Thüringische Landeszeitung (Jena)

„Heimat ist da, wo man mit Butter kocht“

Museumslei­terin Uta Bretschnei­der plädiert in ihrem neuen Buch dafür, den Begriff nicht Populisten zu überlassen

- VON HANNO MÜLLER

Kloster Veßra. Uta Bretschnei­der ist Chefin des Hennebergi­schen Museums Kloster Veßra. Im Fokus der Volkskundl­erin stehen die Themen Flucht, Vertreibun­g und Integratio­n im ländlichen Thüringer Raum. Nun hat sie für die Landeszent­rale für politische Bildung ein neues Buch geschriebe­n. „Heimat“ist nicht Ihr erstes Buch zum Thema. Warum befasst sich eine junge Frau wie Sie mit diesem gelegentli­ch etwas altbackene­n Gegenstand? Es kommt darauf an, wie man es angeht. Angefangen habe ich – übrigens schon lange vor der Flüchtling­swelle von 2015 – mit der Frage, wie sich nach 1945 Flucht, Vertreibun­g und dann vor allem die Integratio­n im ländlichen Thüringer Raum abspielten und wie sie sich über die eigentlich­e Nachkriegs­zeit hinaus bis zum Ende der DDR auf das Zusammenle­ben zwischen Alteingese­ssenen und den sogenannte­n Umsiedlern auswirkten. Ich habe dazu auch einen persönlich­en Bezug. Meine Großmutter wurde 1946 aus Böhmen vertrieben. Dass man heute mit dem Thema unvoreinge­nommener umgeht als in der Vergangenh­eit, hat meines Erachtens auch etwas mit dem Generation­swechsel zu tun. Da gibt es eine neue Sicht auf die Dinge.

Auch zu Flucht und Vertreibun­g erschien bei der Landeszent­rale bereits 2016 eine kleine Publikatio­n mit dem Titel „Neue Heimat Thüringen?“, von der es inzwischen sogar eine zweite Auflage gibt…

Das Interesse, auch an meinen Lesungen und Vorträgen, zeigt mir, wie gegenwärti­g und gar nicht altbacken das Thema für viele ist. Seit 2010 gibt es hier in Kloster Veßra eine Ausstellun­g zum Thema „Flucht und Vertreibun­g“– mit unglaublic­her Breitenwir­kung bis heute. Selbst nach so langer Zeit gibt es großen Bedarf, darüber zu sprechen, was und wo Heimat ist und was sie für den Einzelnen bedeutet. Die Tabuisieru­ng des Themas Vertreibun­g setzte bekanntlic­h in der Sowjetisch­en Besatzungs­zone früh ein, schon im Herbst 1945 sollte nur noch von Umsiedlern und nicht mehr von Vertrieben­en und Flüchtling­en gesprochen werden. Durch die Ereignisse seit 2015 erfuhr das Thema noch mal eine neue Aktualität. Vor wenigen Tagen erreichte uns ja die beklemmend­e Nachricht, dass weltweit aktuell 70 Millionen auf der Flucht sind.

Sie sind Volkskundl­erin und Kulturanth­ropologin und leiten seit 2016 das Hennebergi­sche Museum Kloster Veßra mit heimatgesc­hichtliche­m Schwerpunk­t – haben Sie einen anderen Blick als zum Beispiel ein Historiker?

Ich denke schon. Es geht mir nicht darum, zu sagen, so war das, sondern darum, wie Menschen die Ereignisse in Erinnerung behalten haben. Das kann man übrigens auch gut mit den Kindern und Enkeln besprechen, um so zu erfahren, was in den Familien von wem wann und wie erzählt wird. Ehepaare oder Geschwiste­r sehen die gleichen Ereignisse mitunter unterschie­dlich. Das ist spannend.

Zur Heimat meint man alles und nichts zu wissen. Sie nehmen sich viele Begriffe vor wie Heimatlieb­e, Heimatverl­ust, Heim(at)weh oder den Geschmack von Heimat – können Sie nach Ihren Recherchen genau sagen, was Heimat ist?

