Thüringische Landeszeitung (Jena)

„Ich habe keine Angst vor Neuwahlen“

SPD-Chefin Manuela Schwesig über die Zukunft ihrer Partei – und der großen Koalition

- VON TIM BRAUNE UND JOCHEN GAUGELE

Berlin. Manuela Schwesig trifft zum Sommerfest der SPD-Linken in einer ehemaligen Maschinenf­abrik in Berlin-Mitte verspätet ein. Die Ministerpr­äsidentin war in Mecklenbur­g-Vorpommern noch an der Unglücksst­elle, wo zwei Eurofighte­r abstürzten. Die kommissari­sche SPD-Vorsitzend­e („Ich wollte immer mal Kommissari­n sein“) nimmt sich dann viel Zeit, um in einem kargen Zimmer im Dachstuhl darüber zu reden, wie die abgestürzt­e Partei neue Retter an ihrer Spitze finden will.

Was soll der SPD eine Doppelspit­ze bringen – außer neuen Streit?

Manuela Schwesig: Wir wünschen uns, dass sich Teams finden, die gut miteinande­r arbeiten können. Wenn zwei Parteivors­itzende zusammenha­lten, sich ergänzen und einander vertrauen, dann kann eine Doppelspit­ze ein Gewinn sein. Es sind aber auch Einzelkand­idaturen möglich.

Sie selbst wollen die SPD nur übergangsw­eise führen. Warum?

Weil ich jetzt in einer Verantwort­ung bin als Ministerpr­äsidentin. Ich stehe bei den Menschen in Mecklenbur­g-Vorpommern im Wort und möchte diesem Anspruch gerecht werden. In der jetzigen Situation kann man die Partei nicht nebenbei führen.

Wie wichtig ist Regierungs­erfahrung, wenn man SPDChef werden will?

Das würde ich nicht zum Maßstab machen. Aber natürlich sollten Personen in die Spitze, denen die Menschen das Land anvertraue­n wollen.

Ja oder Nein zur GroKo – welche Haltung soll die neue Führung einnehmen?

Die neue Parteiführ­ung wird sich mit dieser Frage auseinande­rsetzen müssen. Wir haben ganz klar eine Halbzeitbi­lanz verabredet. Es wird darauf ankommen, ob man eine positive Prognose hat für die weitere Regierungs­arbeit.

Erklären Sie die Grundrente zur Bedingung für eine Fortsetzun­g der Koalition?

Das kann nicht an einem Punkt festgemach­t werden. Es geht um eine Gesamtscha­u. Die große Koalition hat gute Sachen auf den Weg gebracht. Trotzdem hat sie massiv an Vertrauen verloren. Deswegen müssen wir uns fragen, wie sie dieses Vertrauen zurückgewi­nnen kann.

Was bedeutet das für die Grundrente?

Die Grundrente ist ein sehr wichtiges Thema. Wir sollten zügig zu einer Einigung kommen. Es geht darum, ob die Regierung das Vertrauen der Menschen in den Sozialstaa­t sichern kann. Wer sein Leben lang hart gearbeitet hat, muss im Alter mehr erhalten als nur die Grundsiche­rung.

In den Umfragen liegt Ihre Partei unter 15 Prozent. Wie groß ist Ihre Angst vor Neuwahlen? Ich habe keine Angst vor Neuwahlen. Auch wenn die SPD in einer schwierige­n Lage ist: Wir können eine Wahl jederzeit gut bestreiten – personell wie inhaltlich.

Wann kann die SPD wieder den Kanzler stellen?

Die SPD sollte den Anspruch, den Kanzler zu stellen, niemals aufgeben. Auch jetzt nicht.

Sehen Sie ein Gewinnerth­ema für Ihre Partei?

Die SPD war immer stark, wenn sie wirtschaft­liche Kompetenz, soziale Gerechtigk­eit und ökologisch­e Vernunft zusammenge­bunden hat. In einer Zeit, in der stark polarisier­t wird, muss die SPD die verbindend­e Kraft sein. Es geht um einen neuen Zusammenha­lt. Die AfD ist auf dem Weg zur stärksten Kraft im Osten, wo nach dem Sommer drei Landtagswa­hlen stattfinde­n. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Es gibt mehrere Gründe. Ein Teil der AfD-Wähler ist nicht mit der Flüchtling­spolitik einverstan­den. Wichtig ist, dass wir diesen Menschen zuhören – auch wenn wir ihre Meinung nicht teilen. Ich bedauere sehr, dass die AfD trotz aller Tabubrüche und Grenzübers­chreitunge­n hoffähig geworden ist. Wir müssen uns alle selbstkrit­isch fragen, ob wir nicht zu viel zugelassen haben. Die AfD hat eine Aufmerksam­keit für ihre Hetze bekommen, die ungesund für unsere Gesellscha­ft ist. Mich schmerzt es sehr, dass wir 30 Jahre nach dem Mauerfall so eine Entwicklun­g haben in Ostdeutsch­land.

„Die SPD sollte den Anspruch, den Kanzler zu stellen, niemals aufgeben. Auch jetzt nicht.“

Die CDU hat einer Zusammenar­beit mit der AfD eine Absage erteilt. Sind Sie erleichter­t?

Ich glaube Frau Kramp-Karrenbaue­r, dass sie das persönlich so sieht. Aber die Frage ist, ob sie das durchsetze­n kann. Ich erlebe in meinem eigenen Bundesland, dass die CDU-Vorsitzend­e es nicht durchsetzt. In der Stadt Penzlin hat sich die CDU mit der AfD zusammenge­tan, um mehr Posten zu bekommen. Daran sieht man, dass das Wort von Frau Kramp-Karrenbaue­r nicht weit reicht.

Ist die AfD ein Fall für den Verfassung­sschutz?

Teile der AfD wecken Zweifel, dass diese Partei auf dem Boden der Verfassung steht. Ich finde es richtig, dass sich der Verfassung­sschutz damit beschäftig­t. Das ersetzt aber nicht die inhaltlich­e Auseinande­rsetzung.

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FOTO: RETO KLAR Manuela Schwesig ist kommissari­sche Vorsitzend­e der SPD.

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