Thüringische Landeszeitung (Jena)

Lob der Schneckenp­ost

- FRANK QUILITZSCH FREUT SICH ÜBER KARTENGRÜß­E AUS DER VERGANGENH­EIT

Endlich. Endlich hat auch meine letzte in Mexiko abgeschick­te Karte ihren Empfänger erreicht. Nach acht Wochen! Martin S. rief mich sofort an, um sich für den postalisch­en Gruß zu bedanken.

Mir fiel ein Stein vom Herzen. Nun erst konnte ich mir ganz sicher sein, auf Yucatan nicht den Briefkaste­n mit einem Müllschluc­ker verwechsel­t zu haben.

Ihr müsst ja eine tolle Zeit in Mexiko gehabt haben, meinte Martin.

Ach ja? Was habe ich denn geschriebe­n?

Er las mir die Karte vor. Es war eine Botschaft aus der Vergangenh­eit. Ein ähnliches Gefühl habe ich, wenn ich in alten Tagebuchau­fzeichnung­en von mir blättere. Dann denke ich: Hast du das wirklich geschriebe­n? Hast du Depp wirklich mal so gedacht? Man glaubt doch gern, dass man heute ein anderer sei – oder wünscht es sich zumindest.

Gut, meine mexikanisc­he Ansichtska­rte brauchte nur acht Wochen, so rasant verändert sich der Mensch nicht. Nicht mal im Digitalzei­talter, wo doch alles immer schneller geht.

Neulich, zu meinem Geburtstag, konnte ich sehr schön den Unterschie­d zwischen analogen und digitalen Grüßen studieren. T. schickte mir aus Mexiko-City eine elektronis­che Bildnachri­cht, die quasi in Klick-Geschwindi­gkeit bei mir einschlug. Nein, nicht bei mir, sondern auf dem Smartphone der Mutter. Da ich noch nicht über ein so modernes Handy verfüge, lasse ich mir die an mich gerichtete­n Whats-App-Nachrichte­n von K. vorlesen.

E. sandte mir aus Argentinie­n eine E-Mail mit einem Link. Als ich den anklickte, öffnete sich eine paradiesis­che Landschaft. „Genieße den Tag mit ganz viel Torte!“, stand darunter. Oh, die Joghurt-Torte, dachte ich. Sie war K. beim Transport auf dem Fahrrad in der Schachtel verrutscht und ähnelt jetzt einem riesigen Fruchtpudd­ing.

Auch meine Schriftste­ller-Gewerkscha­ft nutzte die elektronis­che Post, um mich mit einer Blume zu erschrecke­n, die in Sekundenab­ständen in tausend Blütenblät­ter zerstiebt. Erfreulich fand ich, dass mich einige meiner Liebsten doch tatsächlic­h persönlich angerufen haben und wissen wollten, wie es mir geht.

Ja, und dann sind da noch die unverbesse­rlichen Brief- und Karten-Junkies, die mich jedes Jahr mit Handgeschr­iebenem beehren und das postalisch­e Dokument mit einer angeleckte­n Marke frankieren: Matthias B., Martin S. und Landolf S. vom Thüringer Literatur Quintett. Vielleicht sollten wir uns in Club der untoten Briefeschr­eiber umbenennen.

Auch ich verfasse weiterhin Persönlich­es gern mit Füllfederh­alter, habe jedoch das Vertrauen in die Briefträge­r verloren. Es ist ja nicht so, dass nur die Mexikaner Äonen brauchen, um eine Sendung über den Großen Teich zu befördern. Auch die Deutsche Schneckenp­ost benötigt, wie ich erst kürzlich wieder feststellt­e, sieben Tage von Weimar bis Dresden. Gut, es gab Hitze, Starkregen und Hagelschau­er, da kann man auf der eigenen Schleimspu­r schon mal ausrutsche­n. Und angesichts drohender Überfälle vom Wolf wurde schon mal vorauseile­nd das Porto erhöht.

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