Thüringische Landeszeitung (Jena)
Leindenschaft neu entdecken
vor allem von Pflanzen wie Knollen, Hülsenfrüchten und Wildkräutern, aber auch von Fischen, Schnecken, Insekten und Würmern.
BERLIN. Sein charmantes Lächeln, dieser schöne Lovesong auf Spotify oder die Tatsache, dass man sich ganze 24 Stunden nicht gesehen hat – am Anfang ist bei Verliebten alles ein Grund für Sex. Doch plötzlich, fünf Jahre später, kuscheln beide auf dem Sofa und stellen fest: Wir haben seit Wochen nicht mehr miteinander geschlafen.
Die Liebe ist noch da, aber der Sex ist verschwunden. Oder zumindest viel weniger geworden. Langzeitpaare, die zu wenig Spaß im Bett haben – das ist ein abgegriffenes Klischee. Aber eines, das wahr ist, wie Experten wissen.
„Die Hälfte der Paare hat etwa einmal pro Woche Sex. Ein Drittel allerdings nur einmal monatlich oder seltener“, sagt der Hamburger Paarberater Eric Hegmann. Besonders Paare mit Kindern klagten über sexuelle Unzufriedenheit. Jedes vierte Elternpaar schläft laut Statistik seltener als einmal im Monat miteinander.
Eine Situation, die viele Paare beunruhigt, schließlich gilt Sex als ein wichtiger Bestandteil einer glücklichen Beziehung. Eine ganze Optimierungsindustrie präsentiert vermeintliche Lösungen. Fitnesscoachs raten Frauen, durchtrainierter zu werden. „Sie haben sich gehen lassen, das ist unattraktiv“, mahnen „Experten“. Und Unterwäschehändler werben mit Dessous, „die wieder Aufregung in ihr langweiliges Liebesleben bringen“. Das ist meist nicht nur deprimierend – und damit das Gegenteil von sexy –, sondern auch nicht besonders effektiv.
Was hilft also wirklich? Kanadische Wissenschaftler wollen jetzt das Geheimnis für mehr und besseren Sex in Langzeitbeziehungen entdeckt haben: Einfach mal zusammen was Neues ausprobieren. Und nein: nicht im Bett.
Die neue Studie, die jetzt im Fachblatt „Journal of Personality und Social Psychology“erschienen ist, kommt zu dem Schluss: Paare, die öfter zusammen sogenannte Self-expanding Activities – also Aktivitäten, bei denen man seinen eigenen Horizont erweitert – unternehmen, haben mehr Lust auf Sex und sie haben auch besseren Sex.
In drei verschiedenen Experimenten mit Hunderten Paaren untersuchten Amy Muise, Psychologie-Professorin an der York-Universität in Toronto, und ihre Kollegen die Auswirkungen solcher Aktivitäten auf das Sexleben.
„Die Wahrscheinlichkeit, dass Paare an einem Tag Sex haben, war 25 bis 34 Prozent höher, wenn sie an diesem Tag etwas Neues und Spannendes unternommen hatten“, notierten die Forscher in ihrer Studie.
Sollte es wirklich so einfach sein? Und wieso hat etwas, das gar nichts mit Sex zu tun hat, Einfluss auf das Liebesleben?
„Die Hormone, die wir ausschütten in Zuständen von Spannung oder auch etwas Angst, ähneln denen, die wir beim Verlieben produzieren“, erklärt Paarberater Eric Hegmann.
Es sei nachgewiesen, dass Menschen sich in extremen Situationen leichter verlieben, sagt er. „Eine Klientin von mir machte einmal einen Tandem-Sprung und meinte danach: ‚Ich habe mich in den Fallschirmspringer verliebt, an dem ich hing.‘ Das ist der Effekt“, erklärt Hegmann.
So ganz neu sind diese wissenschaftlichen Erkenntnisse natürlich nicht. Der Amerikaner John Gottman, der als einer der einflussreichsten Beziehungsforscher der Welt gilt, hat in mehr als 200 Studien jahrzehntelang das Beziehungsleben der Amerikaner untersucht.
Würde man seine Untersuchungen in einem Satz zusammenfassen, dann lautete der: Alles, was ein Paar im Alltag macht, ist Vorspiel.
Und auch der US-Psychologe Arthur Aron hat schon vor mehr als zehn Jahren herausgefunden, dass eine Langzeitbeziehung sich verbessert, wenn Paare neue Dinge zusammen erleben. Doch ging es damals nicht ausdrücklich um Sex, sondern um die allgemeine Qualität der Beziehung.
Forscherin Amy Muise und ihre Kollegen betonten in der aktuellen Studie, dass der positive Effekt, also mehr und besserer Sex, nichts damit zu tun hat, dass ein Paar einfach nur mehr gemeinsame Zeit miteinander verbringt – es muss schon eine Aktivität sein, die einen als Mensch wachsen lässt.
Sprich: „Eine Serie gucken“mag vielleicht am Anfang einer Beziehung noch ein Codewort für Sex sein, später jedoch braucht es meist mehr als nur ein Sofa und gute Unterhaltung, um die Leidenschaft zu entfachen.
„Das Neue sorgt dafür, dass sich Partner in unbekannten Situationen neu erleben und auch wieder erfahren, wie es ist, wenn man durch die Augen des Partners die Welt neu erfährt“, erklärt Paarberater Eric Hegmann.
Dabei muss es keine Extremsportart wie Fallschirmspringen oder Himalaya-Trekking sein – ganz normale Hobbys tun es auch. „Wir haben herausgefunden, dass es eine ganze Reihe von Aktivitäten gibt, die unsere Testpaare als horizonterweiternd empfanden“, sagte Beziehungsforscherin Amy Muise unserer Redaktion.
„Es gibt also keine pauschal auf alle anwendbare Aktivität, jedes Paar muss für sich selbst herausfinden, was sie als neu und aufregend empfinden.“
Und ja, das kann auch ein gemeinsamer Töpferkurs, ein Karaoke-Auftritt in der neuen Bar um die Ecke oder ein GinProbetrinken sein. Dafür darf man hinterher auch wieder mit ausgeleierter Jogginghose auf dem Sofa kuscheln – egal, was die Dessous-Experten davon halten.
„Hormone, die wir in Zuständen von Spannung ausschütten, ähneln denen beim Verlieben.“
Eric Hegmann, Paarberater aus Hamburg