Ich kann sagen, was es für mich ist – und habe es auch in einem kleinen Epilog aufgeschri­eben. Mit Heimat verbinde ich den Porphyr, den mein Vater als Bildhauer bevorzugt bearbeitet hat. Bewusst wurde mir das bei einer Reise zu meiner Familie kurz vor Weihnachte­n angesichts einer Autobahnbr­ücke aus eben diesem rötlichen Stein. Darüber hinaus wird man auch bei mir keine eindeutige Definition finden. So viele kluge Menschen sagen so unterschie­dliche Dinge über Heimat. Sie kann ein Ort der Sehnsucht, eine Zeit, ein Geschmack sein oder liebe vertraute Menschen. Für viele vermittelt der Begriff ein Gefühl von Ankommen, Vertrauthe­it und Geborgenhe­it. Man darf dabei auch nicht vergessen, dass auch andere das Thema für sich vereinnahm­en. Für Populisten und Leute aus dem rechten Spektrum ist Heimat vor allem ein Konzept, um vermeintli­ch Fremdes auszugrenz­en.

Letzteres hat für Sie in Kloster Veßra durch die Nachbarsch­aft mit dem Betreiber eines Neonazi-Gasthofes und Organisato­r von Rechtsrock­konzerten einen sehr konkreten Hintergrun­d. Wie muss man sich das vorstellen?

Die Nachbarsch­aft eines Freilichtm­useums mit einem Neonazi-Gasthof ist per se problemati­sch. Neonazi-Veranstalt­ungen gehen einher mit starker Polizeiprä­senz, Kontrollen und Straßenspe­rrungen. Unbedarfte Museumsgäs­te nehmen den „Goldenen Löwen“als normale Dorffkneip­e wahr und wundern sich dann über das dort angebotene „Führerschn­itzel“. Bis hin zum museumseig­enen Parkplatz nahe dem Gasthof, der auch durch Besucher der Neonazi-Treffen genutzt wird. Unsere österliche Saisoneröf­fnung konterte der Nachbar mit einem Basar für deutsche Kinder. Wir haben immer wieder mit negativen Bewertunge­n in sozialen Netzwerken oder Hasseinträ­gen im Besucherbu­ch zu tun. Ein Handlungsf­eld ist der Ort Kloster Veßra selbst, wo 40 Prozent bei der letzten Wahl für die AfD stimmten. Viele zeigen sich mehr oder weniger offen begeistert über „den jungen Mann“, einen von hier, der wieder Leben in den Gasthof bringt. Sein Image ist das eines Kümmerers. Mit seiner Bewegung sitzt er jetzt sogar im Gemeindera­t. Gelegentli­ch bekomme ich zu hören, ich sei doch die mit dem Nazi. Nein, ich bin die mit dem tollen Freilichtm­useum.

Was bedeutet das für den Heimat-Begriff vor Ort?

Je gefährdete­r Heimat in der Wahrnehmun­g der Menschen ist, umso hitziger wird sie diskutiert und verteidigt. Befördert wird dies auch durch einen gewissen Überdruss mit den aktuell Regierende­n. Zu erleben ist gerade, wie Heimat politisch aufgeladen und instrument­alisiert wird als exklusives Kons-trukt nur für Deutsche. Ich halte das für ziemlich virulent. Schaute man sich noch bis vor Kurzem Parteiprog­ramme daraufhin an, wer sich mit ländlichem Raum und Dorf beschäftig­t, wurde man leider fast einzig und allein bei der AfD fündig. Inzwischen bemerken es auch die anderen und ziehen nach. Ein Beispiel ist Horst Seehofers neues Heimatmini­sterium.

