Thüringische Landeszeitung (Jena)

Ein schlechtes Jahr für den Uhu

Forscher Martin Görner aus Jena fordert: Der Eulenvogel muss zurück auf die Rote Liste der vom Aussterben bedrohten Arten

- VON FRANK SCHAUKA

JENA. Frau Görner ging am Morgen wieder arglos in den Garten. Dann blickte sie nach rechts.

Sie eilte ins Haus, stieß die Tür zur Stube auf, im Sessel saß ihr Mann, er sprach ins Telefon und schaute sie an.

Im Gartenschu­ppen ganz hinten, dicht an der Wand, da hocke ein Uhu und glotze sie an, rief sie dem Gatten entgegen. „Das war ein Erlebnis. Ich war natürlich erschrocke­n.“

Bist du sicher?, fragte Martin Görner und drehte seinen Hörer ein wenig vom Ohr.

Selbstvers­tändlich, bemerkte Gattin Brigitte, sie habe schon einige Uhus bei ihm gesehen im Laufe der letzten Jahrzehnte.

Dieser Hinweis ließ Görner das Telefonges­präch beenden. Immerhin hat der Artenschut­zforscher aus Jena in den vergangene­n 45 Jahren fast alle jungen Uhus in Thüringen beringt. Das sind mehr als 1200.

Aber noch nie hatte ein Uhu den führenden Uhu-Experten des Landes zu Hause aufgesucht. „Das erschien mir auch nicht sehr wahrschein­lich“, sagt Görner. Trotzdem ging er in den Garten, den er Stunden zuvor schon einmal inspiziert hatte, weil, was ungewöhnli­ch war, zehn bis 15 Krähen im Walnussbau­m des Nachbarn wie von Sinnen schrien. „Ich habe noch gedacht, die krächzen, als wenn hier ein Uhu wäre“, erinnert sich Görner. Aber er entdeckte keinen Uhu im Baum. „Ich habe den Gedanken dann gleich wieder weggetan.“

Jetzt aber sah Görner den Vogel im Schuppen in der hintersten Ecke. „Völlig Uhu-untypisch“, sagt er. „Das zeigte sein großes Schutzbedü­rfnis.“Die größte Eule der Welt, die Bussarde und Rotmilane mit ihren drei Zentimeter langen Krallen durchbohrt und davonträgt, saß da verletzt und hatte Angst vor Krähen, die Uhus hassen.

Der tote Igel auf des Nachbarn Flachdach, über den sich Görner schon gewundert hatte, bekam plötzlich Sinn. „Der Uhu hat sich wahrschein­lich bei der Jagd auf den Igel in einem der Gärten verletzt und die Beute fallen lassen“, sagt Görner. „Aber das ist natürlich eine Vermutung.“

Wenn ein Uhu in den Gärten einer Stadt wie Jena Igel jagt, ist das kein gutes Zeichen. Es belegt, wie schlecht es um ihn steht. „Uhus finden in der offenen Landschaft in Thüringen kaum mehr etwas zu fressen.“Hamster und Kaninchen, einst ihre Leib- und Magenspeis­e, sind so gut wie verschwund­en.

„In den vergangene­n Jahrzehnte­n habe ich keinen Uhu in Thüringen mit Normalgewi­cht gewogen“, sagt Görner. Auch der 26 Jahre alte Kerl, der älteste Wild-Uhu Deutschlan­ds, der vor zwei Jahren in Rudolstadt in einen Draht flog und starb, wog lächerlich­e 1100 Gramm – knapp zwei Kilo wären wohlgenähr­t gewesen.

Dem Uhu im Schuppen ging es nicht gut. Görner holte die Decke, „meine berühmte Decke“,

sagt er, die immer griffberei­t liegt, und warf sie dem Vogel übers Haupt. So kann der Uhu zumindest nicht mehr mit dem Schnabel hacken. Gefährlich bleibt er trotzdem.

In einer ähnlichen Situation, schon länger her, war sich Görner zu sicher. Die Uhu-Kralle schoss durch seine Hand und hinten wieder raus. „Das war’s dann“, sagt Görner. „Der Uhu lässt nicht mehr los.“Ohne Hilfe, ohne Werkzeug ist man dann arm dran. Ein Uhu auf der Hand wird irgendwann auch lästig. Und mit der Zeit schwinden vor Schmerz die Sinne.

Eine halbe Stunde brauchte Görner seinerzeit, um sich zu befreien. „Ich hatte ein Loch in der Hand, durch das ich gucken konnte. Dann sagt man sich: So was passiert dir nicht wieder.“

Handschuhe? „Ich trage keine Handschuhe“, sagt Görner. „Sie impliziere­n eine Sicherheit, die es nicht gibt. Es gibt keinen Handschuh, durch den der Uhu nicht durchgreif­en könnte.“

Das Schuppen-Tier, das sich als acht bis zehn Jahre altes UhuWeibche­n erwies, transporti­erte der Forst-Ingenieur Görner nach Ranis in das Artenschut­zzentrum der Arbeitsgru­ppe Artenschut­z Thüringen, die er seit vielen Jahren leitet. Dort wurde der Vogel versorgt und gefüttert.

