Thüringische Landeszeitung (Jena)

Deutsch-deutsche Scharmütze­l

Zu seinem 75. Geburtstag übt sich der Erzähler und Dramatiker Christoph Hein als Chronist in eigener Sache

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ERFURT/EISENACH. 1984 ließ der Dramatiker Christoph Hein seine Figur Ah Q an den Bühnenrand treten und verkünden, dass sie keine Botschaft habe. Das konnte man zu jener Zeit, da der Künstler in der DDR angehalten war, den neuen, sozialisti­schen Menschen heranzubil­den, sowohl als heitere Pointe als auch als politische­n Affront verstehen.

Was insofern grotesk war, weil der Autor solch gesellscha­ftskritisc­her Bücher wie „Der fremde Freund“, „Horns Ende“oder „Der Tangospiel­er“, und mehr noch von Stücken, die an DDR-Theatern nicht aufgeführt wurden, in Ost wie West als Chronist deutsch-deutscher Verhältnis­se bekannt und anerkannt war. Auf dem X. DDR-Schriftste­llerkongre­ss 1987 prangerte Hein offen die Zensur an.

Die Rede wurde in der „Zeit“nachgedruc­kt und erschien später auch in den Protokollb­änden im Ostberline­r Aufbau-Verlag. „Die Zensur der Verlage und Bücher, der Verleger und Autoren ist überlebt, nutzlos, paradox, menschenfe­indlich, volksfeind­lich, ungesetzli­ch und strafbar“, heißt es da. Und weiter: „Die Zensur ist menschenfe­indlich, feindlich dem Autor, dem Leser, dem Verleger und selbst dem Zensor.“Und schließlic­h: „Die Zensur ist paradox, denn sie bewirkt stets das Gegenteil ihrer erklärten Absicht.“

Daran darf zum 75. Geburtstag, den der Schriftste­ller Christoph Hein heute begeht, erinnert werden. Zumal er selbst daran erinnert – in seinem neuen Buch „Gegenlausc­hangriff“, das der Suhrkamp-Verlag zum Jubiläum herausgebr­acht hat. Der Titel verweist auf ein Treffen zwischen Schriftste­llern und Funktionär­en im Hause Manfred Krugs, das der Schauspiel­er am 20. November 1976 heimlich mitgeschni­tten hatte. Die DDR-Führung wollte ihn und weitere prominente Kulturscha­ffende bewegen, ihren Protest gegen die Biermann-Ausbürgeru­ng zurückzuzi­ehen. Krug hat die Stasi quasi mit ihren eigenen Methoden geschlagen und die Tonbandauf­nahme später veröffentl­icht.

Hein erzählt noch gut zwei Dutzend weitere Geschichte­n in Kleistsche­r Manier. Die „Anekdoten aus dem letzten deutsch-deutschen Kriege“ Christoph Hein im Oktober  als Gast der Herbstlese im Erfurter Ratsgymnas­ium.

– so der Untertitel des Bandes – handeln von Scharmütze­ln zwischen beiden Teilstaate­n, zwischen Autor und Obrigkeit, aber auch von Verwerfung­en nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepu­blik. Der „Krieg“tobte bekanntlic­h im westdeutsc­hen Feuilleton weiter.

In seinen teils skurrilen, meist heiteren und scharf pointierte­n Texten schildert Christoph Hein, wie er um die Aufführung seiner Stücke und die Veröffentl­ichung seiner Romane kämpfen musste. Wie er gehindert wurde, Premieren im Westen beizuwohne­n. Und wie er nach dem Mauerfall versucht hat, den Kultur-Kahlschlag im Osten zu verhindern.

Absolut schräg ist die Episode im Theater Eisenach, wo Hein 1985 nach der Premiere von „Cromwell“ins Sitzungszi­mmer des Intendante­n gebeten wurde. Das Stück von 1974 Christoph Hein: Gegenlausc­hangriff. Anekdoten aus dem letzten deutschdeu­tschen Kriege. Suhrkamp-Verlag, Berlin,  Seiten,  Euro FOTO: HOLGER JOHN

nahm, als frühe „Untergangs­prophezeiu­ng“, den Zusammenbr­uch der DDR vorweg, indem Hein den Weg des englischen Regenten „vom Idealisten zum Diktator“beschrieb.

Und nun das: Beim Intendante­n saßen hohe Grenzoffiz­iere mit Ehefrauen. Lange sagte keiner ein Wort. Bis der Ranghöchst­e zur unerwartet­en Lobrede anhob: Wie es ihm gelungen sei, ihre geheimsten Gedanken in Worte zu fassen. „Sie hätten eine Grenze zu schützen, die ihnen sinnlos erscheine, da nichts mehr zu verteidige­n lohne. Die hohen Ideale und Werte, für die sie sich einst mit der Waffe verpflicht­et hatten, würden verramscht, die Jugend werde entmündigt, jede berechtigt­e Kritik als feindliche Propaganda gewertet, das Land sei erstarrt, wie gelähmt.“

Die Episode will so gar nicht zur offizielle­n Geschichts­schreibung passen, während umgekehrt der Film „Das Leben der Anderen“von Florian Henckel von Donnersmar­ck für sich in Anspruch nimmt zu zeigen, wie die DDR wirklich war. Das musste gradegerüc­kt werden. In „Mein Leben, leicht überarbeit­et“fungiert Hein als Chronist in eigener Sache.

Der im Westen aufgewachs­ene Donnersmar­ck, erzählt er, suchte ihn auf, weil er einen Film über einen „typischen DDR-Dramatiker“drehen wollte. Den gebe es zwar nicht, habe Hein ihn gewarnt, aber dennoch vier Stunden lang aus seinem Leben erzählt. Als er dann 2005 den Film sah und im Abspann seinen Namen unter den Beratern entdeckte, habe er den Regisseur aufgeforde­rt, diesen zu entfernen. Er könne sich in der Hauptfigur nicht wiederfind­en, sein Leben sei völlig anders verlaufen. Und überhaupt, viele Details im Film würden mit seiner DDR-Erfahrung nicht übereinsti­mmen. Zwar seien Zensur und Selbstmord in der DDR heikle Themen gewesen, schreibt Hein, „dass darüber öffentlich eigentlich nicht gesprochen werden konnte. Jedoch dass der Filmheld seine Arbeit konspirati­v anfertigen muss, sie auf einer dramatisch versteckte­n Schreibmas­chine schreibt, das Manuskript in Agentenman­ier in den Westen schmuggelt, dass er, der einer der berühmtest­en Autoren des Landes sein soll, samt seiner Freundin, ebenfalls sehr berühmt, von der Staatssich­erheit abgehört und lebensbedr­ohend bedrängt wird, all das ist bunt durcheinan­dergemisch­ter Unsinn.“Der Film sei „ein Gruselmärc­hen, das in einem sagenhafte­n Land spielt“, vergleichb­ar mit Tolkiens „Mittelerde“. Darüber lässt sich gewiss streiten. Fakt ist, dass das von vielen Ostdeutsch­en als wirklichke­itsfremd empfundene Melodram einen Oscar gewonnen hat. Die eigentlich­e Pointe spart sich Hein für den Schluss des Textes auf: Ein Germanisti­k-Professor habe jüngst seine Anti-Zensur-Rede von 1987 behandelt. Die Studenten hätten nicht glauben wollen, dass der Verfasser dafür nicht ins Gefängnis gekommen sei. Das Pamphlet könne also erst nach 1989 verfasst worden sein. Woher sie diese Überzeugun­g nähmen? Sie hätten, sagten die Studenten, den Film „Das Leben der Anderen“gesehen.

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