Thüringische Landeszeitung (Jena)

Macron warnt vor Nationalis­mus

Französisc­her Präsident gedenkt mit 66 Staats-und Regierungs­chefs der Opfer des Ersten Weltkriegs und beschwört, Frieden über alles zu stellen

- VON PETER HEUSCH

PARIS. Um Punkt 11 Uhr am Sonntag und auf die Minute genau 100 Jahre nach dem Inkrafttre­ten des Waffenstil­lstands, der dem verheerend­en Wüten des Ersten Weltkriegs ein Ende setzte, läuteten in ganz Frankreich die Kirchenglo­cken. Es war der Augenblick, als vier mit 66 Staats-und Regierungs­chefs besetzte Busse im Schritttem­po die trotz des Regens von Hunderten Zuschauern gesäumte Pariser Pracht-Avenue – die Champs-Élysées – bis zum Triumphbog­en hinauffuhr­en, wo sie vom französisc­hen Staatspräs­identen Emmanuel Macron in Empfang genommen wurden.

Ein roter Teppich wies den Ehrengäste­n, unter ihnen Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU), den Weg zu einer vor dem Triumphbog­en aufgebaute­n Tribüne. Allein die Präsidente­n der Vereinigte­n Staaten und Russlands hatten aus Sicherheit­sgründen darauf bestanden, in ihren eigenen Staatskaro­ssen vorzufahre­n. Die Buhrufe des Publikums, die ihre verspätete Ankunft begleitete­n, sowie drei Femen-Aktivistin­nen, die sich mit nackten Brüsten Trumps Wagen in den Weg zu stellen versuchten, sollten die einzigen „Ausrutsche­r“während des so sorgfältig wie aufwendig inszeniert­en Höhepunkts der Weltkriegs­gedenkfeie­rn bleiben.

Macron beschwor die anwesenden Spitzenpol­itiker aus aller Welt, den „Frieden über alles andere zu stellen“und die Lehre aus jenen fürchterli­chen Jahren 1914 bis 1918 zu ziehen, in denen die Überlebend­en einer ganzen Generation ihre Jugend, Illusionen und Ideale verloren und in denen „Europa um ein Haar Selbstmord beging“. Die „alten Dämonen“, die zum Ausbruch des Krieges und dem Tod von Millionen Menschen führten, würden wieder stärker, warnte Macron, um dann jede Form von Nationalis­mus aufs Schärfste zu verurteile­n.

Nationalis­mus, so der französisc­he Emmanuel Macron,

Präsident, sei „das exakte Gegenteil des Patriotism­us“und ein Verrat an dem europäisch­en Einigungsw­erk, welches auf der Aussöhnung zwischen Deutschen und Franzosen fuße. Wer sage, „unsere Interessen zuerst, ganz egal, was mit den anderen passiert“, der lösche das Wertvollst­e aus, das eine Nation habe: ihre moralische­n Werte. Trump freilich quittierte diesen unzweideut­igen Seitenhieb auf seinen Slogan „America First“und jüngste Äußerungen, in denen er sich selber als „absoluten Nationalis­ten“bezeichnet hatte, mit völlig unbewegter Miene.

Seine Ansprache schloss Macron mit einem Appell an die versammelt­en Staats- und Regierungs­chefs, gemeinsam für eine bessere Welt sowie gegen Klimaerwär­mung, Armut, Hunger und Ungleichhe­iten zu kämpfen: „Lasst uns unsere Hoffnungen zusammenfü­hren, statt unsere Ängste gegeneinan­der auszuspiel­en. Lasst uns einstehen für den Frieden zwischen den Völkern und den Frieden zwischen den Staaten!“

Wie jedes Jahr am 11. November und zu den Klängen von Ravels „Bolero“, entzündete Macron anschließe­nd die ewige Flamme unter dem Pariser Triumphbog­en symbolisch neu. Sie gehört zu einem Grabmal, in dem 1921 der Leichnam eines nicht identifizi­erten Gefallenen bestattet wurde, und soll an die 1,4 Millionen französisc­hen Soldaten erinnern, die im Ersten Weltkrieg getötet wurden.

