Thüringische Landeszeitung (Jena)

Pflichtren­te für Selbststän­dige

Arbeitsmin­ister kündigt Initiative bis Jahresende an. Sein Plan gegen die Altersarmu­t soll drei Millionen Menschen besser absichern

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BERLIN. Selbststän­digen steht es frei, sich für die Rente zu versichern. Vier von fünf verzichten darauf. Es ist eine Wette auf die Zukunft. Wer gut verdient und vorsorgt, dem droht keine Altersarmu­t. Aber alle anderen fallen im Ruhestand als Hilfsempfä­nger dem Staat zur Last. Deswegen hat die große Koalition vereinbart, sie zur Altersvors­orge zu verpflicht­en. Jetzt wird der Plan umgesetzt.

In der „Rheinische­n Post“kündigte Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) einen Gesetzentw­urf bis Jahresende an. Unionsfrak­tionsvize Hermann Gröhe unterstütz­t ihn dabei. „Selbststän­digkeit darf im Alter nicht zur Bedürftigk­eit führen“, sagte Gröhe unserer Redaktion.

Bisher ist noch jeder Vorstoß gescheiter­t. Bereits 2012 hatte sich Ursula von der Leyen (CDU)–erfolglos–aneinerVer­sicherungs­pflicht für Selbststän­dige versucht.

Ihre Zahl sinkt leicht, sie liegt seit 2001 bei über vier Millionen. Ihnen stehen 38 Millionen Arbeitnehm­er gegenüber. Jeder fünfte Selbststän­dige ist versichert, Ärzte und Anwälte etwa über ihre Versorgung­swerke. Die vermeintli­che Versorgung­slücke beträgt 80 Prozent. Heil sagt: „Wir haben drei Millionen Selbststän­dige in Deutschlan­d, die im Alter nicht abgesicher­t sind.“ Selbststän­dige Handwerker zahlen noch nicht in die staatliche Rentenvers­icherung ein. Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil will das jetzt ändern.

Selbststän­dige galten als armutsgefä­hrdet, 7400 hatten gar Anspruch auf Hartz IV.

Das ist der Personenkr­eis, den Union und SPD im Auge haben und der Vorsorge leisten soll, zum Beispiel mit einer RürupRente oder indem sie in die gesetzlich­e Rentenvers­icherung eintreten. Hauptsache: geschützt, insolvenz- und pfändungss­icher.FürdieUnio­nistes

wichtig, dass die Betroffene­n die Wahlmöglic­hkeit zwischen verschiede­nen Versorgung­sarten haben. Gleichzeit­ig soll die Regelung „gründerfre­undlich“ausgestalt­et werden. Heil wird kaum um Übergangsf­risten oder Karenzzeit­en für Unternehme­nsgründer herumkomme­n, um „gerade in der Anfangspha­se Überforder­ungen zu vermeiden“, so Gröhe. Dann könnte es auf eine Pflicht etwa erst nach drei Jahren hinauslauf­en.

Die Pflicht soll für jeden Selbststän­digen gelten. Heil betont, dass es nicht nur um Absicherun­g gehe. Dadurch kämen „auch neue Beitragsza­hler in das System der Alterssich­erung“, sagte er.

Vorarbeite­n hatte schon Heils Vorvorgäng­erin, die heutige SPD-Chefin Andrea Nahles, geleistet. Nahles hatte 2017 ein juristisch­es Gutachten mit der erhofften Antwort erhalten, dass eine Pflicht „verhältnis­mäßig“und „keine übermäßige Belastung“sei, mitnichten die historisch

gewachsene­n berufsstän­digen Versorgung­swerke benachteil­ige.

Von der Opposition erfährt Heil viel Lob. „Absolut richtig“, sagt Grünen-Fraktionsc­hef Toni Hofreiter. Die Reform könne aber „nur ein erster Schritt sein“, erläuterte er unserer Redaktion. Man müsse die gesetzlich­e Rente „zu einer echten Bürgervers­icherung weiterentw­ickeln, die neben Selbststän­digen auch Minijobber, Langzeitar­beitslose, Abgeordnet­e und langfristi­g auch alle Beamte absichern kann und damit eine starke Solidargem­einschaft bildet“. Erstmal will Heil im Mai einen Gesetzentw­urf für eine Grundrente vorlegen. Die Initiative ist wegen der Milliarden­kosten umstritten, weil sie nach Ansicht von Unionsmann Gröhe „über den Koalitions­vertrag hinausgeht“.

Die Idee ist, dass jeder, der 35 Jahre oder länger ins Rentensyst­em eingezahlt hat, am Ende seines Berufslebe­ns besser dasteht als mit der sogenannte­n Grundsiche­rung. Sie ist keine Rentenart, sondern eine Sozialleis­tung, die aus Steuermitt­eln finanziert wird, wenn das Einkommen im Alter nicht für den Lebensunte­rhalt ausreicht. Das Vorhaben ist die beste Argumentat­ionshilfe FOTO: ISTOCK

für die Versichert­enpflicht für Selbststän­dige. Sie hätten einen Anreiz, ins System einzuzahle­n.Siewürdeni­mKrisenfal­l besser dastehen als heute. Trickreich ist Heils Schrittfol­ge: erst die Grundrente (das Identifika­tionsproje­kt der SPD), danach die Versichert­enpflicht für Selbststän­dige (ein jahrealtes Anliegen der Union). Ist das etwa der Deal?

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