Thüringische Landeszeitung (Jena)
„Jetzt muss etwas passieren“
Radweg durchs streng geschützte Biotop: Im Rathaus sollen morgen die Fakten auf den Tisch kommen
Jena. Die konstituierende Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses ist am Donnerstag im Rathaus. Gleich auf der ersten Sitzung des neuen Gremiums gibt es ein ganz altes, aber superheißes Thema: der Bau eines Radweges durch das Biotop unter der Camsdorfer Brücke.
Darum geht es in Jena gefühlt seit 20 Jahren. Wobei nach Auffassung von Bürgermeister Christian Gerlitz (SPD) hier für die Politik nichts mehr zu entscheiden ist. Er will am Donnerstag Fakten besprechen, die nichts anderes zuließen, als den Radweg unter dem westlichsten Brückenbogen zu bauen. Die Verwaltung hat sich schon entschieden. Für die
Natur sei der Eingriff verkraftbar.
Vertreter des Naturschutzes in
Jena sehen das völlig anders. „Die Entscheidung für die umstrittene Radwegeführung im Überschwemmungsbereich unter der Camsdorfer Brücke kann nur entsetzen“, sagt Siegfried Klaus, Leiter der AG Waldnaturschutz im Nabu Thüringen. Durch die gesetzlich verordnete Verkehrssicherungspflicht, die in Jena besonders ernst genommen werde, würden heutige Versprechen angeblich minimaler Eingriffe ad absurdum geführt.
Stadtverwaltung und Bürgermeister sprechen von einer Ersatzfläche auf den Löbstedter Wiesen, die viel größer sei als der heutige Auwald. „Diese Wiesen liegen so hoch über Saaleniveau, dass dort die Bedingungen für eine Auwaldneuanlage aus ökologischen Gründen nicht gegeben sind, es fehlt dort jede Überschwemmungsdynamik“, sagt Klaus. Der Eingriff sei daher nicht ausgleichbar.
Besonderes Gewicht kommt einem Gutachten der Verkehrsbehörde zu, das wie auch das Votum der Naturschutzbehörde bislang nicht veröffentlicht wurde. Die Stadt leitet Handlungsdruck daraus ab, dass die Überquerung der Radler an dieser Stelle gefährlich sei. Polizeilich erfasste Unfälle gab es in den letzten Jahren aber nicht. Die Stadt wertet dies als Zufall. Und die Verkehrsbehörde ist der Auffassung, dass es keine praktikable
Schutz des Menschen geht vor Naturschutz
„Der Auwald ist unersetzlich. Er sorgt in Hitzeperioden für Schatten und Kaltluft im Herzen von Jena und nicht irgendwo vor den Toren der Stadt.“Siegfried Klaus, Nabu
„Die AG Radverkehr fände auch eine sichere überirdische Querung gut. Aber wenn dies gar nicht möglich ist, bleibt nur die Variante unter dem Brückenbogen.“Lutz Jacob, AG Radverkehr
oberirdische Lösung gebe. „Nichts tun, ist jedenfalls keine Lösung“, sagt Lutz Jacob von der AG Radverkehr des Stadtrates. Er schließt sich der städtischen Argumentation an, dass, wenn alle überirdischen Varianten nicht gehen, nur der Weg unter dem Brückenbogen bleibe. Als Indiz dafür, dass dies mit Ausgleich möglich sei, wertet er die denkbar knappe Entscheidung im Naturschutzbeirat. Die Vorberatung im Naturschutzbeirat endete mit einem Unentschieden, woraufhin die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag gab. Vorher gab es im Ganzen vier Abstimmungen, die einstimmig gegen die Beschädigung des Biotops gefasst wurden. Dem entsprach damals auch die Stellungnahme der Unteren Naturschutzbehörde.
Juristen der Stadt argumentieren: „Schutz der Menschen geht vor Naturschutz“. „Dieses Argument hält keiner juristischen Tiefenprüfung stand“, sagt Siegfried Klaus. Denn die jetzige Radwegekreuzung stelle keinen Unfallschwerpunkt dar und es gebe Alternativen, die alle machbar und bezahlbar seien. Vorschläge der Bürger seien schlichtweg ignoriert worden. Die Verwaltung stehe auf der Position, dass alles geprüft wurde.
Zwei Varianten kamen zuletzt noch bei der Naturschutzbeiratssitzung auf und blieben tatsächlich unbeantwortet: Wäre es aufgrund des Baugeschehens auf der anderen Seite des Eisenbahndamms nicht an der Zeit, den aus der Dampflokzeit stammenden Straßen-Durchlass an der Steinweg-Kreuzung aufzuweiten, um mehr Platz für alle Verkehrsteilnehmer dort zu schaffen? Und es gibt Bestrebungen aus Jena-Ost, die KarlLiebknecht-Straße „Karli“tempomäßig auf „30“zu begrenzen. Das könnte auch auf der Camsdorfer Brücke passieren, um die Sicherheit zu erhöhen.
Kritiker der Radunterquerung führen an, dass die Situation auf der anderen Seite der Brücke viel schlimmer sei als auf der
Westseite. Fahrradbeirat Lutz Jacob bestätigt die Probleme vor der „Grünen Tanne“, merkt aber an, dass deswegen trotzdem auf beiden Seiten der Brücke etwas für den Radverkehr passieren müsse. Und das mit der Neugestaltung der Landfeste anzugehen, biete sich nach seiner Auffassung geradezu an. Die heutige Situation sei eine klare Benachteiligung des Radverkehres.
Die Unterführung ist Teil der Gesamtumgestaltung Landfeste. Die Kosten hierfür betragen 1,06 Millionen Euro und werden zu 80 Prozent mit Efre-Fördermitteln kofinanziert.
Eine Mini-Umfrage an der Camsdorfer Brücke ergab am Dienstag dieses Votum: sieben Stimmen für einen Weg am Rande
oder durch das Biotop, 17 dagegen. Wobei anzumerken ist, dass sich unter den Gegenstimmen auch sieben Kleinkinder befanden, die von ihren Kindergärtnerinen geschoben wurden. Die Erzieherinnen erklärten, sie schieben den Kinderwagen lieber einen Umweg von fünf Minuten überirdisch als den Berg hinauf und wieder runter.
• Die Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses beginnt am Donnerstag, . Juni, Uhr. Die Aussprache zur Camsdorfer Brücke ist Tagesordnungspunkt von . Das Thema ist öffentlich. Rederecht für Gäste gibt es aber nur auf Beschluss des Ausschusses.