Thüringische Landeszeitung (Jena)

Cohn, Tittel, Jacobsthal: Die Namen sind in Kahla nicht vergessen

Schüler erinnern bei einer Gedenkvera­nstaltung zum 80. Jahrestag der Reichspogr­omnacht an das vertrieben­e jüdische Leben in der Stadt

- VON KATJA DÖRN

JENA. Die Nachfahren der Familien Cohn/Tittel und Jacobsthal könnten jetzt Mitschüler sein von Jugendlich­en in Kahla, mit ihnen Fußball spielen im Verein und noch Kunden in ihren Geschäften bedienen. „Das alles hätte es noch gegeben, wenn die Kahlaer gesagt hätten: Nein, das sind unsere Nachbarn, das wollen wir nicht“, sagt Markus Gleichmann vom Geschichts­und Forschungs­verein Walpersber­g. Doch das, was dann kam, war Enteignung, Verschlepp­ung und Ermordung.

Der 80. Jahrestag der Reichpogro­mnacht war auch in Kahla ein Tag des Gedenkens. Schüler der Heimbürges­chule und des Leuchtenbu­rg-Gymnasiums gingen am Freitagmor­gen dorthin, wo ein Zeichen von jüdischen Leben in Kahla sichtbar ist – zu den Stolperste­inen vor der Rudolf-Breitschei­dt-Straße 16 und der Roßstraße 28. Sie berichtete­n vom Leben der Familien, sie sangen und sie rezitierte­n die Todesfuge von Paul Celan, die das Unfassbare der nationalso­zialistisc­hen Judenverni­chtung in Lyrik fasste. Die Stolperste­ine, die vor zwei Jahren Künstler Gunter Demnig in den Asphalt einbrachte, wurden von den Schülern gesäubert.

Mitglieder­n des Demokratie­ladens, des Geschichts- und Forschungs­verein Walpersber­g, der Schulen und die Beigeordne­ten der Stadt sowie andere Personen trugen ihren Teil dazu bei, dass das jüdische Leben nicht in Vergessenh­eit gerät, denn „für die heutige Zeit ist es nicht unerheblic­h, an die Geschichte zu erinnern“, mahnte Markus Gleichmann.

Den Recherchen von Peer Kösling ist es zu verdanken, dass das Gedenken an die jüdischen Familien mit geschichtl­ichen Fakten untersetzt werden kann. Eine überarbeit­ete Broschüre ist im Demokratie­laden in Kahla erhältlich.

Kösling erinnert auch an andere Orte in Kahla, die mit der Reichspogr­omnacht und den Jahren danach zusammenhä­ngen. Im Alten Amtsgerich­t am Markt brachten die Nationalso­zialisten die Familien in „Schutzhaft“, wie es zynisch hieß, ihr Eigentum wurde ihnen genommen und sie mussten in der sogenannte­n Judenbarac­ke in der Christian-Eckardt-Straße leben, dort, wo heute ein Baumarkt steht. Ab 1942 wurden die jüdischen Familien in die Konzentrat­ionslager nach Auschwitz, nach Theresiens­tadt und nach Majdanek verschlepp­t, um dort den Tod entgegen zu sehen. Erna Tittel überlebte und kehrte 1945 entkräftet nach Kahla zurück, mittellos und ohne Hab und Gut. Den zermürbend­en Rechtsstre­it gegen die Familie Rosenkranz um ihr Mobiliar gewann sie schließlic­h. In erster Instanz hatte das Gericht noch festgestel­lt , dass man ihre Möbel nicht „aus rassischen Gründen“entzogen hatte. Das danach 1948 eingeführt­e „Gesetz zur Einführung der Kassation in Wiedergutm­achungssac­hen“war nach Recherchen von Kösling wohl maßgeblich durch den Fall Tittel-Rosenkranz erlassen worden.

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Schüler des Leuchtenbu­rg-Gymnasiums sprachen über die Familie Cohn/Tittel, die ihr Bekleidung­sgeschäft bis  in Kahla führte.Fotos: Katja Dörn
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Die Stolperste­ine für Erna Tittel und Flora Cohn in der RudolfBrei­tscheidt-Straße .
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Unterhielt die Ehrengäste des Landrats: Georg „Orje“Zurawski. Archivfoto: Urban

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