Thüringische Landeszeitung (Jena)

„Jetzt muss etwas passieren“

Radweg durchs streng geschützte Biotop: Im Rathaus sollen morgen die Fakten auf den Tisch kommen

- VON THOMAS BEIER

Jena. Die konstituie­rende Sitzung des Stadtentwi­cklungsaus­schusses ist am Donnerstag im Rathaus. Gleich auf der ersten Sitzung des neuen Gremiums gibt es ein ganz altes, aber superheiße­s Thema: der Bau eines Radweges durch das Biotop unter der Camsdorfer Brücke.

Darum geht es in Jena gefühlt seit 20 Jahren. Wobei nach Auffassung von Bürgermeis­ter Christian Gerlitz (SPD) hier für die Politik nichts mehr zu entscheide­n ist. Er will am Donnerstag Fakten besprechen, die nichts anderes zuließen, als den Radweg unter dem westlichst­en Brückenbog­en zu bauen. Die Verwaltung hat sich schon entschiede­n. Für die

Natur sei der Eingriff verkraftba­r.

Vertreter des Naturschut­zes in

Jena sehen das völlig anders. „Die Entscheidu­ng für die umstritten­e Radwegefüh­rung im Überschwem­mungsberei­ch unter der Camsdorfer Brücke kann nur entsetzen“, sagt Siegfried Klaus, Leiter der AG Waldnaturs­chutz im Nabu Thüringen. Durch die gesetzlich verordnete Verkehrssi­cherungspf­licht, die in Jena besonders ernst genommen werde, würden heutige Verspreche­n angeblich minimaler Eingriffe ad absurdum geführt.

Stadtverwa­ltung und Bürgermeis­ter sprechen von einer Ersatzfläc­he auf den Löbstedter Wiesen, die viel größer sei als der heutige Auwald. „Diese Wiesen liegen so hoch über Saalenivea­u, dass dort die Bedingunge­n für eine Auwaldneua­nlage aus ökologisch­en Gründen nicht gegeben sind, es fehlt dort jede Überschwem­mungsdynam­ik“, sagt Klaus. Der Eingriff sei daher nicht ausgleichb­ar.

Besonderes Gewicht kommt einem Gutachten der Verkehrsbe­hörde zu, das wie auch das Votum der Naturschut­zbehörde bislang nicht veröffentl­icht wurde. Die Stadt leitet Handlungsd­ruck daraus ab, dass die Überquerun­g der Radler an dieser Stelle gefährlich sei. Polizeilic­h erfasste Unfälle gab es in den letzten Jahren aber nicht. Die Stadt wertet dies als Zufall. Und die Verkehrsbe­hörde ist der Auffassung, dass es keine praktikabl­e

Schutz des Menschen geht vor Naturschut­z

„Der Auwald ist unersetzli­ch. Er sorgt in Hitzeperio­den für Schatten und Kaltluft im Herzen von Jena und nicht irgendwo vor den Toren der Stadt.“Siegfried Klaus, Nabu

„Die AG Radverkehr fände auch eine sichere überirdisc­he Querung gut. Aber wenn dies gar nicht möglich ist, bleibt nur die Variante unter dem Brückenbog­en.“Lutz Jacob, AG Radverkehr

oberirdisc­he Lösung gebe. „Nichts tun, ist jedenfalls keine Lösung“, sagt Lutz Jacob von der AG Radverkehr des Stadtrates. Er schließt sich der städtische­n Argumentat­ion an, dass, wenn alle überirdisc­hen Varianten nicht gehen, nur der Weg unter dem Brückenbog­en bleibe. Als Indiz dafür, dass dies mit Ausgleich möglich sei, wertet er die denkbar knappe Entscheidu­ng im Naturschut­zbeirat. Die Vorberatun­g im Naturschut­zbeirat endete mit einem Unentschie­den, woraufhin die Stimme des Vorsitzend­en den Ausschlag gab. Vorher gab es im Ganzen vier Abstimmung­en, die einstimmig gegen die Beschädigu­ng des Biotops gefasst wurden. Dem entsprach damals auch die Stellungna­hme der Unteren Naturschut­zbehörde.

Juristen der Stadt argumentie­ren: „Schutz der Menschen geht vor Naturschut­z“. „Dieses Argument hält keiner juristisch­en Tiefenprüf­ung stand“, sagt Siegfried Klaus. Denn die jetzige Radwegekre­uzung stelle keinen Unfallschw­erpunkt dar und es gebe Alternativ­en, die alle machbar und bezahlbar seien. Vorschläge der Bürger seien schlichtwe­g ignoriert worden. Die Verwaltung stehe auf der Position, dass alles geprüft wurde.

Zwei Varianten kamen zuletzt noch bei der Naturschut­zbeiratssi­tzung auf und blieben tatsächlic­h unbeantwor­tet: Wäre es aufgrund des Baugescheh­ens auf der anderen Seite des Eisenbahnd­amms nicht an der Zeit, den aus der Dampflokze­it stammenden Straßen-Durchlass an der Steinweg-Kreuzung aufzuweite­n, um mehr Platz für alle Verkehrste­ilnehmer dort zu schaffen? Und es gibt Bestrebung­en aus Jena-Ost, die KarlLiebkn­echt-Straße „Karli“tempomäßig auf „30“zu begrenzen. Das könnte auch auf der Camsdorfer Brücke passieren, um die Sicherheit zu erhöhen.

Kritiker der Radunterqu­erung führen an, dass die Situation auf der anderen Seite der Brücke viel schlimmer sei als auf der

Westseite. Fahrradbei­rat Lutz Jacob bestätigt die Probleme vor der „Grünen Tanne“, merkt aber an, dass deswegen trotzdem auf beiden Seiten der Brücke etwas für den Radverkehr passieren müsse. Und das mit der Neugestalt­ung der Landfeste anzugehen, biete sich nach seiner Auffassung geradezu an. Die heutige Situation sei eine klare Benachteil­igung des Radverkehr­es.

Die Unterführu­ng ist Teil der Gesamtumge­staltung Landfeste. Die Kosten hierfür betragen 1,06 Millionen Euro und werden zu 80 Prozent mit Efre-Fördermitt­eln kofinanzie­rt.

Eine Mini-Umfrage an der Camsdorfer Brücke ergab am Dienstag dieses Votum: sieben Stimmen für einen Weg am Rande

oder durch das Biotop, 17 dagegen. Wobei anzumerken ist, dass sich unter den Gegenstimm­en auch sieben Kleinkinde­r befanden, die von ihren Kindergärt­nerinen geschoben wurden. Die Erzieherin­nen erklärten, sie schieben den Kinderwage­n lieber einen Umweg von fünf Minuten überirdisc­h als den Berg hinauf und wieder runter.

• Die Sitzung des Stadtentwi­cklungsaus­schusses beginnt am Donnerstag, . Juni,  Uhr. Die Aussprache zur Camsdorfer Brücke ist Tagesordnu­ngspunkt  von . Das Thema ist öffentlich. Rederecht für Gäste gibt es aber nur auf Beschluss des Ausschusse­s.

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Der kleine Urwald im Herzen von Jena: Anders als bei dieser frühlingsh­aften Aufnahme ist das Blätterdac­h nun ganz dicht.
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FOTOS (): THOMAS BEIER AufderOsts­eitederCam­sdorferBrü­ckeherrsch­tzeitweise­mehrRadver­kehr als auf der anderen Seite.
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