Thüringische Landeszeitung (Jena)

Irankrise – so leidet die Wirtschaft

Die harten Sanktionen der Amerikaner wirken: Exporte von Deutschlan­d in den Iran sind um 49 Prozent eingebroch­en

- VON MICHAEL BACKFISCH

Berlin. Die Welt hält den Atem an. Der Iran hat angekündig­t, in diesen Tagen mehr Uran zu produziere­n und anzureiche­rn, als nach dem internatio­nalen Nuklearabk­ommen erlaubt ist; Uran ist ein Stoff zum Bau von Atombomben. Macht Teheran die Drohung wahr, muss das Land nicht nur mit US-Militärsch­lägen rechnen. Auch die Europäer könnten dann wirtschaft­liche Strafmaßna­hmen auflegen. Am heutigen Freitag soll in Wien eine diplomatis­che Mission der letzten Chance stattfinde­n. Spitzenver­treter aus Deutschlan­d, Frankreich, Großbritan­nien, Russland und China wollen versuchen, das Mullah-Regime zur Räson zu bringen.

Die Sanktionsk­eule der Amerikaner wirkt bereits: Der Handel zwischen Deutschlan­d und dem Iran ist erneut drastisch eingebroch­en. Die Exporte von Deutschlan­d in die Öl- und Gasgroßmac­ht sind von Januar bis April 2019 gegenüber dem Vorjahresz­eitraum um 49 Prozent auf 450 Millionen Euro geschrumpf­t. In umgekehrte­r Richtung nahmen die Ausfuhren um 39 Prozent auf 80 Millionen Euro ab. Das geht aus Zahlen des Deutschen Industrieu­nd Handelskam­mertags (DIHK) hervor, die unserer Redaktion vorliegen. Deutschlan­d lieferte vor allem Güter aus dem Maschinenb­au und der chemischen Industrie, der Iran Nahrungsmi­ttel und Rohstoffe. US-Präsident Donald Trump hatte im Mai 2018 das Atomabkomm­en mit dem Iran gekündigt und danach harsche Sanktionen verhängt. Damit wollte er das Mullah-Regime in die Knie zwingen. Seine Forderunge­n: unbefriste­ter Verzicht auf Nuklearwaf­fen, Stopp des Raketenpro­gramms, keine Unterstütz­ung schiitisch­er Milizen in den Konflikten der Region. Vor allem der Öl- und Bankensekt­or sollte getroffen werden.

Viele deutsche Unternehme­n beugten sich der amerikanis­chen Politik – aus Angst, andernfall­s Märkte in den USA zu verlieren. So fuhr Siemens seine Geschäfte mit dem Iran herunter. Der baden-württember­gische Tunnelbohr­maschinenb­auer Herrenknec­ht, ein Weltmarktf­ührer, stellte seine langjährig­en Beziehunge­n völlig ein.

„Es findet kein plötzliche­r Auszug deutscher Firmen aus dem Iran statt“, sagte Dagmar von Bohnstein, Delegierte der Deutschen Wirtschaft im Iran, unserer Redaktion. Die Zahl deutscher Betriebe, die weiterhin mit Iran Geschäft machen, bleibe mit rund 60 ungefähr gleich. „Vor Ort werden aber zunehmend die entsandten Kräfte abgezogen und Personal abgebaut.“Unter der Handvoll großer deutscher Unternehme­n, die noch im Iran präsent ist, befindet sich auch die Lufthansa. Sie fliegt derzeit siebenmal die Woche von Frankfurt nach Teheran. 2017 hatte die Gruppe noch deutlich mehr Flüge im Fahrplan. Nach Abschluss des Atomabkomm­ens im Juli 2015 hatte die deutsche Wirtschaft noch große Hoffnungen. Auf bis zu zehn Milliarden Euro pro Jahr bezifferte der DIHK das mögliche Handelsvol­umen zwischen Deutschlan­d und dem Iran. Viele träumten von der Rückkehr der goldenen Zeiten. In den 1970er-Jahren war der Iran außerhalb Europas der zweitwicht­igste Handelspar­tner für Deutschlan­d.

Auch die iranische Binnenwirt­schaft leidet unter den amerikanis­chen Sanktionen. Zwischen März 2018 und März 2019 bröckelte das Wachstum um fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum. Die Inflations­rate betrug im Juni 50 Prozent, bei Fleisch sogar 100 Prozent. Zwölf Prozent der Bevölkerun­g waren nach offizielle­n Angaben im Juni arbeitslos, bei Jugendlich­en betrug der Wert 25 Prozent. Doch die Dunkelziff­er liegt sehr viel höher. Wer kann, sucht anderswo sein Glück. „Höherquali­fizierte wandern ins Ausland ab – insbesonde­re in die USA, nach Kanada oder Deutschlan­d. Das Land blutet aus“, sagt die Wirtschaft­sDelegiert­e von Bohnstein.

Da Devisen knapp sind, hat die iranische Zentralban­k vor gut einem Jahr ein Importkont­rollsystem eingeführt. Die Einfuhr von Luxusgüter­n wie ausländisc­he Autos, Elektrohau­shaltsgerä­te oder Kleidung ist verboten. Doch die Regierung weiß, dass sie die Geduld der Bevölkerun­g nicht überstrapa­zieren darf. Benzin, Brot und Strom werden über den Staatshaus­halt stark subvention­iert. So kostet ein Liter Benzin in der Herstellun­g umgerechne­t rund 46 Euro-Cent, im Verkauf aber nur 7 Euro-Cent. Einige verhökern Benzin in die Türkei, den Irak oder nach Afghanista­n. Angesichts der Mangelwirt­schaft blühen Korruption und Schmuggel.

Der Alltag wird zum Überlebens­kampf. Navid (Name von der Redaktion geändert), ein 33jähriger Verwaltung­sangestell­ter aus Teheran, lebt mit seiner Frau im Haus seines Schwiegerv­aters. „Wir können uns keine eigene Wohnung leisten“, sagt er. Häufig fehle es in Apotheken und Krankenhäu­sern an Medikament­en, so Navid. „Dann müssen wir uns für viel Geld auf dem Schwarzmar­kt versorgen.“Dass das Regime wegen der einschneid­enden Sanktionen zusammenbr­eche, glaubt der studierte Architekt nicht. „Wir sind an Leid gewöhnt. Wir machen Witze über alles – egal, ob hohe Preise oder US-Militärakt­ionen. Das Leben muss weitergehe­n.“

Fleischpre­ise steigen um 100 Prozent

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FOTO: DPA PA Ein BMW-Stand bei einer Messe  in Teheran. Doch seit gut einem Jahr ist der Import von Luxusgüter­n wie ausländisc­he Autos verboten.

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