Thüringische Landeszeitung (Jena)
Wirkt Spinat wie Doping?
Mehr Muskeln, mehr Kraft: Forscher der FU Berlin können erstmals die stärkende Wirkung eines Bestandteils des Gemüses nachweisen
Berlin. Vielen ist die Comic-Figur Popeye ein Begriff – wegen ihrer extrem muskulösen Unterarme. Und wegen ihrer Kraft, die in dem bemerkenswert hohen Konsum von Spinat begründet ist. Dosenweise schüttet der Seemann das grüne Gemüse in sich hinein.
Die Geschichte ist ein Klassiker aus der Feder von Elzie Crisler Segar. Der US-Zeichner hatte Popeye 1929 erfunden. Mit Anker-Tattoo, Pfeife und schiefer Schnute war der schlagfertige Matrose schnell populär geworden. In zahlreichen deutschen Zeitungen wurden Popeyes Abenteuer seit den 50er-Jahren abgedruckt. Dabei trat er gleich unter mehreren Namen auf – Kuddl Dutt etwa oder Pop der Seemann. Dass in Popeyes Kraftrezept mehr stecken könnte als die Fantasie des Zeichners, ist manchen Sportlern seit Jahren bekannt. Erste Versuche soll es Ende der 1980er-Jahre gegeben haben. Doch jetzt ist es erstmals gelungen, die stärkende Wirkung auch wissenschaftlich nachzuweisen. Der im Spinat enthaltene Stoff Ecdysteron, so das Ergebnis einer Studie der Freien Universität Berlin, trägt in Trainingsphasen zum Kraftzuwachs bei. Und das so deutlich, dass er sogar ins Visier der Dopingfahnder geraten könnte, ja eigentlich auch sollte.
Unterstützt von der WeltAnti-Doping-Agentur (Wada) hatten die Wissenschaftler vom Institut für Pharmazie zehn Wochen lang 46 Sportler beim Krafttraining begleitet. Eine Gruppe erhielt eine oder mehrere Dosen von 100 Milligramm Ecdysteron, eine andere Gruppe ein Placebo. Das Ergebnis: In der Ecdysteron-Gruppe war der Kraftzuwachs im Vergleich zur Placebo-Gruppe dreimal so hoch. Die Ecdysteron-Sportler konnten dreimal mehr Gewicht zusätzlich stemmen und hatten „signifikant“mehr Muskeln aufgebaut. „Unsere Hypothese war, dass wir eine Leistungssteigerung sehen, aber dass die so groß sein würde, das hatten wir nicht erwartet“, sagt Pharmakologin und Studienleiterin Maria Parr in einem Interview mit der ARDRadio-Recherche Sport und dem Sender Arte.
Gründe für die im Fachblatt „Archives of Toxicology“veröffentlichte Untersuchung gab es mehrere: Hinweise darauf zum Beispiel, dass Ecdysteron im russischen Profisport systematisch eingesetzt werden soll. Oder die Beobachtung, dass immer mehr Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt drängen, die diesen Stoff enthalten. Die Anbieter versprechen mehr Kraft und mehr Muskeln, mehr Ausdauer und mehr Frische. Und sie bezogen sich unter anderem auf eine Reihe von Studien, die die „positiven Effekte“angeblich nachgewiesen hätten.
„Den Insidern der Bodybuildingoder Kraftsport-Szene waren die Produkte schon seit Längerem bekannt“, bestätigt Fritz Sörgel, Dopingexperte und Pharmakologe aus Heroldsberg. DennindieserSzenegebeesimmer auch Sportler, die nach Alternativen zu verbotenen und leistungssteigernden Substanzen wie anabolen Steroiden suchten. Ihr Interesse paare sich mit dem Interesse der Anbieter: Auf dem Geschäftsfeld der Nahrungsergänzungsmittel für Sportler werden jedes Jahr Millionen Euro umgesetzt.
Bodybuilder oder Kraftsportler nehmen Ecdysteron beziehungsweise Beta-Ecdysteron meist in reiner Form ein, als Extrakt in Pillen oder Pulver. Manchmal werden entsprechende Präparate auch als 20Beta-Hydroxyecdysteron, Ecdisten, Ecdyson oder Isoinokosteron bezeichnet. Bei Ecdysteron handelt es sich um ein Hormon, das nicht nur in Spinat und anderen Pflanzen wie Leuzea oder Ginseng vorkommt, um Feinde abzuwehren, sondern auch in Krebsen, Spinnen oder Insekten. In deren Organismus steuert es die Häutung.
Viele Anbieter verweisen auf ihren Internetseiten darauf, wie schwierig und teuer es bis vor Kurzem noch gewesen sei, Ecdysteron aus Pflanzen zu gewinnen. Verbesserte technische Möglichkeiten hätten jetzt die Produktion der Extrakte erleichtert und die Preise sinken lassen. So kosten die Kapseln mit einer Dosierung von 95 Milligramm derzeit etwa 35 bis 60 Cent pro Stück.
Pharmakologin Parr und ihr Team haben der Anti-DopingAgentur angesichts ihrer Forschungsergebnisse eine eindeutige Empfehlung gegeben. Sie stufen die Substanz in der Kategorie S1.2 ein – „andere anabole Substanzen“. „Ganz oben also“, wie Fritz Sörgel erklärt. Ecdysteron sollte den Wissenschaftlern zufolge in die Dopingliste aufgenommen werden. Im Körper ist der Stoff bei Kontrollen über das Blut, aber auch über Urin nachweisbar.
Sörgel geht davon aus, dass Ecdysteron nach Veröffentlichung der aktuellen Studie im Freizeitbereich an Beliebtheit zunehmen wird. Zumal die Wissenschaftler aus Berlin keine signifikanten Nebenwirkungen feststellen konnten. Der Stoff bediene also gleich zwei Bedürfnisse der Szene, so Sörgel – Wirksamkeit bei überschaubaren Gesundheitsrisiken. Wobei der Pharmakologe zu bedenken gibt: „Eine Studie mit 46 Teilnehmern kann dazu keine abschließende Aussage treffen.“Und mancher Freizeitsportler neige dazu, die zugeführten Dosen extrem zu erhöhen.
Ob Ecdysteron im Spitzensport verboten wird, bleibt abzuwarten. Die Wada will zunächst weitere Untersuchungen anstellen, hieß es am Dienstag. Bis September müsste entschieden sein, ob Ecdysteron auf die Dopingliste für das Jahr 2020 kommt, erklärt Sörgel. „Das ist wahrscheinlich ein bisschen knapp.“Zumal man die Einnahme von Extrakten wohl auch vom Spinatkonsum abgrenzen müsste. Dass das Gemüse selbst auf der Liste landet, gilt als unwahrscheinlich.
Wer hofft, allein mit dem Verzehr von Spinat seine Leistung steigern zu können, den muss Pharmazeut Sörgel sowieso enttäuschen. Man würde dafür eine „sehr große Menge benötigen“, sagt er. In dem Experiment nahmen die Sportler 100 bis 800 Milligramm Ecdysteron pro Tag zu sich. Um auf diese Menge zu kommen, hätten die Probanden täglich fast ein bis mehr als sechs Kilogramm Spinat essen müssen.
Sportler sollen den Stoff systematisch einsetzen