Thüringische Landeszeitung (Jena)
Untergang der Intelligenzbestie
Immer wieder stehen wir mit ehrfürchtigem Staunen – und leichtemGruselauch–vordem gewaltigen Getriebe dieser Welt. Mit immer neuer Begeisterung sehen wir dem sinnreichen Wirken der Kolben und Pleuel zu, bewundern das pünktliche Ineinandergreifen der Zahnräder und Kontergewichte vom ersten Tage an. Schon da war es so, dass Gott der Herr erzürnt die Sintflut schickte und im gleichen Atemzug reuig bei der NoahWerft den Auftrag zum Bau eines robusten Wasserfahrzeugs auslöste. Das hat die Angst vor dem Untergang der Welt in unser Herz gesenkt und in unsere Kehle den Shanty „Ein Schiff wird kommen . . .“
So auch jetzt wieder. Gerade haben wir lesen müssen, dass der Intelligenzquotient sinkt. Dramatisch und fast überall in der westlichen Welt. Während der Mensch in den letzten Jahrzehnten immer schlauer wurde, der IQ-Wert von Generation zu Generation um bis zu 25 Punkte stieg und der Schachweltmeister Gari Kasparow auf einen IQ von 190 kam, war 2004 plötzlich Schluss mit lustig. Statt die Welt mit immer verblüffenderen Erkenntnissen zu überraschen und auf ganz ungeahnte Höhen der Weisheit zu führen, sinkt der Intelligenzquotient Jahr um Jahr weiter ab. Noch wissen die Forscher nicht, woran das liegt – Gene, Bildung, Erziehung, die Digitalisierung gar oder doch nur Jodmangel? Klar scheint, dass wir Punkt um Punkt den Verstand verlieren. Der Mensch ist dabei, mit allem Komfort zu verblöden. Der Dumpfsinn marschiert durch Fußgängerzonen und soziale Netzwerke, und wir sehen uns selbst dabei zu, machen Selfies, twittern und teilen und posten und setzen überall noch eins drauf. Vielleicht muss der Begriff „Intelligenzbestie“künftig völlig neu gedacht werden.
Doch siehe, wo Gefahr ist, ahnte schon Goethe, wächst das Rettende auch! Denn wieder setzte sich das große Räderwerk knarrend in Bewegung und fördert pünktlich zum Absinken des IQ, des Intelligenzquotienten, das Aufsteigen der KI, der Künstlichen Intelligenz, ans Licht des Tages. Euphorisch begrüßt und skeptisch empfangen, schaltet und waltet sie schon all überall. Sie schwenkt Bauteile durch Werkhallen, montiert auf Förderbändern Autos zusammen, die sie später selber fährt – und wenn sie das zu schnell tut, „blitzt“sie sich auch noch selbst. Sie öffnet uns rechtzeitig das Garagentor, wärmt das Bett und die Heizung vor und hält unter ihrem Rufnamen „Alexa“die Familie zusammen. Auch verfügt sie über ein enzyklopädisches Wissen, ist musisch begabt, und wenn man sie bittet, singt sie laut „Alles im Griff auf dem sinkenden Schiff . . .“