Thüringische Landeszeitung (Jena)
Sensationsfund am Ettersberg
Archäologen entdecken bei Ausgrabungen in künftigem Wohngebiet zwei 6500 Jahre alte Skelette aus der Jungsteinzeit
Ettersburg. „Die Leichen müssen aus dem Garten.“– Thomas Grasselt ist zwar Wissenschaftler, knochentrockene Vorträge hält er deshalb aber nicht. Der Archäologe und Gebietsreferent beim Thüringischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie will schließlich auch bei Laien Interesse wecken für sein Metier – und da braucht es griffige Formulierungen. In diesem Fall sind mit „Leichen“18 Skelette aus der Jungstein- und der frühen Bronzezeit gemeint, die bei Ausgrabungen vor der Erschließung eines neuen Wohngebiets in Ettersburg bei Weimar entdeckt und freigelegt wurden.
Während solche Funde in den meisten Fällen nach Analyse und Dokumentation in der Erde verbleiben, ist das in diesem Fall nicht möglich. Im dritten Bauabschnitt „Auf dem Keßlinge“sollen schließlich 34 Eigenheime mit Garten entstehen – da würde es sich nicht gut machen, wenn die Bewohner beim Umgraben auf Menschenknochen stießen. Die Skelette werden deshalb bis Anfang Juli geborgen, um später von Anthropologen untersucht und auch für wissenschaftliche Untersuchungen der Zukunft aufbewahrt zu werden.
Dass sie in dem künftigen Wohngebiet fündig werden würden, dessen waren sich Thomas Grasselt und sein Team schon vor Beginn der Arbeiten im April sicher. Denn auch bei den Ausgrabungen im zweiten Bauabschnitt, für dessen Erschließung wie beim dritten die Firma Gartenbau Weimar verantwortlich zeichnete, stießen die Grabungstechniker bereits auf Bemerkenswertes: ein Grabensystem aus der Jungsteinzeit, Erdwerk genannt, und zugehörige Siedlungsbefunde aus der Zeit um 3800 bis 3500 vor Christus. „Solche Grabensysteme gibt es am Ettersberg zwar viele“, verweist Grasselt auf Funde etwa in Großobringen, Haindorf, Hottelstedt und Niederzimmern (alle Weimarer Land). „Doch nicht alle sind gut erforscht.“
„Mit Spannung“hätten die Wissenschaftler daher die Grabungen im dritten Bauabschnitt gestartet – und einen „Volltreffer“gelandet: Nicht nur, dass dabei zu den bislang bekannten 50 Metern Erdwerk weitere 130 Meter hinzukamen. Zutage gefördert wurde auch ein Bestattungsplatz mit zunächst 15 Gräbern, darunter eine Doppelbestattung. Die in Hockstellung bestatteten Toten, die einst aber über einen Meter tief in der Erde ruhten, stammten alle aus der frühen Bronzezeit. Für Anthropologen besonders von Interesse seien die sterblichen Überreste von Kindern, weil diese nur selten in derart gutem Zustand anzutreffen seien, erklärt Grasselt. Zeitlich einordnen konnten die Wissenschaftler diese Funde anhand von Grabbeigaben wie Tassen und Schalen.
Viel schwieriger gestaltete sich die Datierung bei zwei weiteren Skeletten, auf die die Archäologen im Anschluss überraschend stießen: Denn zumindest das erste Grab enthielt keinerlei Beigaben, die Aufschluss geben können. Die richtigen Hinweise fanden sich erst im zweiten Grab aus dieser Zeit: Denn dem jungen Mann, der darin bestattet wurde, waren Pfeilspitzen und Feuersteingerät beigelegt worden – mithin Zeugnisse der Jungsteinzeit. Besonders bemerkenswert ist dabei ein partiell überschliffenes FeuersteinBeil. Damit steht fest: Diese Toten sind etwa 6500 Jahre alt und damit noch einmal rund 2000 Jahre älter als die Skelette aus der Bronzezeit.
„Das ist sensationell“, urteilt Archäologe Thomas Grasselt. „Solche Funde sind nicht so häufig.“Erst recht nicht nahezu unversehrt. Sollten künftige Bauherrn indes auf weitere Skelette stoßen, genüge ein Anruf beim Landesamt. Dann würden die Toten ebenfalls geborgen.