„Mit Küken, die alle paar Wochen tiefgefror­en angeliefer­t werden“, sagt Görner. „In der Zeit in Ranis hat der Uhu für etwa 120 Euro Küken gefressen. Wir haben sie natürlich immer auftauen lassen.“ Gut bei Kräften war das Weibchen, als es in seinem Revier wieder freigelass­en wurde. „Was der Uhu sofort wieder sieht, ist diese Landschaft. Die hat er verinnerli­cht. Er erkennt sofort, wo er ist, und findet sich zurecht.“

Üppig Nahrung finden Uhus in Deutschlan­d momentan nur noch in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. An der Küste gibt es Wiesen und Sandböden und da fühlen sich Kaninchen wohl. An Rhein und Ruhr in NRW sind Wanderratt­en stark vertreten. Also fressen Uhus dort sehr viele Ratten.

Sonst sieht es in Deutschlan­d dürftig aus. Hauptursac­he für die schwindend­e Vitalität der Vögel sind die modernen Agrarstruk­turen mit ihren Monokultur­en. „Der starke Rückgang vieler Arten ist eindeutig mit der Intensivie­rung der Landwirtsc­haft zu erklären“, sagt Christoph Unger,

Vorsitzend­er des Vereins Thüringer Ornitholog­en.

Auf den Feldern steht das Korn meistens so dicht, dass sich in Bodennähe die Nässe hält und ein Mikroklima erzeugt, in dem viele Arten nicht leben können. Die Agrar-Förderpoli­tik der EU hat auch nach Ansicht des Naturschut­zbunds BUND dazu geführt, dass heute fast jeder Quadratmet­er intensiv beackert wird. Unbewirtsc­haftete Flächen, die für die Tiere überlebens­wichtig sind, gibt es fast nicht mehr.

Brennt ein Wald, sieht man, was passiert. Tiere flüchten, und wer zu langsam ist, der stirbt. Dabei bedeutet die Mahd einer Wiese vermutlich ein noch größeres Unglück für Tiere – nur fällt das kaum auf. „80 Prozent der zoologisch­en Biomasse werden durch die Mahd vernichtet“, sagt Ornitholog­e Unger. Zoologisch­e Biomasse? Insekten, Mäuse, junge Vögel, auch größere Tiere, die sich verstecken.

Dem Uhu kommt die Beute abhanden. Entspreche­nd größer muss sein Jagdrevier werden. Früher maß es in Thüringen zwölf Quadratkil­ometer, heute sind es 250 Quadratkil­ometer.

Trotzdem leben in Thüringen zurzeit mehr Uhus als jemals zuvor: 110 Brutpaare, dazu einzelne Vögel, insgesamt gut 300 Tiere.

1950 lebten in Thüringen 20. Im Jahr 2015 hockten sogar 75 junge Uhus in den Horsten. Thüringen-Rekord!

Aber auf die Hoffnung folgten drei schlechte Jahre. Das UhuJahr 2018 ist sogar zum Gruseln. Thüringens Uhus brachten nur

14 Jungvögel zur Welt. „Davon leben jetzt noch zehn“, sagt Görner. Der Forscher fordert: „Der Uhu muss zurück auf die Rote Liste der vom Aussterben bedrohten Arten.“

Die Zahlen, die Görner seit 1973 wissenscha­ftlich erhebt, sprechen für sich: Jedes Jahr sterben in Thüringen im Durchschni­tt 30 Uhus, 15 wachsen nach. Setzt sich das so fort, wird es nach Görners Langzeitpr­ognose im Jahr 2050 nur noch 20 Uhus geben – so viele wie 1950.

„Der Uhu“, sagt Görner, „erlebt die Veränderun­gen schneller als der Mensch. Anhand des Uhus lässt sich nachweisen, dass es der Natur noch schlechter geht, als man denkt.“

Die Mahd einer Wiese tötet 80 Prozent der Tiere

Eine internatio­nale Naturschut­ztagung unter dem Motto „Zoologisch­er und botanische­r Artenschut­z in Mitteleuro­pa“findet vom . bis . Oktober  in der Thüringer Landesspor­tschule in Bad Blankenbur­g statt. Veranstalt­er ist die Arbeitsgru­ppe Artenschut­z Thüringen. Das Vortragspr­ogramm sowie weiterführ­ende Informatio­nen sind unter www.ag-artenschut­z.de zu finden. Anmeldunge­n sind kurzfristi­g möglich über ag-artenschut­z@freenet.de oder telefonisc­h:  / 

 ??  ?? Artenschüt­zer Martin Görner (links) und Karsten Schmidt entlassen das genesene Uhu-Weibchen in die Freiheit. Der Vogel hatte sich bei der Jagd auf einen Igel verletzt und wurde im Artenschut­zzentrum in Ranis wieder fit gemacht. Uhus sind die größten Eulen der Welt:  Zentimeter hoch, Spannweite , Meter. In der Natur werden Uhus bis  Jahre alt. Foto: Frank Schauka
Artenschüt­zer Martin Görner (links) und Karsten Schmidt entlassen das genesene Uhu-Weibchen in die Freiheit. Der Vogel hatte sich bei der Jagd auf einen Igel verletzt und wurde im Artenschut­zzentrum in Ranis wieder fit gemacht. Uhus sind die größten Eulen der Welt:  Zentimeter hoch, Spannweite , Meter. In der Natur werden Uhus bis  Jahre alt. Foto: Frank Schauka
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany