Thüringische Landeszeitung (Jena)
Bücherklau auf der Buchmesse
Sehnsucht nach Literatur
Johannes Bock aus Weimar blickt auf die Geschichte der Leipziger Buchmesse zurück: Die Berichte über die Leipziger Buchmesse 2019 haben Erinnerungen an die Zeit vor dreißig Jahren wach gerufen. Damals waren Verlage aus dem „kapitalistischen Ausland“dazu eingeladen, weil die SED-Genossen die Anerkennung der DDR anstrebten. Obgleich die Auflage bestand, nichts verschenken zu dürfen, holte sich unsereins immer wieder einen ganzen Jahrgang der Fachzeitschrift ab. Das fand versteckt statt, im großen Maßstab ging das nicht.
Da gab es dann etwas noch nie Dagewesenes: Bücherklau. Man stelle sich vor, dies wurde nicht nur geduldet, sondern fröhlich mit Bildern von leergeräumten Regalen im Westfernsehen gezeigt.
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels ging mit seinen Hilfen noch weiter und stellte mehrere Sendungen mit den in Leipzig ausgestellten BüchernfürAusstellungeninwohl drei Städten zusammen. In Weimar war das Stadtmuseum dafür ausgesucht und sofort zum Sehnsuchtsort geworden. Man hatte das Gefühl, dass jeder Raum genutzt worden ist. Der Besucherandrang war gewaltig. Überall wurde gelesen, stehend oder auf dem Fußboden, Junge und Alte. Es war die Sehnsucht nach schöngeistiger und wissenschaftlicher Literatur.
Erstmals hielt man die Arbeiten von Mazzino Montinari in Händen, etwa zum Thema Briefe von Friedrich Nietzsche, die in den sechziger Jahren in Weimar entstanden waren. Am Ende durften die beteiligten Städte das jeweilige Konvolut als Geschenk in Empfang nehmen, eine Bereicherung für hiesige Bibliotheken. Beim Aufteilen der medizinischen Fachliteratur hatte sich der Museumsdirektor Rainer Wagner noch gegen die Wünsche der Universität Jena mit dem Argument durchzusetzen, dass diese schließlich ein Westkontingent habe. Also kam diese Fachliteratur in die Bibliothek der Kliniken/ Polikliniken Weimar.
Ein kleines Stück Zeitgeschichte, das einerseits einst bestehende Hilfsbereitschaft aufzeigt, aber auch nicht in Vergessenheit geraten darf. Noch im Nachhinein, alles ist längst vorüber, zollt man dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels Respekt und Dankbarkeit. Die Leipziger Buchmesse lockte in diesem Jahr Tausende von Besuchern an. FOTO: JAN WOITAS/DPA