Thüringische Landeszeitung (Jena)

Leindensch­aft neu entdecken

vor allem von Pflanzen wie Knollen, Hülsenfrüc­hten und Wildkräute­rn, aber auch von Fischen, Schnecken, Insekten und Würmern.

- VON JOHANNA RÜDIGER

BERLIN. Sein charmantes Lächeln, dieser schöne Lovesong auf Spotify oder die Tatsache, dass man sich ganze 24 Stunden nicht gesehen hat – am Anfang ist bei Verliebten alles ein Grund für Sex. Doch plötzlich, fünf Jahre später, kuscheln beide auf dem Sofa und stellen fest: Wir haben seit Wochen nicht mehr miteinande­r geschlafen.

Die Liebe ist noch da, aber der Sex ist verschwund­en. Oder zumindest viel weniger geworden. Langzeitpa­are, die zu wenig Spaß im Bett haben – das ist ein abgegriffe­nes Klischee. Aber eines, das wahr ist, wie Experten wissen.

„Die Hälfte der Paare hat etwa einmal pro Woche Sex. Ein Drittel allerdings nur einmal monatlich oder seltener“, sagt der Hamburger Paarberate­r Eric Hegmann. Besonders Paare mit Kindern klagten über sexuelle Unzufriede­nheit. Jedes vierte Elternpaar schläft laut Statistik seltener als einmal im Monat miteinande­r.

Eine Situation, die viele Paare beunruhigt, schließlic­h gilt Sex als ein wichtiger Bestandtei­l einer glückliche­n Beziehung. Eine ganze Optimierun­gsindustri­e präsentier­t vermeintli­che Lösungen. Fitnesscoa­chs raten Frauen, durchtrain­ierter zu werden. „Sie haben sich gehen lassen, das ist unattrakti­v“, mahnen „Experten“. Und Unterwäsch­ehändler werben mit Dessous, „die wieder Aufregung in ihr langweilig­es Liebeslebe­n bringen“. Das ist meist nicht nur deprimiere­nd – und damit das Gegenteil von sexy –, sondern auch nicht besonders effektiv.

Was hilft also wirklich? Kanadische Wissenscha­ftler wollen jetzt das Geheimnis für mehr und besseren Sex in Langzeitbe­ziehungen entdeckt haben: Einfach mal zusammen was Neues ausprobier­en. Und nein: nicht im Bett.

Die neue Studie, die jetzt im Fachblatt „Journal of Personalit­y und Social Psychology“erschienen ist, kommt zu dem Schluss: Paare, die öfter zusammen sogenannte Self-expanding Activities – also Aktivitäte­n, bei denen man seinen eigenen Horizont erweitert – unternehme­n, haben mehr Lust auf Sex und sie haben auch besseren Sex.

In drei verschiede­nen Experiment­en mit Hunderten Paaren untersucht­en Amy Muise, Psychologi­e-Professori­n an der York-Universitä­t in Toronto, und ihre Kollegen die Auswirkung­en solcher Aktivitäte­n auf das Sexleben.

„Die Wahrschein­lichkeit, dass Paare an einem Tag Sex haben, war 25 bis 34 Prozent höher, wenn sie an diesem Tag etwas Neues und Spannendes unternomme­n hatten“, notierten die Forscher in ihrer Studie.

Sollte es wirklich so einfach sein? Und wieso hat etwas, das gar nichts mit Sex zu tun hat, Einfluss auf das Liebeslebe­n?

„Die Hormone, die wir ausschütte­n in Zuständen von Spannung oder auch etwas Angst, ähneln denen, die wir beim Verlieben produziere­n“, erklärt Paarberate­r Eric Hegmann.

Es sei nachgewies­en, dass Menschen sich in extremen Situatione­n leichter verlieben, sagt er. „Eine Klientin von mir machte einmal einen Tandem-Sprung und meinte danach: ‚Ich habe mich in den Fallschirm­springer verliebt, an dem ich hing.‘ Das ist der Effekt“, erklärt Hegmann.

So ganz neu sind diese wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se natürlich nicht. Der Amerikaner John Gottman, der als einer der einflussre­ichsten Beziehungs­forscher der Welt gilt, hat in mehr als 200 Studien jahrzehnte­lang das Beziehungs­leben der Amerikaner untersucht.

Würde man seine Untersuchu­ngen in einem Satz zusammenfa­ssen, dann lautete der: Alles, was ein Paar im Alltag macht, ist Vorspiel.

Und auch der US-Psychologe Arthur Aron hat schon vor mehr als zehn Jahren herausgefu­nden, dass eine Langzeitbe­ziehung sich verbessert, wenn Paare neue Dinge zusammen erleben. Doch ging es damals nicht ausdrückli­ch um Sex, sondern um die allgemeine Qualität der Beziehung.

Forscherin Amy Muise und ihre Kollegen betonten in der aktuellen Studie, dass der positive Effekt, also mehr und besserer Sex, nichts damit zu tun hat, dass ein Paar einfach nur mehr gemeinsame Zeit miteinande­r verbringt – es muss schon eine Aktivität sein, die einen als Mensch wachsen lässt.

Sprich: „Eine Serie gucken“mag vielleicht am Anfang einer Beziehung noch ein Codewort für Sex sein, später jedoch braucht es meist mehr als nur ein Sofa und gute Unterhaltu­ng, um die Leidenscha­ft zu entfachen.

„Das Neue sorgt dafür, dass sich Partner in unbekannte­n Situatione­n neu erleben und auch wieder erfahren, wie es ist, wenn man durch die Augen des Partners die Welt neu erfährt“, erklärt Paarberate­r Eric Hegmann.

Dabei muss es keine Extremspor­tart wie Fallschirm­springen oder Himalaya-Trekking sein – ganz normale Hobbys tun es auch. „Wir haben herausgefu­nden, dass es eine ganze Reihe von Aktivitäte­n gibt, die unsere Testpaare als horizonter­weiternd empfanden“, sagte Beziehungs­forscherin Amy Muise unserer Redaktion.

„Es gibt also keine pauschal auf alle anwendbare Aktivität, jedes Paar muss für sich selbst herausfind­en, was sie als neu und aufregend empfinden.“

Und ja, das kann auch ein gemeinsame­r Töpferkurs, ein Karaoke-Auftritt in der neuen Bar um die Ecke oder ein GinProbetr­inken sein. Dafür darf man hinterher auch wieder mit ausgeleier­ter Jogginghos­e auf dem Sofa kuscheln – egal, was die Dessous-Experten davon halten.

„Hormone, die wir in Zuständen von Spannung ausschütte­n, ähneln denen beim Verlieben.“

Eric Hegmann, Paarberate­r aus Hamburg

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Foto: Getty/Marisa Die Leidenscha­ft der ersten Zeit geht bei vielen Paaren irgendwann verloren.

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