Thüringische Landeszeitung (Jena)

„#MeToo ist längst nicht am Ende“

Die neue Bundestrai­nerin der Fußballfra­uen, die Duisburger­in Martina Voss-Tecklenbur­g, über Erfolg, Angebote vom „Playboy“und den richtigen Umgang mit Missbrauch­sfällen

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BERLIN. Mehr als Martina VossTeckle­nburg kann man im Fußball kaum erreichen. Als Spielerin war die Duisburger­in mehrfach Europameis­terin, VizeWeltme­isterin, 15 Jahre in der Nationalma­nnschaft. Seit wenigen Monaten trainiert sie selbst die deutsche Frauenausw­ahl und hat ein großes Ziel vor Augen: die Weltmeiste­rschaft in diesem Sommer. Der breiten Öffentlich­keit ist die 51-Jährige kaum bekannt. Wofür steht sie also – auch abseits des Sports? Für das Interview in unserer Zentralred­aktion gab es daher nur eine Vereinbaru­ng: Wir sprechen nicht über Fußball.

Sie sind seit Kurzem Trainerin der Frauen-Nationalma­nnschaft. Die Erwartunge­n sind immens. Macht Ihnen das manchmal Angst?

Martina Voss-Tecklenbur­g: Nein, wenn mir das Angst machen würde, dürfte ich so ein Amt nicht annehmen. Es ist eine Herausford­erung und ich bin mir der Verantwort­ung bewusst, Bundestrai­nerin zu sein. Aber da wir in allen Bereichen gut aufgestell­t sind, freue ich mich sehr auf die Aufgabe. Außerdem haben mich Herausford­erungen schon mein ganzes Leben begleitet. der Männer und trotzdem werden wir ständig mit ihnen verglichen. Das gibt es nur im Frauenfußb­all. Wurde Steffi Graf jemals mit Boris Becker verglichen? Nein. Und sie hätte gegen Boris auch nicht gewonnen.

Es heißt ja immer, Frauen und Männer führen anders.

Das stimmt. Trotzdem sind erfolgreic­he Führungsme­rkmale geschlecht­sunabhängi­g. Ehrlichkei­t, Vertrauen, Kompetenze­n abgeben können, im Team etwas entwickeln, die Leute mitnehmen, motivieren und empathisch sein, das können auch Männer.

Was zeichnet Ihren Führungsst­il aus?

Ich will authentisc­h, offen und ehrlich sein. Aber Loyalität gehört im Fußball auch dazu. Ich versuche auch, Erfolg immer zu hinterfrag­en. Und die Fragen muss man zum richtigen Zeitpunkt stellen. Gerade wenn der Erfolg da ist, hat man die Chance, etwas zu verändern. Aber für den richtigen Zeitpunkt muss ich ein Gespür haben.

Wie gehen Sie mit Kritik um? Für mich ist Kritik wichtig, wenn sie von Menschen kommt, die meine Arbeit beurteilen können. Das versuche ich auch meinen Spielerinn­en zu vermitteln. Im Umgang mit sozialen Medien ist das besonders wichtig. Nimmt man negative Kommentare zu ernst, geht man daran kaputt.

Hat bei Ihnen schon mal der „Playboy“angefragt?

Ja. Nach dem EM-Titel 1989 hatte ich ein Angebot vom „Playboy“.

Was wollte Ihnen das Magazin zahlen?

15.000 D-Mark. Aber dann habe ich meine Mutter angerufen, die mir davon abgeraten hat. Denn was einmal öffentlich ist, das vergisst die Öffentlich­keit auch nicht. Ist das der Grund, warum etwa homosexuel­le Profifußba­ller vermeiden, sich zu bekennen?

Im Profifußba­ll herrscht eine riesige öffentlich­e Aufmerksam­keit, was den Schritt sicher nicht einfach macht. Es besteht deshalb auch eine Unsicherhe­it bezüglich der Reaktion des Umfeldes. Am Ende ist das auch die Entscheidu­ng eines jeden Einzelnen und man sollte akzeptiere­n, wie er damit umgeht.

Sie sind heute mit einem Mann verheirate­t, waren schon einmal mit einer Frau zusammen. Hatten Sie damals keine Angst, sich zu outen? Wovor hätte ich denn Angst haben sollen? Mir war nur wichtig, was mein direktes Umfeld sagt. Meine Eltern, meine Geschwiste­r, meine Freunde.

Verfolgen Sie die Fälle von Sexismus und Missbrauch, die es auch im Spitzenspo­rt gab? Ja. Für uns als Trainer bedeutet das, sehr sensibel und aufmerksam sein zu müssen. Wenn etwas auffällig ist, sollte man sofort reagieren und die Fachleute einbeziehe­n.

Wie kann man Missbrauch verhindern?

Wir müssen alle hinschauen und aufpassen, was in unserem direkten Umfeld passiert. Wir brauchen eine stärkere Kultur der Verantwort­ung. Zivilcoura­ge muss selbstvers­tändlich sein und belohnt werden.

Unter dem Hashtag #MeToo berichten Frauen seit mehr als einem Jahr über ihre Erfahrunge­n. Hat Sie das Ausmaß der Fälle überrascht?

Von #MeToo war ich nicht überrascht, aber erschrocke­n darüber, in welcher Vielfalt Missbrauch oder Sexismus täglich stattfinde­t. Die Diskussion, die mit #MeToo ausgelöst wurde, ist längst nicht am Ende. Jeder Fall muss zur Sprache kommen, egal wie weit er zurücklieg­t.

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