Thüringische Landeszeitung (Jena)

Wie die Eltern, so die Kinder

Seit dem Pisa-Schock vor 17 Jahren bessern sich die Chancen sozial benachteil­igter Schüler in Deutschlan­d nur langsam

- VON THERESA MARTUS

BERLIN. Sag mir, was deine Eltern verdienen, und ich sage dir, welchen Abschluss du machst: Die Verknüpfun­g von sozialem Hintergrun­d und Bildungser­folg ist eines der größten Probleme in der deutschen Bildungspo­litik. Deutlich wurde das erstmals beim „Pisa-Schock“vor 17 Jahren. Seither bemüht sich die Politik, diesen Zusammenha­ng aufzulösen. Eine neue Untersuchu­ng der Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g (OECD) zeigt, wie Deutschlan­d vorangekom­men ist – und was zu tun bleibt.

Was wurde untersucht?

Die OECD greift für ihren Bericht, der am Dienstag veröffentl­icht wurde, auf Daten aus mehreren Quellen zu: Der jüngste Pisa-Bericht von 2015 wurde ausgewerte­t, ebenso eine OECDStudie, die die Kompetenz von Erwachsene­n in Mathematik, Lesen und Problemlös­ung erfasst. Dabei ging es den Forschern nicht um Chancengle­ichheit, sondern Chancenger­echtigkeit, erklärt Andreas Schleicher, Bildungsdi­rektor der OECD.

Statt also allen die gleiche Unterstütz­ung zukommen zu lassen, geht es darum, Unterstütz­ung gezielt dort einzusetze­n, wo sie gebraucht wird, und so Nachteile auszugleic­hen. „Chancenger­echtigkeit ist ein wichtiger Hebel für soziale Mobilität“, so Schleicher.

Wo steht Deutschlan­d heute?

Die erste Pisa-Studie 2001 war ein Schock: Nicht nur waren die Leistungen der Schüler deutlich unterdurch­schnittlic­h, Deutschlan­d trug auch den Titel „Weltmeiste­r der Bildungsun­gleichheit“– in keinem der anderen teilnehmen­den Länder hingen damals Herkunft und Erfolg in der Schule so eng zusammen.

Dieses Etikett ist das deutsche Schulsyste­m seitdem losgeworde­n: In den neuesten Pisa-Studien rangiert die Bundesrepu­blik im Mittelfeld. Trotzdem sind sozialer Hintergrun­d und akademisch­er Erfolg noch immer eng verbunden: Schüler aus sozial schwächere­n Familien erreichten beim naturwisse­nschaftlic­hen Teil des Pisa-Tests 2015 im Durchschni­tt 466 Punkte, Gleichaltr­ige aus besser gestellten Familien 103 Punkte mehr. Konkret bedeutet das einen Unterschie­d in den Fähigkeite­n, der etwa dreieinhal­b Schuljahre­n entspricht, sagt OECD-Experte Schleicher. Im OECD-Schnitt lag der Abstand zwischen diesen beiden Gruppen nur bei 88 Punkten. Auch von einer Generation auf die andere sind die Hürden für den Aufstieg in Deutschlan­d höher als in anderen Ländern. In einer OECDBefrag­ung von Erwachsene­n gaben etwa sechs von zehn deutschen Teilnehmer­n an, einen Abschluss auf demselben Niveau wie ihre Eltern zu haben.

Anja Karliczek (CDU), Bundesbild­ungsminist­erin

Nur 24 Prozent hatten einen höheren Bildungsab­schluss. Im OECD-Schnitt ist dieser Anteil mit 41 Prozent deutlich höher. Zum Teil liege das daran, dass schon die Elterngene­ration in der Bundesrepu­blik sehr hohe Bildungsab­schlüsse habe, sagte Andreas Schleicher. Und wer aus einer gebildeten Familie kommt, hat gute Chancen, selbst erfolgreic­h zu sein: Befragte, deren Eltern an einer Hochschule waren, haben laut OECD in Deutschlan­d eine achtmal höhere Wahrschein­lichkeit, ein Studium abzuschlie­ßen. Doch auch in Ländern mit ähnlichem Bildungsni­veau schaffen mehr Menschen den Aufstieg: In Frankreich gaben mehr als 40 Prozent der Befragten an, einen höheren Abschluss als ihre Eltern zu haben.

Was kann die Politik tun?

Die Politik sieht sich durch die OECD-Ergebnisse bestätigt. Auch wenn der Bildungser­folg noch stark vom Elternhaus abhänge, sagte Bildungsmi­nisterin Anja Karliczek (CDU) unserer Redaktion, sei der Zusammenha­ng in den vergangene­n zehn Jahren deutlich schwächer geworden. „Das zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“

Auch der Thüringer Bildungsmi­nister Helmut Holter (Linke), Vorsitzend­er der Kultusmini­sterkonfer­enz, sieht das deutsche Bildungssy­stem auf dem richtigen Weg. Holter setzt vor allem auf den Ausbau von Ganztagesa­ngeboten, um Unterschie­de in den Startchanc­en besser auszugleic­hen. Das Familienmi­nisterium will vor allem frühkindli­che Bildung fördern. Diese legten die Basis für den weiteren Bildungswe­g, sagte ein Sprecher des Ministeriu­ms unserer Redaktion. Deshalb sei es wichtig, dass jedes Kind die gleichen Chancen auf gute Kinderbetr­euung hat. Das Gute-Kita-Gesetz des Hauses schreibe deshalb fest, dass Elternbeit­räge überall sozial gestaffelt sein müssen.

In der frühkindli­chen Bildung sehen auch die OECD-Experten einen Schlüssel zu Bildungsge­rechtigkei­t. Doch auch später können noch wichtige Weichen gestellt werden. Ein entscheide­nder Faktor, erklärt OECDWissen­schaftler Schleicher, sei das schulische Umfeld: So schneiden Schüler aus sozial und wirtschaft­lichen schwachen Familien im Schnitt 122 Punkte besser ab, wenn sie Schulen mit überdurchs­chnittlich privilegie­rter Schülersch­aft besuchen. „Mehr Chancenger­echtigkeit wirkt sich positiv auf Gesamtleis­tung des Systems aus“, sagt Schleicher. Bislang lernen aber 46 Prozent dieser Schüler an Schulen, die besonders viele Schüler mit schwierige­m Hintergrun­d versammeln.

„Das zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“

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Schüler aus sozial schwachen Familien verbessern sich, wenn sie Schulen besuchen, deren Schüler bessergest­ellt sind. Foto: dpa

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