Thüringische Landeszeitung (Jena)
Der Populismus der Mitte wirft viele Fragen auf
Unterschiedliche soziale Gruppen der deutschen Bevölkerung haben sich nahezu nichts mehr zu sagen
Carlo Ermark aus Erfurt schreibt: Nachdem inzwischen allgemein bekannt ist, dass es den Populismus der sogenannten politischen linken und rechten Ränder gibt, denen fast traditionell medial immer wieder auch die Parteien Die Linke und AfD zugeordnet werden, möchte ich anregen, auch den Populismus der (neoliberalen) Mitte zur Diskussion zu stellen.
Insbesondere geht es um die Frage, ob es einen solchen Populismus gibt und wenn ja, wie er einzuordnen ist. Gerade in der aktuellen Zeit, wo sich viele Medien und auch amtierende Politiker/innen an AfD, Pegida, Trump und Co. abarbeiten, nachdem lange Jahre und bis heute medial die politische Mitte als Hort der Vernunft verkauft wurde, bleiben doch angesichts aktueller bedrohlicher Entwicklungen viele Fragezeichen!
Wie konnte es eigentlich passieren, dass so viele Menschen dieser teilweise selbst ernannten Mitte die Stange hielten, angesichts dessen, dass immer offensichtlicher wurde, dass ganze Themengebiete wie Klimaschutz und Verteilungsgerechtigkeit vernachlässigt wurden? Wie konnte es passieren, dass Politik jetzt erst auf immensen Bürgerdruck handelt, was diese Themen anbelangt ? Wie konnte es passieren, dass ganze Landstriche von der Politik nicht beachtet wurden und sozialökologischer Strukturwandel ausgesessen wurde? Wie konnte es passieren, dass das flache Land verlassen wird und der Druck auf die Städte einschließlich der daraus erwachsenden Wohnpreise in den Metropolen kaum mehr zu beherrschen ist? Wie konnte es passieren, dass einer der reichsten Staaten dieser Erde (pro Kopf gerechnet), völlig unvorbereitet auf Fluchtbewegungen war und ist, die sich aus vielerlei Gründen wie Krieg, Armut oder Klima schon lange Jahre am Horizont abzeichnen? Waren oder sind die Grünen populistisch, weil sie immer schon vor Industrielobbypolitik und Zerstörung unserer Lebensgrundlagen gewarnt haben? Sind die Grünen die neue Mitte?
Wie konnte es passieren, wie der Sozialwissenschaftler Hartmut Rosa es treffend beschreibt, dass sich die verschiedenen sozialen Gruppen der deutschen Bevölkerung nahezu nichts mehr zu sagen haben und ihre Lebenswelten krass auseinanderklaffen? Wo ist da die Vernunft der sogenannten politischen Mitte zu erkennen, die seit Langem in Form einer großen Koalition regiert. Und wer war es, der sie möglicherweise populistisch schöngeredet hat? Welchen Anteil daran trugen die Medien? Und welche Medien waren dabei kritischer: die öffentlich-rechtlichen oder die privaten Medien?