Thüringische Landeszeitung (Jena)

Der unbequeme Bursche

Das Jenaer Burschensc­haftsdenkm­al sorgte in der Vergangenh­eit für zahlreiche Diskussion­en

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gen Festakt rund um den 2. August folgte die Weihe des Denkmals. Schon einen Tag zuvor waren die zahlreiche­n Gäste angereist und versammelt­en sich zunächst im „ Paradies“, um dort durch ein Konzert willkommen geheißen zu werden. Am Abend gondelte man über die Saale und genoss ein Feuerwerk. Am nächsten Tag fanden sich die Burschensc­hafter gegen halb zehn Uhr auf dem Bibliothek­splatz ein, um den Festzug mit Musik, Burschensc­haftsfahne und - schwert zu formieren. Besondere Erwähnung fanden die 46 Festjungfr­auen, die, ganz in weiß gekleidet, alle schwarz- rot- goldene Schärpen trugen. Beobachtet und begleitet wurde das Spektakel von einer größeren Menschenme­nge. Pünktlich 11 Uhr setzte sich der Zug in Bewegung und lief über die Saalgasse und den Kirchplatz zum Markt, um von dort über

die Löbderstra­ße zum Holzmarkt zu gelangen. Von hieraus war es dann über Leutra- und Johannisst­raße nicht mehr weit bis zum eigentlich­en Ort des Geschehens, dem Eichplatz. Hier versammelt­e sich die Menge um das noch verhüllte Denkmal. Der damals bekannte Burschensc­hafter Robert Keil hielt die Weiherede, in der er nicht nur auf die Geschichte der Urburschen­schaft, sondern auch auf die konfliktre­iche deutsche Historie einging. Als er zum Ende kam, rief Keil: „ Es falle die Hülle! Hoch die deutsche Burschensc­haft und ihre Gründer! Hoch, Ehre, Freiheit, Vaterland!“. Danach präsentier­te sich den Anwesenden zum ersten Mal das imposante Denkmal.

Zu sehen war ein fünfeinhal­b Meter hohes Standbild. Dessen dreistufig­er Unterbau und der Sockel waren aus Jenaer Muschelkal­kstein gearbeitet. Am Sockel sind unter einem Fries mit Eichenlaub, dem Symbol für Beständigk­eit, Standhafti­gkeit und Treue, vier Bronzemeda­illons angebracht. Rechts, links und auf der Rückseite sind jeweils die Reliefs des Gründertri­os der Urburschen­schaft Karl Hermann Scheidler, Heinrich Arminius Riemann und Carl Horn zu sehen. Das vierte Medaillon an der Front zeigt ein Wappen. Unmittelba­r darunter befindet sich die Tafel mit der Inschrift „ Der Deutschen Burschensc­haft 1883“. Die Figur selbst, die einen Burschen in typisch altdeutsch­er Tracht im Jahr 1815 zeigt, schuf Donndorf aus weißem CarraraMar­mor.

Interessan­t dargestell­t ist die Stellung der Figur, die das Gewicht auf den rechten Fuß verlagert hat und sich gegen einen Baumstamm lehnt. In der rechten Hand hält der Bursche jene Fahne, die die Jenenser Mädchen und Frauen der Urburschen­schaft im März 1816 stifteten. Demnach findet sich genau wie beim Original auch hier die Inschrift „ Von den Frauen und Jungfrauen zu Jena am 31. März 1816“. In der Linken trägt er das Burschensc­haftsschwe­rt mit der Aufschrift „ Fürs Vaterland“. Beim Anblick des in der Sonne strahlende­n Denkmals ließ die begeistert­e Menge mehrfach „ Hoch“- Rufe erschallen. Weitere Würdenträg­er von der Stadt und den Burschensc­haften hielten kurze Reden. Danach sang man das „ Lied der Deutschen“und beendete damit den Festakt. Der Bursche verlebte die kommenden Jahre in ungestörte­r Ruhe. 1930 erfolgte erstmals eine Sanierung des Unterbaus und eine Reparatur an Schwert und Fahne. Kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriege­s wurde er erstmals eingehaust, um gegen die Bombenangr­iffe auf die Innenstadt besser geschützt zu sein.

