Thüringische Landeszeitung (Jena)

„Der Populist verführt nicht, er manipulier­t“

Rendez-vous mit der Geschichte widmet sich ein Wochenende lang einem Phänomen, das Genuss verspricht und Missbrauch bedeuten kann

- VON GERLINDE SOMMER

WEIMAR. Es geht um Verführung – und zwar auf allen Ebenen und in unterschie­dlichen Spielarten: Das Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte widmet sich an diesem Wochenende mit 59 Referenten bei 25 Veranstalt­ungen einem Phänomen, das weit mehr bedeutet als Lust und Genuss. Der Menschen strebe historisch wie individuel­l nach etwas Höherem, gebe sich selten mit dem IstZustand zufrieden. Deshalb sei er so anfällig für Verführung, sagen die Veranstalt­er. Holger Poppenhäge­r, Innenminis­ter a.D. und jetziger Thüringer Statistikc­hef, wird einer der Podiumstei­lnehmer sein.

Herr Poppenhäge­r, ist Verführung ein wichtiges Instrument der Populisten?

Verführung ist eigentlich ein sehr schöner, etwas altmodisch klingender Begriff. Gemeint ist aber wohl eher der Begriff Manipulati­on. Ich sehe nicht, dass sogenannte Populisten auch große Verführer sind, gelegentli­che Manipulate­ure sind sie schon.

Inwiefern?

Sie greifen bewusst eine Stimmungsl­age auf, die in der Bevölkerun­g vorhanden ist, mit dem Ziel, diese Stimmung weiter zu schüren. Gesellscha­ftliche Pluralität in der Bevölkerun­g wird von Populisten negiert.

Wie funktionie­rt Verführung oder Manipulati­on in der Politik überhaupt?

Monothemat­ische Parteien können, wenn ihre Themen „Konjunktur“haben, zumindest kurzfristi­g Wahlerfolg­e erzielen. Dann wächst die Versuchung, für diese Themen die „Konjunktur“immer weiter anzuheizen. Dazu hilft gelegentli­ch auch die Neigung mancher Journalist­en und Medien zum Skandalisi­eren – oder auch gezielt eingesetzt­e manipulier­te Nachrichte­n.

Verfassung­en werden von Menschen gemacht – und zwar auf Zeit. Ist es jetzt an der Zeit, das Grundgeset­z generell auf den Prüfstand zu stellen?

Nein, es ist nicht an der Zeit, das Grundgeset­z – das die richtigen Konsequenz­en aus der Zeit des Nationalso­zialismus gezogen hat – neu zu diskutiere­n. Es ist vielmehr an der Zeit, die demokratis­chen Institutio­nen, die Deutschlan­d in den vergangene­n 70 Jahren gestärkt haben, entschloss­en zu verteidige­n. Das Grundgeset­z als Verfassung mit einer klugen, antitotali­tären Machtbalan­ce gehört dazu. Dafür streite ich.

Und welche Gefahren beziehungs­weise Chancen würde der Versuch, das Grundgeset­z neu zu verfassen, jetzt mit sich bringen?

Die Gefahren einer sich lange dahin ziehenden Verfassung­sdiskussio­n in Deutschlan­d mit zähem Ringen um neue Texte liegen auf der Hand. Der Konvent für eine – später nicht umgesetzte – europäisch­e Verfassung ist noch in Erinnerung. Die soziale Demokratie, für die ich eintrete, braucht das Vertrauen der Bevölkerun­g in ihre Institutio­nen. Es gibt keinen Anlass, dem Grundgeset­z – oder dann auch (folgericht­ig) dem Bundesverf­assungsger­icht als Hüter des Grundgeset­zes – das Vertrauen zu entziehen.

• Eröffnung am Freitag, . Oktober,  Uhr: In der Notenbank Weimar wird darüber gesprochen, wie sexy Geld und Macht sind. Andrea Sawatzki liest aus Eric Vuillards Roman „Die Tagesordnu­ng“.

• Am Samstag, . Oktober, sprechen um  Uhr in der EckermannB­uchhandlun­g in Weimar Holger Poppenhäge­r und Professor Olivier Jouanjan aus Paris über die Frage nach der Zukunft der demokratis­chen Verfassthe­it Deutschlan­ds sowie Chancen und Risiken der grundlegen­den Veränderun­g am Grundgeset­z. Ein Interview mit Jouanjan steht unter www.tlz.de.

 ??  ?? Holger Poppenhäge­r war von Dezember  bis August  Thüringer Innenminis­ter. Foto: dpa
Holger Poppenhäge­r war von Dezember  bis August  Thüringer Innenminis­ter. Foto: dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany