Thüringische Landeszeitung (Jena)
Menschen helfen, die in Not sind
Andrey Doroshev arbeitet als Arzt für den Verein „Anonymer Krankenschein Thüringen“
Jena. „Ich bin Arzt geworden, um Menschen zu helfen. Bei dieser Arbeit für Menschen ohne Krankenversicherung bekommt man oft sofort ein positives Feedback, wenn man helfen kann. Es ist dann ein direktes Erfolgserlebnis, obwohl zumeist schwere Schicksale dahinterstehen“, sagt Andrey Doroshev.
Der 28-jährige Arzt engagiert sich seit mehreren Jahren beim Verein Medinetz, der sich um Patienten ohne Papiere kümmert. Seit seinem letzten Examen im vorigen Jahr arbeitet er neben seiner Facharztweiterbildung auf einer halben Stelle für den Verein Anonymer Krankenschein Thüringen (AKST). „Weil mir das Projekt am Herzen liegt, obwohl dies sicher nicht der klassische Weg zum Facharzt ist.“Aber: „Früher hätte ich mir nicht vorstellen können, dass es in Deutschland Menschen gibt, die nicht krankenversichert sind oder keinen Zugang zum Gesundheitssystem haben.“
Er erinnert sich an einen Mann, den er mitbetreut hat. Der sei früher selbstständig gewesen. Wegen der beruflichen Insolvenz sei er nicht mehr in der Lage gewesen, die Beiträge zur Krankenversicherung zu zahlen, also sei er aus der Absicherung raus gefallen. Das sei viele Jahre gut gegangen, ja, bis er dann heftige Durchblutungsstörungen in den Beinen bekommen habe. Am Ende hätten ihm mehrere Zehen amputiert werden müssen. „Weil diese Menschen auch erst sehr spät zu einem Arzt kommen.“
Neben Deutschen, die keine Krankenversicherung haben, häufig auch Obdachlose, werden über AKST Flüchtlinge oder Studenten aus dem Ausland, die kein Studentenvisum mehr haben, medizinisch betreut.
Andrey Doroshev stammt ursprünglich aus der Ukraine, kam als Elfjähriger nach Hof in Bayern. Wegen beruflicher Verpflichtungen zogen seine Eltern mit ihm nach Niedersachsen, wo er in Bad Bentheim sein Abitur ablegte. Über das Zentrale Vergabeverfahren für Medizinstudenten führte ihn sein Weg nach Jena. Hier traf er auch alte Freunde aus Hof wieder. Und schon bald war der junge Mann nicht nur in Vorlesungen zu finden, sondern in diversen Funktionen in der Fachschaft Medizin und eben auch beim Projekt Medinetz, aus dem der Verein Anonymer Krankenschein Thüringen gegründet wurde. „Und hierbei bin ich geblieben.“
Im Übrigen gehe es genau genommen nicht um einen anonymen Krankenschein, der dort ausgestellt wird. Sondern um eine Überweisung auf einen fiktiven Namen, ein Pseudonym, so dass nur dem Vertrauensarzt des AKST-Vereins der richtige Name bekannt ist. „Das muss allerdings sein, falls es sich zum Beispiel um ansteckende Krankheiten handelt, was aber selten vorkommt.“
Häufigste Anlässe für den Besuch beim Arzt des Vereins sind Schwangerschaften, erzählt Andrey Doroshev. Und das sei häufig problematisch. Denn die Schwangeren kommen zumeist erst spät, so im achten Monat. Dann seien etliche Vorsorgeuntersuchungen verpasst worden. Natürlich sei es nicht so, dass der Verein Ärzte aller Fachrichtungen zur Verfügung habe. „Der Verein funktioniert wie eine Art Versicherung. Von uns kommt die Überweisung zum Facharzt. Und wir garantieren, dass die Ärzte die Kosten erstattet bekommen.“Bei Menschen ohne Papiere bemühe sich der Verein, schnellstmöglich die Legalität zu erreichen, insbesondere bei den Schwangeren, um eine bestmögliche Betreuung zu erreichen.
Früher hätten Menschen ohne Papiere allein das Sozialamt als Ansprechstelle gehabt. Und das sei schwierig gewesen. Zum einen mussten dort Verwaltungsangestellte über medizinische Fragen entscheiden; zum anderen weiten mussten sie der Ausländerbehörde melden, wenn ein Mensch ohne Aufenthaltsstatus bei ihnen vorsprach. Deshalb seien etliche Betroffene gar nicht erst hingegangen. Da habe es auch schon Todesfälle gegeben, sogar ein Tuberkulosefall sei darunter gewesen. Das sei ein schwieriges Feld.
„Als Studenten haben wir Menschen vermittelt an Ärzte, die kostenlos oder zu einem vergünstigten Preis gearbeitet haben. Jetzt mit dem AKST-Verein ist es besser, weil wir Unterstützung vom Land bekommen.“Die Arbeit beim AKST bedeutet für den jungen Arzt natürlich auch finanzielle Einbuße, in einer Klinik wäre sein Gehalt höher. „Aber es tut mir in der Seele gut.“Und er werde auch noch einige Zeit dabei bleiben. „Allerdings muss ich noch in diesem Jahr aufhören, um mich als Arzt weiterentwickeln zu können.“
Neben der Facharztausbildung zum Allgemeinmediziner möchte er noch einen Abschluss im Spezialgebiet Infektologie erreichen. Das sei für seine Perspektive wichtig. Denn: „Ich möchte dem Verein ganz sicher auch weiter zur Seite stehen, vielleicht als behandelnder Arzt und Berater. Aber die Facharztausbildung ist wichtig.“Für die Zukunft könnte er sich vorstellen, auch bei „Ärzte ohne Grenzen“aktiv zu werden. Und gerade dafür sei eben die Zusatzausbildung in der Infektologie unverzichtbar. Vorerst aber wird Andrey Doroshev als Arzt für den AKSTVerein arbeiten, in den Räumen in der Hautklinik in der Erfurter Straße und im Weltraum Unterm Markt.
„Ich mache es, weil es mir in der Seele gut tut.“