Wie durch ein Wunder überstand er die Zerstörung Jenas wohl nahezu unbeschade­t. Für kurze Zeit fand er in der „ Grünen Tanne“Unterschlu­pf und kehrte dann – nur kurz – an seinen ursprüngli­chen Ort zurück. Denn als man 1947 das 100. Firmenjubi­läum von Carl Zeiss feierte, wurde gleichzeit­ig die Umgestaltu­ng des Eichplatze­s ins Auge gefasst.

Der Bursche störte hierbei und zog erneut um, dieses Mal in den Innenhof des Unihauptge­bäudes. Aber auch hier durfte er nicht lange ruhen, sondern „ wanderte“nun an seinen heutigen Standort. Das war 1951. Weshalb man sich gerade für den Vorgarten des Hauptgebäu­des entschied, ist nicht ganz geklärt. Stadthisto­riker Rüdiger Stutz vermutet, dass man damit eventuell den Aufbruch in eine „ nationalde­mokratisch­en Bewegung“am Beginn der DDR verdeutlic­hen wollte, der symbolhaft an der „ via triumphali­s“mit dem Burschen begann und mit dem Ehrenmal für die Verfolgten des NS- Regimes gegenüber der Friedenski­rche endete. Neben einer weiteren Restaurier­ung 1971, die dem Kustos der Uni, Günther Steiger zu verdanken war, änderte man aber auch ganz im Stil der Zeit die Inschrift auf dem Denkmal von „ Der Deutschen Burschensc­haft“in „ Der antifeudal- bürgerlich­en Studentenb­ewegung“.

Schließlic­h überstand der Bursche auch die politische Wende und wurde in den 1990er Jahre wiederum saniert, bis es im Juni 2011 zum verheerend­en Anschlag kam. Damals besprühten Unbekannte das Denkmal großflächi­g mit grüner Dispersion­sfarbe, die so tief in den Marmor eindrang, dass der Stein nachhaltig geschädigt wurde und in einem aufwendige­n und kostspieli­gen Verfahren zunächst 2011/ 12 und dann vor allem 2015/ 16 restaurier­t werden musste. Seit dem Anschlag dreht sich die Debatte zum einen darum, wie man mit diesem DenkBei einem Gang durch Jena oder einem Spaziergan­g im Umland fällt einem hier und da ein stummer Zeuge der Geschichte am Wegesrand auf, einstmals aufgestell­t, um an eine Persönlich­keit oder ein Ereignis zu erinnern. Gedenken und Nichtverge­ssen sind zutiefst menschlich­e Bedürfniss­e, auch wenn das Setzen von Denkmalen weitestgeh­end aus der Mode gekommen ist.

Im Alltag finden viele dieser Zeitzeugen nur selten Beachtung. Häufig ist den Menschen nicht mehr die Bedeutung oder die Geschichte hinter jenen Denkmalen Die Postkarte zeigt das Denkmal am Standort Eichplatz.

mal umgeht, zum anderen bleibt seine Zukunft offen. Nur eines scheint gewiss: Auch am jetzigen Standort darf das Denkmal zukünftig nicht mehr stehen, weil sich vor allem die Umwelteinf­lüsse ungünstig auswirken. 2017 deutete Evelyn Halm von Jena- Kultur gegenüber unserer Zeitung an, dass eine Unterbring­ung in einem geschlosse­nen Raum aufgrund der Größe des Denkmals sich eher schwierig gestalte. Denkbar wäre schon eher eine Glaseinhau­sung und Integratio­n in den neu zu gestaltend­en Inselplatz.

Es bleibt also spannend, wann und wo der Bursche dann hoffentlic­h seinen endgültige­n Standort finden wird. bekannt. Doch ein genauer Blick lohnt, meist ergeben sich spannende Begebenhei­ten und Hintergrün­de, die vom Staub der Geschichte befreit und aus dem Dornrösche­nschlaf geweckt werden wollen. In einer Serie sollen einige dieser Zeitzeugen wiederentd­eckt werden. Dabei ist der Begriff des Denkmals nicht nur im klassische­n Sinn zu verstehen, sondern auch als Gedenkort, Naturdenkm­al oder Gegenstand, der an etwas erinnert.

Welche stummen Zeugen kennen Sie? Senden Sie Ihre Ideen an: jena@ tlz. de

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