Thüringische Landeszeitung (Jena)
Ein neues rechtes Terrornetz?
Zwei weitere Festnahmen im Mordfall Lübcke. Polizei findet Waffen. Seehofer gerät unter Handlungsdruck
Berlin. Die Gaststätte in Borgentreich-Natzungen steht leer. Nur der Anbau ist bewohnt. Und hier, im beschaulichen ostwestfälischen Landkreis Höxter, rückt am Mittwoch ein Spezialeinsatz-Kommando (SEK) der Polizei an. Die Beamten nehmen den 64 Jahren alten Elmar J. fest. Er soll der Waffenlieferant des Kasseler Attentäters Stephan E. sein. Es ist die neueste Wendung im Mordfall Walter Lübcke.
Nachdem der 45-jährige Tatverdächtige das Verbrechen am Kasseler Regierungspräsidenten gestanden hat und Helfer sowie Waffenverstecke nannte, erreicht die Arbeit der Ermittler eine neue Stufe. Noch in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag wurden Objekte durchsucht und fünf Waffen gefunden. Unter ihnen soll die Tatwaffe. Sie werden jetzt kriminaltechnisch untersucht. Gegen den Verkäufer und einen Kontaktmann erließ der Generalbundesanwalt am Donnerstag Haftbefehl. Die Frage ist, ob sie von Stephan E.s Absichten wussten und billigend in Kauf nahmen, dass mit der Waffe eine Bluttat verübt wird. Letzthin geht es darum, ob der Rechtsextremist ein Einzeltäter war oder ob hinter ihm ein Netzwerk steht. Dafür gibt es keine Hinweise oder Belege. Bis zum Beweis des Gegenteils gehen die Ermittler von einem einsamen Wolf aus.
Nicht nur die Ermittler sind gefragt und gefordert. Unter Handlungsdruck ist auch Innenminister Horst Seehofer (CSU) in Berlin. Er will nach eigenen Worten „die Feinde des Rechtsstaates aus dem Verkehr ziehen“. Der Minister wies in seinem Ressort an, weitere Verbote von rechtsextremen Vereinen und Gruppierungen zu prüfen. Die Frage ist nicht, ob es dazu kommt, sondern wen es wann treffen wird. Seehofers Beamte sind auf Zulieferungen aus den Ländern angewiesen. Spätestens im August dürfte der Minister zur Tat schreiten. Er hat intern konkrete Organisationen genannt. Um den Erfolg nicht zu gefährden, vermeidet Seehofer es aber, diese Namen öffentlich zu nennen. So ein Verbot sei ein „tiefer Einschnitt“und keine „Alltagsangelegenheit“, sagte er gestern bei der Vorstellung des Jahresberichts des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Im Klartext: So ein Verbot muss gut vorbereitet sein und vor Gericht Bestand haben.
Im Herbst will der CSU-Mann auch Gesetze verschärfen. SPDVizefraktionschefin Eva Högl begrüßte, dass offen staatsfeindliche Gruppen wie die Reichsbürger jetzt besser in den Fokus der Sicherheitsbehörden genommen würden. „Allerdings muss uns die Mobilisierung der rechtsextremen Szene im Internet Sorgen machen“, fügte sie hinzu. Seehofer darf es als Unterstützung seines Koalitionspartners verstehen. Martina Renner (Linke)
Im Herbst will er sogar ein heißes Eisen anpacken: den Datenschutz. Über den Attentäter von Kassel hätten die Polizeibeamten im Normalfall keine Eintragung mehr in den einschlägigen Dateien gefunden, weil die letzte aus dem Jahr 2009 stammte. Sie hätte längst getilgt werden müssen und ist bloß erhalten geblieben, weil für alle Daten mit Bezug zum Terrornetzwerk NSU ein Löschmoratorium bestanden hatte.
Zu den Vereinen, die für ein Verbot infrage kämen, zählt etwa die Identitäre Bewegung und „Combat18“, letzterer schon deswegen, weil Stephan E., der über Jahrzehnte in der NeonaziSzene aktiv war und mehrfach einschlägig vorbestraft ist, Kontakte zur rechtsextremen Gruppe pflegte.
Erst am Dienstag hatte er die Tat gestanden. Als die Ermittler nicht lockerließen, packte er aus. Er erzählte, dass er mehrere Waffen besitzt und teilweise auch verkauft hat, nannte Details wie das Versteck.
Der Tatverdächtige arbeitete in Kassel bei einem Bahnzulieferer. Dort auf dem Gelände richtete er auch ein Erddepot ein. Zur Tatwaffe kamen noch eine Pumpgun und eine Maschinenpistole vom Typ Uzi samt Munition. Die Tatwaffe hatte er erst 2016 gekauft, das übrige Schießgerät offenbar Jahre früher.
Ein Gesinnungsgenosse, Markus H., hatte ihm einen Kontakt zum Waffenhändler in Westfalen verschafft. Laut dem ARDMagazin „Panorama“war der Neonazi 2006 im Zusammenhang mit dem Mord an Halit Yozgat in Kassel als Zeuge vernommen worden. Yozgat ist eines der Opfer des NSU.
„Ausgesprochen besorgniserregend“ist für Seehofer just diese Kombination: der Extremismus plus Waffenaffinität. Laut dem Verfassungsschutz gab es 2018 insgesamt 1088 Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund. 2017 waren es noch 1054. Insgesamt wurden bis Ende 2018 bei der politisch motivierten Kriminalität von rechts 19.409 Straftaten gezählt. 2017 waren es 19.467.
Im Herbst will Seehofer auch Gesetze verschärfen
„Die Szene muss entwaffnet werden.“
Hohe Gewaltbereitschaft der rechten Szene
Die hohe Gewaltbereitschaft der Szene ist laut Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang ein bundesweites Problem. Aber sie fordert auch einzelne Länder heraus. Allein in NRW wird die Zahl der rechtsextremen Gefährder auf über 100 geschätzt, dort gibt es 3300 Rechtsextremisten, darunter 2000 gewaltorientiert.
Die stellvertretende SPDFraktionschefin Eva Högl, die im NSU-Untersuchungsausschuss saß, erinnerte daran, dass es selbst nach Ende des NSUProzesses „immer noch unvollstreckte Haftbefehle“gab. Schärfer geht die Opposition mit dem Sicherheitsapparat zu Gericht. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte unserer Redaktion, es sei „erschreckend“, wie stark das rechtsextreme Spektrum wachsen konnte. Die Fahndungserfolge zeigten, was Ermittlungsdruck bewirken könne. Für Linke-Politikerin Martina Renner ist klar: „Die Szene muss entwaffnet werden.“