Heimat ist heute alles mögliche – auch Marketingi­nstrument. Wie normal kann der Umgang mit dem Begriff sein? Dass sich Produkte unter dem Label Heimat gut verkaufen lassen, kann auch Ausdruck des bewussten Besinnens auf Regionalit­ät sein. Heimat ist ganz viel – politisch, emotional, orts(un)gebunden, (im)materiell, kulinarisc­h, geistig und künftig. Deshalb endet mein Buch auch mit 100 Fragen an Heimat. Das soll dazu einladen, darüber nachzudenk­en, was Heimat ist oder nicht ist oder werden kann oder noch nie war. Meine liebste Definition aus dem Buch ist übrigens: Heimat ist da, wo man mit Butter kocht. Das sagt einer der Teilnehmer einer kleinen Fragebogen­aktion, die die Landeszent­rale ins Leben gerufen hat.

Kann also jeder mit Heimat machen, was er will?

Ich denke, dass ist mit das Schöne an Heimat. Dass sie anschmiegs­am ist für alle und jeder sich etwas anderes herausnimm­t. Mir ist aber wichtig, dass man Begriff und Raum nicht einseitig den Populisten überlässt. Das finde ich so schön am Heimatbund Thüringen, der sich ganz bewusst für diese Bezeichnun­g entschiede­n hat, auch wenn das zur Gründungsz­eit in den frühen 1990ern altbacken und ambivalent klang. Sie sagen klar, die Populisten reklamiere­n den Begriff für sich, wir geben ihn aber nicht frei. Der Heimatbund macht eine tolle Arbeit sowohl für den Umweltund Naturschut­z als auch für die Regionalge­schichte sowie die Denkmal- und Kulturpfle­ge.

Wie geht es zum Thema Heimat in Ihrem Museum weiter? Wir machen im nächsten Jahr, ausgehend vom Buch, eine Heimatauss­tellung, in die wir partizipat­ive Elemente integriere­n möchten. Vielleicht lassen wir Menschen in unser Depot, wo sie sich ein Objekt aussuchen können, das für sie Heimat ausdrückt. Kommenden Monat werden auf unserem Freigeländ­e sieben Künstlerin­nen unterschie­dlicher Herkunft beim internatio­nalen Sommer-Symposium das Thema „Grenzen: denken und überwinden“in Holz, Stein, Metall oder Tusche künstleris­ch bearbeiten. Ein Museum kann eine identitäts­stiftende Funktion für die Region haben, wir sind dabei, uns diese wieder zu erarbeiten.

Bekommt man den Heimatbegr­iff wieder entpolitis­iert? Man kriegt den nicht wieder nackig gemacht. Er hat halt einen Pelz an und riecht an einigen Stellen alt. Für mich ist es dennoch ein schöner Begriff. Man muss ihn nicht entpolitis­ieren, er darf auch umstritten bleiben. Man muss ihn nur neu positiv anfüllen und genau so wieder ins Gespräch bringen. Auf keinen Fall sollte man das Wort Heimat aufgeben, nur weil es die Falschen im Munde führen. Heimat gehört keinem – und allen.

 ?? FOTO: HANNO MÜLLER ?? Uta Bretschnei­der, Leiterin des Hennebergi­schen Museums Kloster Veßra, hat für die Landeszent­rale für politische Bildung ein Buch über das Thema Heimat geschriebe­n. Darin untersucht sie die verschiede­nen Seiten des Begriffes, der einen Sehnsuchts- und Wohlfühlor­t beschreibe­n oder von Populisten zur Ausgrenzun­g anderer benutzt werden kann.
FOTO: HANNO MÜLLER Uta Bretschnei­der, Leiterin des Hennebergi­schen Museums Kloster Veßra, hat für die Landeszent­rale für politische Bildung ein Buch über das Thema Heimat geschriebe­n. Darin untersucht sie die verschiede­nen Seiten des Begriffes, der einen Sehnsuchts- und Wohlfühlor­t beschreibe­n oder von Populisten zur Ausgrenzun­g anderer benutzt werden kann.

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