Thüringische Landeszeitung (Jena)
Druck auf Boeing wächst
Äthiopische Unfallermittler: Vor dem Absturz einer 737 Max hielten sich die Piloten an die Vorgaben des Herstellers
VON ALEXANDER KLAY
BERLIN. Nach dem zweiten Absturz einer Boeing 737 Max innerhalb weniger Monate steigt der Druck auf den US- Flugzeughersteller. Der vorläufige Untersuchungsbericht zu dem Unfall am 10. März in Äthiopien entlastet die Piloten. Die fast werksneue Maschine der Ethiopian Airlines war kurz nach dem Start in der Hauptstadt Addis Abeba abgestürzt. Alle 157 Menschen an Bord starben. Die Crew habe zuvor alle Vorgaben von Boeing befolgt, sagte die äthiopische Transportministerin, Dagmawit Moges, am Donnerstag: „ Aber sie war nicht in der Lage, das Flugzeug unter Kontrolle zu bringen.“
Damit dürfte das umstrittene Steuerungssystem MCAS weiter in den Fokus der Ermittler rücken. Es wird im Bericht zwar nicht explizit erwähnt. Es gilt jedoch auch als mögliche Ursache für den Absturz einer baugleichen Maschine der indonesischen Lion Air im Oktober, bei dem alle 189 Insassen starben. Das MCAS soll in Extremsituationen im Steigflug einen Strömungsabriss durch das Absenken der Nase verhindern. Den äthiopischen Ermittlern zufolge seien auch im jüngsten Fall Anzeichen dafür gefunden worden, dass die Maschine die Nase mehrmals eigenmächtig nach unten gedrückt habe. Die Behörden haben Boeing dazu aufgefordert, die Steuerungssoftware zu überprüfen.
Den Bericht will Äthiopien an diesem Freitag veröffentlichen. Direkte Schuldzuweisungen gibt es darin nicht, das ist üblich. „ Der Untersuchungsbericht soll Sicherheit gewährleisten und keine Schuld zuweisen“, sagte Moges. Abschließende Ergebnisse sollen innerhalb eines Jahres vorliegen. Boeing erklärte, den Bericht prüfen zu wollen.
Der Hersteller hat bislang zwar bestritten, dass vom MCAS ein Sicherheitsrisiko ausgeht, arbeitet aber an einem Update für die Steuerungssoftware. Boeing hatte bereits nach dem ersten Absturz in Indonesien Instruktionen zum Abstellen der Funktion herausgegeben, die US- Luftfahrtaufsicht veröffentlichte eine Notfallrichtlinie. Die Abstürze sind für Boeing und die US- Aufsichtsbehörde FAA brisant. Erst seit 2017 ist die spritsparende Neuauflage des 50 Jahre alten Jets für Kurzund Mittelstrecken im Einsatz. Der Hersteller durfte bei der Zulassung wesentliche Teile der Sicherheitsprüfungen selbst übernehmen. Auch steht Boeing laut US- Medien im Verdacht, bei der Zertifizierung Informationen unterschlagen zu haben.
Für die 376 ausgelieferten Flugzeuge des Typs besteht ein weltweites Flugverbot. Auch europäische Airlines hatten Dutzende Exemplare im Einsatz. Das sogenannte Grounding gilt bis zur Zulassung einer neuen Steuerungssoftware, was noch Wochen oder Monate dauern könnte. Boeing hat für die neueste Version seines Massenmodells über 5000 Bestellungen vorliegen.
Das Flugverbot betrifft auch zwei Airlines aus Deutschland. Die Ferienflieger TUIfly und Sunexpress wollten in diesen Wochen jeweils ihre erste 737 Max übernehmen. Die Fluggesellschaften setzen große Erwartungen in das Modell. Gegenüber der Vorgängerversion 737 NG verbraucht die Max- Reihe mit spritsparenden Triebwerken rund 16 Prozent weniger Kerosin – allein das bedeutet eine Einsparung von einer Million Euro pro Maschine und Jahr, heißt es in der Branche. Zudem sind die neuen Flugzeuge deutlich leiser als ihre Vorgänger. Die erste Maschine mit dem Kennzeichen D- AMAX wollte TUIfly ursprünglich am 13. März abholen. Bei den europäischen Schwesterairlines aus dem Reisekonzern TUI flogen bereits 15 Flugzeuge der Reihe 737 Max. Nun muss für die nahende Hauptreisezeit Ersatz her. Der Konzern hat die finanziellen Folgen für den Ausfall der neuen Jets und die Miete von Ersatzflugzeugen bis Mitte Juli mit 200 Millionen Euro beziffert. Sollte es bis zur Freigabe der 737 Max durch die Luftsicherheitsbehörden noch länger dauern, erwartet der Konzern bis zum Ende der Urlaubssaison eine Belastung von weiteren 100 Millionen Euro. Sunexpress, eine Tochter von Lufthansa und Turkish Airlines, wollte in diesem Jahr die ersten acht von insgesamt 32 bestellten 737 Max in die Flotte aufnehmen. Die Übergabe der ersten Maschine war für den 19. April geplant. Der Termin scheint nun hinfällig. Zu den Kosten, die durch die Verzögerung entstehen, will sich das Unternehmen auf Nachfrage nicht äußern. Sunexpress kündigte aber gegenüber unserer Redaktion an, bei wirtschaftlichen Schäden Ersatzansprüche zu prüfen. Das hat auch der Billigflieger Norwegian vor: Seitdem das Flugverbot verhängt wurde, muss die Fluggesellschaft auf einen wichtigen Teil ihrer Flotte verzichten.