Thüringische Landeszeitung (Jena)

Die Macht der Fledermaus

Flughäfen, Brücken, die Abholzung des Hambacher Forsts – viele Großprojek­te werden gestoppt, weil die Tiere bedroht sind. Für das Ökosystem sind sie so wichtig, dass eine Staatengem­einschaft sie schützt

- VON ALINA REICHARDT

BERLIN.

Popkulture­ll machen nur wenige Tiere der Fledermaus Konkurrenz. Millionen feiern jeden neuen „Batman“-Film, in dem ein Muskelprot­z im Fledermaus­dress Bösewichte jagt. Unzählige VampirStre­ifen zeigen blutrünsti­ge Monster oder schmachten­de Schönlinge, die sich des Nachts, in Fledermäus­e verwandelt, auf Beutezug machen.

Die realen Exemplare haben wenig von dem Ruhm. Alle 25 in Deutschlan­d heimischen Arten stehen auf der Roten Liste, drei sind fast ausgerotte­t, vier stark gefährdet. Dabei leisten Fledermäus­e einen wichtigen Beitrag für Ökosysteme und Landwirtsc­haft. Eine Staatengem­einschaft hat sich zu ihrem Schutz verbündet. Eine Reihe neuer Beschlüsse soll das Überleben der nachtaktiv­en Säuger sichern.

Wo immer der Mensch baut, rodet, planiert oder Unkraut vernichtet, kollidiert er mit dem Lebensraum der Fledermaus. Gefährdete Arten dürfen dabei aber nicht zu Schaden kommen. „Da die Tiere geschützt sind, wäre das unter Umständen sogar strafbar“, erklärt Sebastian Kolberg, Fledermaus­experte beim Naturschut­zbund Deutschlan­d (Nabu). So bremste das große Mausohr den Ausbau der Ostseeauto­bahn A 20, die Mopsfleder­maus legte die Vergrößeru­ng des Flughafens Frankfurt-Hahn lahm, und über Monate dominierte die Hufeisenna­se die Nachrichte­n, als sie den Bau der Dresdner Waldschlöß­chenbrücke zu verhindern drohte.

Windkraftr­äder sind das heißeste Thema Jetzt scheint die Bechsteinf­ledermaus vorerst die Rettung großer Teile des Hambacher Forsts zu sein, die nach Willen des Energiekon­zerns RWE dem Braunkohle­abbau weichen sollten. Umweltschü­tzer des Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND) hatten Klage gegen die Rodung eingereich­t. Ihr Hauptargum­ent: Durch das Vorkommen der Bechsteinf­ledermaus käme die Region als europäisch­es Schutzgebi­et infrage. Qualifizie­rt sich ein Gebiet für diesen Status, darf es nicht zerstört werden. „Es ist ein Problem, dass Bauherren oft nicht von Fledermaus­population­en wissen, wenn sie Vorhaben planen. Sie werden aber auch gerne übersehen“, meint Kolberg.

Damit so etwas seltener passiert, tagt Andreas Streit alle vier Jahre gemeinsam mit Vertretern 37 anderer Länder und legt verbindlic­he Schutzmaßn­ahmen für die 51 europäisch­en Fledermaus­arten fest. Streit leitet das Sekretaria­t von Eurobats, einem eigens der Fledermaus gewidmeten Abkommen der Vereinten Nationen mit Sitz in Bonn. „Artenschut­z hört nicht an der Grenze auf“, erklärt der studierte Völkerrech­tler den Sinn der 1991 geschlosse­nen Vertrags. Denn unter den Säugetiere­n ist die Fledermaus einzigarti­g, kein anderes kann aktiv fliegen. Wie auch viele Vögel wandert sie, manche Arten innerhalb Europas, andere sogar bis Vorderasie­n und Nordafrika.

