Thüringische Landeszeitung (Jena)
Irankrise – so leidet die Wirtschaft
Die harten Sanktionen der Amerikaner wirken: Exporte von Deutschland in den Iran sind um 49 Prozent eingebrochen
Berlin. Die Welt hält den Atem an. Der Iran hat angekündigt, in diesen Tagen mehr Uran zu produzieren und anzureichern, als nach dem internationalen Nuklearabkommen erlaubt ist; Uran ist ein Stoff zum Bau von Atombomben. Macht Teheran die Drohung wahr, muss das Land nicht nur mit US-Militärschlägen rechnen. Auch die Europäer könnten dann wirtschaftliche Strafmaßnahmen auflegen. Am heutigen Freitag soll in Wien eine diplomatische Mission der letzten Chance stattfinden. Spitzenvertreter aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Russland und China wollen versuchen, das Mullah-Regime zur Räson zu bringen.
Die Sanktionskeule der Amerikaner wirkt bereits: Der Handel zwischen Deutschland und dem Iran ist erneut drastisch eingebrochen. Die Exporte von Deutschland in die Öl- und Gasgroßmacht sind von Januar bis April 2019 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 49 Prozent auf 450 Millionen Euro geschrumpft. In umgekehrter Richtung nahmen die Ausfuhren um 39 Prozent auf 80 Millionen Euro ab. Das geht aus Zahlen des Deutschen Industrieund Handelskammertags (DIHK) hervor, die unserer Redaktion vorliegen. Deutschland lieferte vor allem Güter aus dem Maschinenbau und der chemischen Industrie, der Iran Nahrungsmittel und Rohstoffe. US-Präsident Donald Trump hatte im Mai 2018 das Atomabkommen mit dem Iran gekündigt und danach harsche Sanktionen verhängt. Damit wollte er das Mullah-Regime in die Knie zwingen. Seine Forderungen: unbefristeter Verzicht auf Nuklearwaffen, Stopp des Raketenprogramms, keine Unterstützung schiitischer Milizen in den Konflikten der Region. Vor allem der Öl- und Bankensektor sollte getroffen werden.
Viele deutsche Unternehmen beugten sich der amerikanischen Politik – aus Angst, andernfalls Märkte in den USA zu verlieren. So fuhr Siemens seine Geschäfte mit dem Iran herunter. Der baden-württembergische Tunnelbohrmaschinenbauer Herrenknecht, ein Weltmarktführer, stellte seine langjährigen Beziehungen völlig ein.
„Es findet kein plötzlicher Auszug deutscher Firmen aus dem Iran statt“, sagte Dagmar von Bohnstein, Delegierte der Deutschen Wirtschaft im Iran, unserer Redaktion. Die Zahl deutscher Betriebe, die weiterhin mit Iran Geschäft machen, bleibe mit rund 60 ungefähr gleich. „Vor Ort werden aber zunehmend die entsandten Kräfte abgezogen und Personal abgebaut.“Unter der Handvoll großer deutscher Unternehmen, die noch im Iran präsent ist, befindet sich auch die Lufthansa. Sie fliegt derzeit siebenmal die Woche von Frankfurt nach Teheran. 2017 hatte die Gruppe noch deutlich mehr Flüge im Fahrplan. Nach Abschluss des Atomabkommens im Juli 2015 hatte die deutsche Wirtschaft noch große Hoffnungen. Auf bis zu zehn Milliarden Euro pro Jahr bezifferte der DIHK das mögliche Handelsvolumen zwischen Deutschland und dem Iran. Viele träumten von der Rückkehr der goldenen Zeiten. In den 1970er-Jahren war der Iran außerhalb Europas der zweitwichtigste Handelspartner für Deutschland.
Auch die iranische Binnenwirtschaft leidet unter den amerikanischen Sanktionen. Zwischen März 2018 und März 2019 bröckelte das Wachstum um fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die Inflationsrate betrug im Juni 50 Prozent, bei Fleisch sogar 100 Prozent. Zwölf Prozent der Bevölkerung waren nach offiziellen Angaben im Juni arbeitslos, bei Jugendlichen betrug der Wert 25 Prozent. Doch die Dunkelziffer liegt sehr viel höher. Wer kann, sucht anderswo sein Glück. „Höherqualifizierte wandern ins Ausland ab – insbesondere in die USA, nach Kanada oder Deutschland. Das Land blutet aus“, sagt die WirtschaftsDelegierte von Bohnstein.
Da Devisen knapp sind, hat die iranische Zentralbank vor gut einem Jahr ein Importkontrollsystem eingeführt. Die Einfuhr von Luxusgütern wie ausländische Autos, Elektrohaushaltsgeräte oder Kleidung ist verboten. Doch die Regierung weiß, dass sie die Geduld der Bevölkerung nicht überstrapazieren darf. Benzin, Brot und Strom werden über den Staatshaushalt stark subventioniert. So kostet ein Liter Benzin in der Herstellung umgerechnet rund 46 Euro-Cent, im Verkauf aber nur 7 Euro-Cent. Einige verhökern Benzin in die Türkei, den Irak oder nach Afghanistan. Angesichts der Mangelwirtschaft blühen Korruption und Schmuggel.
Der Alltag wird zum Überlebenskampf. Navid (Name von der Redaktion geändert), ein 33jähriger Verwaltungsangestellter aus Teheran, lebt mit seiner Frau im Haus seines Schwiegervaters. „Wir können uns keine eigene Wohnung leisten“, sagt er. Häufig fehle es in Apotheken und Krankenhäusern an Medikamenten, so Navid. „Dann müssen wir uns für viel Geld auf dem Schwarzmarkt versorgen.“Dass das Regime wegen der einschneidenden Sanktionen zusammenbreche, glaubt der studierte Architekt nicht. „Wir sind an Leid gewöhnt. Wir machen Witze über alles – egal, ob hohe Preise oder US-Militäraktionen. Das Leben muss weitergehen.“
Fleischpreise steigen um 100 Prozent