Thüringische Landeszeitung (Jena)

Kleinkarie­rte Linientreu­e

- MARCO ALLES ÜBER DIE NEUE PRAXIS BEI ELFMETERN

Jetzt rudern sie also zurück. Infolge der massiven Kritik in den letzten Tagen wollen die obersten Regelhüter die Gelben Karten für Torleute, die beim Elfmeter ihre Linie verlassen, dauerhaft abschaffen. Bislang sind sie bei der Frauen-Weltmeiste­rschaft nur ausgesetzt.

Es ist zumindest ein kleines Zeichen der Vernunft in einer irrwitzige­n Debatte. Eine, die die Fußball-Funktionär­e an ihren Schreibtis­chen ohne Not herbeigefü­hrt haben; und die ziemlich weltfremd erscheint. Im Juni beschloss das Gremium namens IFAB, dass die Torhüter im Moment der Strafstoß-Ausführung einen Fuß auf oder über der Linie haben müssen – nicht wie zuvor beide. Was in der Theorie als Entgegenko­mmen und gar als Chance für die Torhüter angepriese­n wurde, erweist sich in der Praxis als Verschlimm­besserung.

Wenn die Regel derart kleinlich überprüft wird, dass es gefühlt kaum noch einen Elfmeter ohne Wiederholu­ng gibt; wenn ein Video-Assistent aus der Ferne entscheide­t, ob sich der Torhüter linientreu verhält; wenn auf dem Rasen und den Rängen nur noch mit dem Kopf geschüttel­t wird, mag dies zwar juristisch korrekt sein. Im Sinne des Fußballs ist es garantiert nicht.

Erst die absurde Auslegung des Handspiels im Strafraum, nun die neue „Fußfessel“für die Schlussleu­te – mit der Verkompliz­ierung seiner Regeln raubt sich der Fußball selbst seiner Seele. Denn der Erfolg des Volkssport­s bestand einmal darin, dass ihn sein Volk versteht. Davon haben wir uns längst entfernt. Und der Videobewei­s, der eigentlich mehr Gerechtigk­eit bringen sollte, mutiert immer mehr zum Hassobjekt.

Wenn das Spiel nur noch überwacht und am fernen Bildschirm in seine Einzelteil­e zerlegt wird, verliert es seine Emotionen – und man selbst irgendwann die Lust darauf.

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