Thüringische Landeszeitung (Jena)
CDU-Chefin vor heißem Sommer
Annegret Kramp-Karrenbauer muss um ihren Ruf und die Rolle ihrer Partei kämpfen. Die Zeit ist knapp
Berlin. Es brodelt in der CDU. Gewissheiten sind dabei, sich aufzulösen. Die Gewissheit etwa, dass man gemeinsam mit der CSU als Union die entscheidende politische Größe in Deutschland ist. Die Gewissheit, dass man seit Jahrzehnten den Kanzler stellt. Die Gewissheit, dass man die Partei der bürgerlichen Mitte ist.
Und mittendrin in dieser Erosion der Gewiss- und Gewohnheiten steht die Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer. Ihre Partei ist in den Umfragen nach der Europawahl auf um die
25 Prozent abgestürzt, liegt teils gleich auf mit den Grünen. Die persönlichen Umfragewerte der
56 Jahre alten Parteichefin sind dramatisch in den Keller gegangen. Sie hat gerade kein politisches Fortune, vieles ist ungeschickt, manches ungerecht. Der parlamentarische Geschäftsführer Michael GrosseBrömer drückte es am Dienstag auf die Frage nach dem Rückhalt so aus: Jeden Tag werde bei Kramp-Karrenbauer „irgendetwas gefunden. Entweder sie sagt zu irgendeinem Thema nichts,
„Von meiner Partei erwarte ich eine Priorität Ost.“Mike Mohring, CDU-Chef Thüringen
das ist dann falsch. Oder sie sagt etwas zu dem Thema. Dann ist das, was sie gesagt hat, falsch“. Bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) habe es als junge Parteichefin ähnliche Stimmen gegeben. Mittlerweile sei man eines Besseren belehrt worden. Und doch hat die CDU-Vorsitzende vor der Sommerpause gleich mehrere Großbaustellen. Ein Überblick:
Debatte um AfD-Zusammenarbeit Kramp-Karrenbauer nutzte am Sonntagabend ihren Auftritt in der Sendung „Anne Will“, um die Zusammenarbeit mit der AfD erneut und vehement auszuschließen. Die CDUSpitze bekräftigte diese Linie am Montag. Gleichzeitig wurde bekannt, dass in der Stadtvertretung der mecklenburgischen 3000-Einwohner-Stadt Penzlin die CDU bei der Wahl von Ausschussvertretern eine sogenannte Zählgemeinschaft mit dem einzigen AfD-Vertreter gebildet hatte. Im Nachrichtendienst Twitter fordern CDU-Vertreter bereits ein Ausschlussverfahren für die CDU-Politiker vor Ort. Aller Voraussicht nach wird dieser Vorfall nicht der letzte gewesen sein. Die CDU-Chefin muss diese kleinen Feuer austreten, bevor sie zum Flächenbrand werden.
Die Rivalen Mit dem ehemaligen Unionsfraktionschef Friedrich Merz, NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn stehen drei potenzielle Kandidaten bereit, die sich die Kanzlerkandidatur zutrauen. Merz hält sich selbst für geeignet. Laschet, der dem mächtigen Landesverband NRW vorsteht, sieht sich mindestens in der Rolle des Königsmachers und Spahn nutzt seine Popularität als einer der wenigen umtriebigen Minister der Regierung geschickt. Mit den Mühen der Parteiarbeit, die Kramp-Karrenbauer erledigen muss, haben sie nichts zu tun.
Kommunikation und Personal Was AKK rund um die Europawahl auf die Füße gefallen ist, war die Kommunikation – nach innen und außen. Ein Desaster war die ausgebliebene Antwort auf die Vorwürfe, die der Youtuber Rezo in einem Video veröffentlichte. Das Potenzial der „Fridays for Future“-Bewegung erkannte man zu spät. Die interne Wahlanalyse, die einen Rechtsschwenk unter anderem der Jungen Union als Grund für das Wahldebakel ausfindig machte, war umstritten. Besonders in CDU-Kreisen, die der Vorsitzenden nicht wohlgesonnen sind, wurde ihr Vertrauter aus Saarbrücker Tagen, Nico Lange, zum Schuldigen erkoren. Er galt zunächst als Kandidat für den vakant gewordenen Posten des Bundesgeschäftsführers. Lange wird nun eine Art politischer Kopf des Adenauer-Hauses. Die Geschäftsführerstelle als Verwaltungschef geht an Stefan Hennewig, einem langjähriger Mitarbeiter im Konrad-Adenauer-Haus. Was Kramp-Karrenbauer aber dennoch fehle, so definieren es Freunde wie Feinde, sei ein in Berlin erfahrener und vernetzter Berater. Und Social-Media-Leute, die sich im Netz bestens auskennen.
Wahlen im Osten Der thüringische Landeschef und Spitzenkandidat Mike Mohring reibt sich im Thüringer Wahlkampf zwischen dem Linke-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow auf der einen und AfD-Rechtsaußen Björn Höcke auf der anderen Seite auf. Ihm fehlt zunehmend das Verständnis für seine Partei. „Vertrauen gewinnt man durch Inhalte, nicht durch Personaldebatten. Von meiner Partei erwarte ich eine Priorität Ost“, sagte er unserer Redaktion. Dazu gehöre, dass die Bundesregierung das Paket zur Steuerung der Migration durchsetze. Die große Koalition müsse umsetzen, was sie zur Grundrente (eine Rente für besonders Bedürftige) im Koalitionsvertrag beschlossen hat. Mohring betont, dass es der CDU-Chefin und der Partei gelingen müsse „Politik aus dem Koordinatensystem der Union heraus zu entwickeln und zu erklären.“Es soll über den Sommer hinweg ein Energie-Konzept geben. Es muss schnell kommen und überzeugend sein, so die Erwartung der Wahlkämpfer. Die Sommerpause fällt für die CDU-Chefin dieses Jahr aus.