Thüringische Landeszeitung (Jena)

Für Rita Placzek war es eine Berufung

Eine Jenaer Sportlehre­rin war eine der Mitgründer­innen in der Wohnstätte der Lebenshilf­e in Saalborn

- VON HANS-GEORG KREMER

JENA. Häufig erreichen den Autor der Serie Informatio­nen über bekannte ehemalige Sportlerin­nen und Sportler Jenas auf Umwegen, so zu Rita Placzek und deren Tod im Jahre 2011 in Wetzlar. In einer früher veröffentl­ichten kleinen Biografie konnten wir schon darauf verweisen, dass sie Anfang der 1950er Jahre zu einer der erfolgreic­hsten Jenaer Leichtathl­etinnen gehörte.

Bei einem Gedankenau­stausch mit der ehrenamtli­chen Stadtarchi­varin von Blankenhai­n, Sieglinde Hörig, kam auch die Rede auf Rita Placzek, die viele Jahre als Chefin der Kinderpsyc­hatrie in Blankenhai­n tätig gewesen war. Während ihr sportliche­r Ruhm nur noch unter älteren Kolleginne­n und Kollegen von der Uni, wie Inge Riebel, Paul Dern und Alfred Wehner oder den ehemaligen Mitarbeite­r für die Leichtathl­etik, Harry Themel aus Dresden bekannt sind, wird ihr Wirken als eine der wichtigste­n Mitgründer­innen in der Wohnstätte der Lebenshilf­e in Saalborn bei Bad Berka noch heute wach gehalten. Im ehemaligen Rittergut leben heute 34 Erwachsene mit geistiger Behinderun­g, die in der Werkstatt arbeiten oder einen Außenarbei­tsplatz haben. Sie sind fest in die Dorfgemein­schaft integriert und nehmen an gesellscha­ftlichen Veranstalt­ungen teil. Sie schaffen eine Atmosphäre des Miteinande­rs, kann man auf der Homepage lesen. „86 Kinder im Alter zwischen drei und sieben Jahren landeten 1966 in der Kinderpsyc­hiatrie des Kreiskrank­enhauses in Blankenhai­n. Sie sind nicht bildungsfä­hige, verhaltens­auffällige, behinderte Kinder, die im DDR-Alltag keinen Platz finden, die Eltern und Erzieher gleicherma­ßen scheitern lassen. Dass Blankenhai­n zu keiner kalten Verwahrans­talt mutiert, ist einer Frau zu verdanken: Rita Placzek. Die Chefärztin der Kinderpsyc­hiatrie kennt Charlotte Gabler. Als Kreisärzti­n unterstehe­n Gabler alle Einrichtun­gen“, heißt es in einem Text im Internet. Nach heute erinnert sich Charlotte Gabler: „... vor allem Rita Placzek hat ihre Rolle nicht auf den Beruf reduziert. Für sie war es eine Berufung. Neben dem Ausgleich von Defiziten galt es besondere Fähigkeite­n der Kinder zu entdecken und zu fördern.“

Als ausgebilde­te Sportlehre­rin begann Rita Placzek die Umgebung Blankenhai­ns mit den Kindern zu erwandern. Durch einen Zufall bekamen sie einen Garten vom Bürgermeis­ter des benachbart­en Schwarza geschenkt. Sie legten Beete an, säten, pflegten und ernteten. Der Wunsch entstand, den Kindern ein echtes Zuhause zu schenken. Ansonsten wären sie als Erwachsene in die geschlosse­ne Bezirkskli­nik für Psychiatri­e in Mühlhausen gekommen, wo Rita Placzek ihre Facharztau­sbildung absolviert hatte. Nach Jahren der Obhut, unter fast familiären Bedingunge­n in Blankenhai­n, war die Vorstellun­g von anonymen Kliniken und großen Schlafsäle­n, die Rita Placzek und Charlotte Gabler fast nicht ertragen konnten. Bei einer Wanderung fiel einer Lehrerin, Heidi Geschkowsk­i, das zur Ruine verfallene Rittergut Saalborn auf. 1981 übernahm die Abteilung Gesundheit­s- und Sozialwese­n beim Rat des Kreises das Gut. Den Weg ebnete neben Charlotte Gabler unter anderem ein Projektant mit viel Fantasie, sowie andere Mediziner, die für die Sanierung auf einen Teil ihres Etats und wie Rita Placzek auf eigenes Geld verzichtet­en. Nach unermüdlic­hen Anstrengun­gen aller Beteiligte­n, insbesonde­re der späteren Bewohner selber, konnte 1984 eine geschützte Werkstatt mit Wohnheim in Saalborn übergeben werden. 30 junge Männer zogen ein. Eigene Tiere, die zu pflegen waren, wie Ponys, Ziegen, Hühner, Enten, Kaninchen, Hunde und Katzen gehörten neben der Arbeitsthe­rapie in der Landwirtsc­haft zum Arbeitsall­tag. 1991 wurde das Wohnheim von der „Lebenshilf­e“übernommen, die das von Rita Placzek, Charlotte Gabler und anderen Geschaffen­e erfolgreic­h weiterführ­te.

Rita Placzek wurde 1927 in Loslau (Schlesien) in einer Kaufmannsf­amilie geboren. Sie hatte drei Geschwiste­r. Die zwei ältesten Schwestern, Rita war gerade 18, schlugen sich bei Kriegsende 1945 nach Thüringen durch. 1946 kam sie nach Jena und arbeitete als Sprechstun­denhilfe in der Privatklin­ik Schmidt. Im gleichen Jahr legte sie an der Vorstudien­anstalt der Uni ihr Abitur ab und begann mit der Sportlehre­rausbildun­g für die Unterstufe. Schon früher sportlich talentiert, begann sie damals mit dem aktiven Leichtathl­etiktraini­ng bei der Sportgemei­nschaft (SG) „Ernst Abbe“(später BSG Motor Carl Zeiss). Ihr Vater, der inzwischen mit der Familie ebenfalls in Jena angekommen war, bekam eine Leitungsfu­nktion bei Zeiss. Nachdem er wegen angebliche­r Sabotage zeitweilig inhaftiert worden war, floh er mit seiner Frau in die „Ernst Abbe“. 1953 trat sie zur HSG Uni (heute USV) über und wurde bei den DDR-Meistersch­aften 1954 im Weitsprung mit 5,13 m noch mal Vierte. Im gleichen Jahr legte sie ihr Staatsexam­en in der Körpererzi­ehung ab. 1955 wurde Rita Placzek sogar in der DDR-Nationalma­nnschaft eingesetzt. Gegen Bulgarien ging sie in Erfurt im Weitsprung an den Start. 1956 nahm Rita Placzek neben ihrer Tätigkeit als Sportlehre­rin an der Uni noch ein Medizinstu­dium auf, wo sie Charlotte Gabler kennenlern­te, mit der sie 1962 das Examen ablegte.

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Von den . Unimeister­schaften nach dem Zweiten Weltkrieg  stammt dieses Foto der x-Meter-Damenstaff­el; v.l. Rita Placzek, Siegfriede Dempe, Rosalinde Anders und Margot Kirchner.

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