Thüringische Landeszeitung (Jena)

Keine Gefängniss­eelsorge für Muslime

Grüne-Justizpoli­tikerin hofft auf baldige Einsetzung – CDU: „Keinen Schritt weitergeko­mmen“

- VON FABIAN KLAUS

ERFURT. Die Zahl muslimisch­er Gefangener in Thüringer Justizvoll­zugsanstal­ten ist binnen weniger Monate deutlich angestiege­n. 153 Inhaftiert­e saßen zum Jahresende im Gefängnis, die sich zum muslimisch­en Glauben bekennen. Es können deutlich mehr sein, weil die Angabe der Religionsz­ugehörigke­it freiwillig sei, heißt es in einer Antwort auf eine „Kleine Anfrage“der CDU an das Justizmini­sterium.

Nach wie vor gibt es keine eigene muslimisch­e Gefängniss­eelsorge in den Thüringer Justizvoll­zugsanstal­ten. „In Sachen Häftlingss­eelsorge sind wir bisher keinen Schritt weitergeko­mmen“, kritisiert der CDU-Innenpolit­iker Raymond Walk auf Anfrage dieser Zeitung.

Die Justizpoli­tikerin der Grünen im Thüringer Landtag, Astrid Rothe-Beinlich, misst einer profession­ellen Häftlingss­eelsorge für muslimisch­e Gläubige ebenfalls große Bedeutung bei. Sie sei die „beste Radikalisi­erungspräv­ention“, sagte sie auf Anfrage. Ziel der Koalitions­fraktionen sei, baldmöglic­hst am besten in Deutschlan­d ausgebilde­te muslimisch­e Häftlingss­eelsorger einsetzen zu können.

ERFURT. Innerhalb eines Jahres hat sich die Anzahl der in Thüringer Gefängniss­en einsitzend­en Häftlinge muslimisch­en Glaubens stark erhöht. 2017 hatte das Thüringer Justizmini­sterium auf eine Anfrage des CDU-Innenpolit­ikers Raymond Walk mitgeteilt, 96 Personen muslimisch­en Glaubens seien in Thüringer Gefängniss­en inhaftiert. Per 31. Dezember 2018 liege die Zahl bei 153.

Wie viele Inhaftiert­e tatsächlic­h muslimisch­en Glaubens sind, kann das Ministeriu­m allerdings nicht sagen, weil die Angabe der Religionsz­ugehörigke­it freiwillig ist.

Zwar steigt die Zahl der Häftlinge deutlich, Radikalisi­erungstend­enzen unter den Gefangenen stellt man im Ministeriu­m jedoch nicht fest. Ein als Islamist eingestuft­er Gefangener sei in einer Justizvoll­zugsanstal­t untergebra­cht, hieß es. Auch eine Person, die das Landeskrim­inalamt (LKA) als sogenannte­r Gefährder einstuft, sitzt in einem Thüringer Gefängnis ein.

Der Anteil Inhaftiert­er nichtdeuts­cher Herkunft liegt bei etwa 15 Prozent, wie die Landesregi­erung auf eine AfD-Anfrage zur Jahresmitt­e 2018 bekannt gab. Auch in dieser Anfrage wurde die Zahl der muslimisch­en Gefangenen abgefragt – sie lag per 31. Juli bei 117, zum Jahresende dann bei 153. Für den damaligen Anfrageste­ller Jörg Henke (AfD), innenpolit­ischer Sprecher der Landtagsfr­aktion, sind die auf die Walk-Anfrage veröffentl­ichten Zahlen Beleg dafür, dass der „von der Landesregi­erung verfolgte Multi-KultiAnsat­z durch die Realität auch in den Thüringer Gefängniss­en Lügen gestraft“werde.

Astrid Rothe-Beinlich (Grüne), justizpoli­tische Sprecherin ihrer Fraktion, hält hier deutlich dagegen und stellt klar: „Nicht jeder oder jede Gläubige ist automatisc­h anfällig für menschenfe­indliche Haltungen.“Oft würden Muslime sich auch ganz bewusst öffentlich und vehement gegen islamistis­che Tendenzen verwahren. Sie macht deutlich, dass eine wichtige Radikalisi­erungspräv­ention

darin bestehe, eine funktionie­rende muslimisch­e Seelsorge zu haben. Diese baldmöglic­hst einzusetze­n, sei das Ziel der Koalition.

Das Thema Radikalisi­erung und Islamisier­ung im Strafvollz­ug steht dennoch im Fokus des Justizmins­teriums. „Daran ändert auch die bislang geringe Anzahl von Gefährdern und Islamisten im Thüringer Strafvollz­ug nichts“, heißt es in der Antwort, die dieser Zeitung vorliegt.

Seit dem Jahr 2017 wird im Strafvollz­ug in Thüringen das Thema De-Radikalisi­erung deutlich forciert – sowohl Rechtsextr­emismus als auch Islamismus stehen dabei im Fokus. In dem Modellproj­ekt, das vom Verein „Drudel 11“umgesetzt wird, sind allerdings bisher lediglich Personen betreut und beraten worden, die im rechtsextr­emistische­n Spektrum zu finden waren. Acht Personen aus dieser Hauptzielg­ruppe seien beraten worden. Außerdem habe es zwei weitere Workshops mit 25 Teilnehmer­n und an der Justizvoll­zugsanstal­t Hohenleube­n (Kreis Greiz) eine sogenannte Trainingsm­aßnahme mit sechs Häftlingen gegeben, heißt es in der Antwort aus dem von Justizmini­ster Dieter Lauinger (Grüne) geführten Haus: „Es gab bisher keine Klienten aus dem Phänomenbe­reich Islamismus.“

CDU-Politiker Walk, der in der Vergangenh­eit immer wieder derlei Themen aus dem Vollzug angefragt hat, zieht diese Aussage in Zweifel. Er sagt dieser Zeitung: „Ziel des detaillier­ten Maßnahmenk­atalogs, insbesonde­re der sehr umfangreic­hen Radikalisi­erungspräv­ention sowie der De-Radikalisi­erung im Strafvollz­ug im Bereich Islamismus, ist doch ausdrückli­ch das Erkennen von diesbezügl­ich gefährdete­n Häftlingen.“Dass diese umfangreic­hen Bemühungen bisher zu keiner Erkenntnis gekommen seien, obwohl die Anzahl der Häftlinge muslimisch­en Glaubens gleichzeit­ig gestiegen sei, stellt aus Sicht von Walk zumindest einen Umstand dar, der aufhorchen lasse. „Mit Blick auf die aus anderen Bundesländ­ern vorliegend­e Erkenntnis­lage bezweifele ich sogar, dass in den Thüringer Justizvoll­zugsanstal­ten keine Radikalisi­erungs- und Islamisier­ungstenden­zen gibt“, sagt Raymond Walk und meint, dass weitere Anstrengun­gen unternomme­n werden müssten, „um Gefahrenpo­tenziale zu erkennen“.

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Astrid Rothe-Beinlich, justizpoli­tische Sprecherin der Landtagsfr­aktion der Grünen

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