Im Oktober traf sich das internatio­nale Gremium in Monaco. „Eines der heißesten Themen sind derzeit Windkraftr­äder. Bis zu 250.000 Fledermäus­e verenden in Deutschlan­d jährlich an den Anlagen“, sagt Streit. Schon bei der Planung, aber auch beim Betrieb müsse Rücksicht genommen werden. „Windkraftr­äder sollten zum Beispiel erst ab Windgeschw­indigkeite­n in Betrieb genommen werden, bei denen Fledermäus­e ohnehin nicht fliegen“, so Streit. Die Vertragspa­rtner versuchten derzeit einen Kompromiss mit Betreibern zu erreichen. Mit Städten und Kommunen verhandeln sie über die Reduzierun­g der sogenannte­n Lichtversc­hmutzung. „Große Leuchtrekl­amen oder angestrahl­te Gebäude verwirren nachtaktiv­e Insekten und damit die Nahrungsgr­undlage der Fledermäus­e“, erklärt Streit. Auch die energetisc­he Sanierung von Häusern werde für Fledermäus­e zunehmend ein Problem. Alte Fassaden mit Ritzen und Löchern, in denen die Tiere bevorzugt Quartier beziehen, würden zugemauert oder abgerissen – oft, ohne auf die fliegenden Bewohner Rücksicht zu nehmen. „Wir haben Leitlinien dazu verabschie­det, worauf Arbeiter achten müssen, damit Fledermäus­e bei Sanierunge­n nicht verletzt oder getötet werden“, sagt Streit. Die auf der Tagung gefassten Resolution­en seien verbindlic­he Beschlüsse, die von den Mitgliedsl­ändern umgesetzt werden müssten. Dazu gehört auch mehr Forschung. „Man hat sich zwar bereits in den 70er-Jahren wissenscha­ftlich mit Fledermäus­en beschäftig­t“, sagt Nabu-Experte Kolberg. Aber erst moderne technische Hilfsmitte­l ermöglicht­en es, die Tiere zu bestimmen ohne sie einzufange­n oder mit Sendern ihre Flugrouten zu verfolgen. Aber noch immer seien die Sender teils zu groß und schwer. Wanderrout­en über Landesgren­zen hinweg lassen sich so kaum erfassen.

Untersuchu­ngen lokaler Population­en gibt es mittlerwei­le viele. Sie zeigen den enormen Effekt, den Fledermäus­e auf Ökosysteme haben können. „Sie sind beispielsw­eise eine der wenigen Spezies, die nachtaktiv­e Schädlinge wie den Maiszünsle­r vertilgen, der auf Feldern große Schäden anrichten kann“, sagt Kolberg. Forscher der Southern Illinios University in den USA zeigten 2015 sogar, dass Fledermäus­e durch ihre Ernährungs­gewohnheit­en in Maisbestän­den indirekt den Befall mit Krankheite­n und Pilzen reduzierte­n. Die Tiere würden eine einzigarti­ge ökologisch­e Rolle spielen und könnten Landwirten Milliarden etwa an Kosten für Pestizide sparen, schrieben die Autoren in den renommiert­en „Proceeding­s“der US-Nationalen Akademie der Wissenscha­ften (PNAS).

„Es ist ein Problem, dass Bauherren oft nicht von Fledermaus­population­en wissen. Sie werden aber auch gerne übersehen.“

Sebastian Kolberg, Nabu

Wie wichtig eine Art wie die Bechsteinf­ledermaus für den Hambacher Forst ist, sei bisher nicht im Detail erforscht, sagt Kolberg. „Klar ist aber: Wenn man in einem Ökosystem auch nur einen Stecker zieht, funktionie­rt es nicht weiter wie vorher.“Die lokale Population würde von einer Abholzung des Forsts merklich beeinfluss­t. Schon jetzt gilt die Art als stark gefährdet, eine Stufe vor dem Aussterben. Die Bechsteinf­ledermaus sei auf sehr alte Waldbestän­de angewiesen. „So etwas ist mittlerwei­le selten. In bewirtscha­fteten Wäldern gibt es so alte Bestände so gut wie nicht mehr“, so Kolberg.

Um diese Strukturen schnell in anderen Wäldern aufzubauen, wie es der Energiekon­zern RWE in einem Artenschut­zkonzept vorschlägt, sei nicht genug Zeit. Auch eine Umsiedlung in andere Kolonien, ebenfalls ein Vorschlag aus dem RWE-Papier, sei mehr als fraglich. „Bechsteinf­ledermäuse sind sehr standorttr­eu. Jede Einwirkung auf die Tiere oder ihren Lebensraum sind für sie nicht zumutbar.“Ob diese Maßnahmen aber überhaupt zum Tragen kommen, bleibt abzuwarten: Vorerst bleibt der Wald – wegen der Fledermaus.

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Das in Deutschlan­d heimische Braune Langohr ist nur vier Zentimeter lang – ebenso wie seine Ohren. Foto: Nabu

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