Thüringische Landeszeitung (Jena)
Keine Gefängnisseelsorge für Muslime
Grüne-Justizpolitikerin hofft auf baldige Einsetzung – CDU: „Keinen Schritt weitergekommen“
ERFURT. Die Zahl muslimischer Gefangener in Thüringer Justizvollzugsanstalten ist binnen weniger Monate deutlich angestiegen. 153 Inhaftierte saßen zum Jahresende im Gefängnis, die sich zum muslimischen Glauben bekennen. Es können deutlich mehr sein, weil die Angabe der Religionszugehörigkeit freiwillig sei, heißt es in einer Antwort auf eine „Kleine Anfrage“der CDU an das Justizministerium.
Nach wie vor gibt es keine eigene muslimische Gefängnisseelsorge in den Thüringer Justizvollzugsanstalten. „In Sachen Häftlingsseelsorge sind wir bisher keinen Schritt weitergekommen“, kritisiert der CDU-Innenpolitiker Raymond Walk auf Anfrage dieser Zeitung.
Die Justizpolitikerin der Grünen im Thüringer Landtag, Astrid Rothe-Beinlich, misst einer professionellen Häftlingsseelsorge für muslimische Gläubige ebenfalls große Bedeutung bei. Sie sei die „beste Radikalisierungsprävention“, sagte sie auf Anfrage. Ziel der Koalitionsfraktionen sei, baldmöglichst am besten in Deutschland ausgebildete muslimische Häftlingsseelsorger einsetzen zu können.
ERFURT. Innerhalb eines Jahres hat sich die Anzahl der in Thüringer Gefängnissen einsitzenden Häftlinge muslimischen Glaubens stark erhöht. 2017 hatte das Thüringer Justizministerium auf eine Anfrage des CDU-Innenpolitikers Raymond Walk mitgeteilt, 96 Personen muslimischen Glaubens seien in Thüringer Gefängnissen inhaftiert. Per 31. Dezember 2018 liege die Zahl bei 153.
Wie viele Inhaftierte tatsächlich muslimischen Glaubens sind, kann das Ministerium allerdings nicht sagen, weil die Angabe der Religionszugehörigkeit freiwillig ist.
Zwar steigt die Zahl der Häftlinge deutlich, Radikalisierungstendenzen unter den Gefangenen stellt man im Ministerium jedoch nicht fest. Ein als Islamist eingestufter Gefangener sei in einer Justizvollzugsanstalt untergebracht, hieß es. Auch eine Person, die das Landeskriminalamt (LKA) als sogenannter Gefährder einstuft, sitzt in einem Thüringer Gefängnis ein.
Der Anteil Inhaftierter nichtdeutscher Herkunft liegt bei etwa 15 Prozent, wie die Landesregierung auf eine AfD-Anfrage zur Jahresmitte 2018 bekannt gab. Auch in dieser Anfrage wurde die Zahl der muslimischen Gefangenen abgefragt – sie lag per 31. Juli bei 117, zum Jahresende dann bei 153. Für den damaligen Anfragesteller Jörg Henke (AfD), innenpolitischer Sprecher der Landtagsfraktion, sind die auf die Walk-Anfrage veröffentlichten Zahlen Beleg dafür, dass der „von der Landesregierung verfolgte Multi-KultiAnsatz durch die Realität auch in den Thüringer Gefängnissen Lügen gestraft“werde.
Astrid Rothe-Beinlich (Grüne), justizpolitische Sprecherin ihrer Fraktion, hält hier deutlich dagegen und stellt klar: „Nicht jeder oder jede Gläubige ist automatisch anfällig für menschenfeindliche Haltungen.“Oft würden Muslime sich auch ganz bewusst öffentlich und vehement gegen islamistische Tendenzen verwahren. Sie macht deutlich, dass eine wichtige Radikalisierungsprävention
darin bestehe, eine funktionierende muslimische Seelsorge zu haben. Diese baldmöglichst einzusetzen, sei das Ziel der Koalition.
Das Thema Radikalisierung und Islamisierung im Strafvollzug steht dennoch im Fokus des Justizminsteriums. „Daran ändert auch die bislang geringe Anzahl von Gefährdern und Islamisten im Thüringer Strafvollzug nichts“, heißt es in der Antwort, die dieser Zeitung vorliegt.
Seit dem Jahr 2017 wird im Strafvollzug in Thüringen das Thema De-Radikalisierung deutlich forciert – sowohl Rechtsextremismus als auch Islamismus stehen dabei im Fokus. In dem Modellprojekt, das vom Verein „Drudel 11“umgesetzt wird, sind allerdings bisher lediglich Personen betreut und beraten worden, die im rechtsextremistischen Spektrum zu finden waren. Acht Personen aus dieser Hauptzielgruppe seien beraten worden. Außerdem habe es zwei weitere Workshops mit 25 Teilnehmern und an der Justizvollzugsanstalt Hohenleuben (Kreis Greiz) eine sogenannte Trainingsmaßnahme mit sechs Häftlingen gegeben, heißt es in der Antwort aus dem von Justizminister Dieter Lauinger (Grüne) geführten Haus: „Es gab bisher keine Klienten aus dem Phänomenbereich Islamismus.“
CDU-Politiker Walk, der in der Vergangenheit immer wieder derlei Themen aus dem Vollzug angefragt hat, zieht diese Aussage in Zweifel. Er sagt dieser Zeitung: „Ziel des detaillierten Maßnahmenkatalogs, insbesondere der sehr umfangreichen Radikalisierungsprävention sowie der De-Radikalisierung im Strafvollzug im Bereich Islamismus, ist doch ausdrücklich das Erkennen von diesbezüglich gefährdeten Häftlingen.“Dass diese umfangreichen Bemühungen bisher zu keiner Erkenntnis gekommen seien, obwohl die Anzahl der Häftlinge muslimischen Glaubens gleichzeitig gestiegen sei, stellt aus Sicht von Walk zumindest einen Umstand dar, der aufhorchen lasse. „Mit Blick auf die aus anderen Bundesländern vorliegende Erkenntnislage bezweifele ich sogar, dass in den Thüringer Justizvollzugsanstalten keine Radikalisierungs- und Islamisierungstendenzen gibt“, sagt Raymond Walk und meint, dass weitere Anstrengungen unternommen werden müssten, „um Gefahrenpotenziale zu erkennen“.