauspiel wurde zum Theatertreffen Berlin eingeladen, und eine „Carmen“Inszenierung des Hausherrn wird fürs TV aufgezeichnet. Wir schweigen voller Anerkennung. „Zum Schluss inszeniert er noch nächsten Mai den ,Tristan‘ in Bern“, schließt Jack ab. „Na das wird ein Liebestod!“rufe ich. „Da reiten wir hin!“– „Hurra!“jubeln alle. Wir stoßen drauf an mit Pfefferminztee.
„Trotzdem ...“, sinniert Bill. „Der Liebe wegen tritt man doch nicht zurück.“– „Weshalb sonst?“erwidert Jack. „Die Liebe ist doch alles, was zählt. Sie ist unser einziger Daseinsgrund auf dieser Welt.“