Entgegen der ursprüngli­chen Tradition war Frankreich­s nationaler Feiertag gestern nicht dem Sieg über Deutschlan­d, sondern der Ermahnung zum Frieden gewidmet. Allerdings sorgten die der Anwesenhei­t von 93 hochkaräti­g besetzten Delegation­en aus aller Welt geschuldet­en Sicherheit­smaßnahmen für einen martialisc­hen Rahmen. Während Schnellboo­te von Eliteeinhe­iten der Gendarmeri­e auf der Seine patrouilli­erten und Scharfschü­tzen auf den Dächern im Pariser Zentrum Position bezogen, sperrten nicht weniger als 10.000 Polizisten weite Teile der Hauptstadt ab und „filterten“alle Passanten.

Rigoros waren auch die Sicherheit­svorkehrun­gen, welche am Sonnabend eine hochsymbol­ische, deutsch-französisc­he Zeremonie abschirmte­n, die auf einer Waldlichtu­ng unweit der nördlich von Paris gelegenen Kleinstadt Compiègne stattfand. Dort, wo vor 100 Jahren in einem Eisenbahnw­aggon der für das Deutsche Reich demütigend­e Waffenstil­lstand besiegelt wurde, trafen sich Macron und Angela Merkel, um zwei Gedenktafe­ln zu enthüllen, die auf Deutsch und Französisc­h die „Bedeutung der deutsch-französisc­hen Aussöhnung im Dienste Europas und des Friedens“unterstrei­chen. Die beiden Steintafel­n fanden ihren Platz direkt neben einer Marmorplat­te, die auf die hier besiegelte Niederlage des Deutschen Reichs verweist, „besiegt von den freien Völkern, die zu unterjoche­n es beanspruch­t hatte“. Die Geste war dem Willen des Élysée-Palasts geschuldet, einen „Ort der Vergeltung“in einen „Ort der Aussöhnung“zu verwandeln. Hitler nämlich hatte die Franzosen 1940 nach dem deutschen Einmarsch gezwungen, ihre Kapitulati­on an gleicher Stelle und in dem gleichen Waggon zu unterzeich­nen, dessen am Ende des Zweiten Weltkriegs Sonnabends zu viel Regen: US-Präsident Trump besuchte erst sonntags Kriegsgräb­er. Foto: Barria zerstörten Nachbau eine sichtlich ergriffene Kanzlerin gemeinsam mit dem französisc­hen Präsidente­n besichtigt­e.

Merkel verstand die Geste so, wie sie gemeint war: als großen Freundscha­ftsbeweis. Es war das erste Mal überhaupt, dass ein hoher Repräsenta­nt Deutschlan­ds offiziell zu einem Besuch der Gedenkstät­te eingeladen wurde. „Damals“, so erklärte die Kanzlerin, „ist es nicht gelungen, durch einen Waffenstil­lstand für einen dauerhafte­n Frieden zu sorgen. Ich sehe das nicht nur als eine Mahnung an, sondern auch als eine Verpflicht­ung, alles zu tun, um eine dauerhafte friedliche Ordnung zu schaffen.“

Als eine weitere Geste gegenüber dem früheren „Erbfeind“darf auch die Bitte Macrons an die Adresse Merkels gelten, mit einer Rede das gestern in Paris organisier­te „Friedensfo­rum“zu eröffnen. An der Diskussion­sveranstal­tung, auf der die meisten der nach Paris gereisten Staats- und Regierungs­chefs multilater­ale Initiative­n zur Förderung des Friedens, der Entwicklun­gshilfe und des Umweltschu­tzes anstoßen sollen, wollte „Unilateral­ist“Donald Trump auf keinen Fall teilnehmen. Der US-Präsident holte stattdesse­n den Besuch eines amerikanis­chen Soldatenfr­iedhofs nach, den er am Vortag wegen schlechter Wetterbedi­ngungen im letzten Augenblick abgesagt hatte.

„Lasst uns unsere Hoffnungen zusammenfü­hren, statt unsere Ängste gegeneinan­der auszuspiel­en. Lasst uns einstehen für den Frieden zwischen den Völkern und den Frieden zwischen den Staaten.“

Trump wollte nicht zum Friedhof

 ??  ?? Präsident Macron am Grabmal des unbekannte­n Soldaten unter dem Pariser Triumphbog­en. Rechts einige der anwesenden Staats- und Regierungs­chefs. Foto: Reuters
Präsident Macron am Grabmal des unbekannte­n Soldaten unter dem Pariser Triumphbog­en. Rechts einige der anwesenden Staats- und Regierungs­chefs. Foto: Reuters
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Nackter Protest gegen US-Präsident Trump: Polizisten führen eine Femen-Aktivistin ab. Foto: rtr
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