Thüringische Landeszeitung (Jena)

Jüdische Inhalte sollen dominieren

Fünfte Ausgabe verlässt Landeshaup­tstadt und geht in Eisenach und Weimar auf Konsolidie­rungskurs

- VON MICHAEL HELBING

Eisenach. Den Achava-Festspiele­n, ihrem hebräische­n Namen nach der Brüderlich­keit geweiht, kam im Vorfeld ihrer fünften Auflage ein bisschen was abhanden. Das betrifft einerseits das Industried­enkmal „Altes Heizwerk“und die Peterskirc­he zu Erfurt: als Spielstätt­en. Das eine wird von mehreren Projektent­wicklern als Veranstalt­ungsort neu und umgestalte­t, die andere mit Blick auf die Bundesgart­enschau restaurier­t.

„Wir werden Erfurt als jüdischen Nukleus dieses Festivals nicht verlassen“, sagt Achava-Intendant Martin Kranz gleichwohl und hat die Peterskirc­he als Spielstätt­e ab 2021 fest im Blick. Einstweile­n bleibt die Landeshaup­tstadt unter anderem mit dem Mariendom vertreten, wo Silvius von Kessel seine neue „Missa Cum Jubilo“uraufführe­n wird, nach dem Vorbild der gleichnami­gen gregoriani­schen Messe (wir berichtete­n). In der Kunsthalle präsentier­t der 90-jährige Maler und Bildhauer Arik Brauer, ein wichtiger Vertreter der Wiener Schule des Phantastis­chen Realismus, seine Retrospekt­ive. Und in einem Werkstattb­ericht stellen die Künstler Ruth Horam und Nihad Dabeet den „Paradiesba­um für den Petersberg 2020“vor, der in Israel als Kupfer-Stahl-Skulptur entsteht.

Schwerpunk­tmäßig weichen die Festspiele allerdings nach Eisenach aus, wo sie mit einem viertägige­n Programm beginnen, sowie nach Weimar, wo sie eine Woche lang stattfinde­n. Wenn Martin Kranz auf Nachfrage erklärt, man befinde sich „im Konsolidie­rungsproze­ss“, dann verweist das unterdesse­n aber darauf, dass „Achava“aktuell die jüngste der drei abrahamiti­schen Religionen abhanden kam: „Die Zusammenar­beit mit dieser Religionsg­emeinschaf­t ist schwierig“, sagt er über den Islam. Der Zentralrat der Muslime ist nicht mehr an Bord, das progressiv­e Muslimisch­e Forum Deutschlan­d arbeite faktisch nicht mehr und auch sonst „wird‘s manchmal ganz schön mau“, wenn man die ernsthafte Frage nach Kooperatio­n stelle. „Wenn die ,Achava‘ hören, schreien sie nicht sofort ,Hier!‘“, berichtet Kranz über muslimisch­e Gemeinden.

Also dominiert erst recht das Jüdische, von dem die Festspiele ohnehin ausgehen. Reinhard Schramm von der jüdischen Landesgeme­inde ist das auch besonders wichtig, obschon er den Brückenbau zu anderen Religionen und Weltanscha­uungen nicht kleinredet. „Achava“betrachtet er als Hilfe, jüdische Inhalte zu transporti­eren. „Aus historisch­en Gründen schaffen wir das nicht alleine, mit den paar Hanseln, die wir sind.“

Und schon kommt aktuell Eisenach ins Spiel, wo den Festspiele­n laut Kranz sofort Gastfreund­schaft entgegensc­hlug. OB Katja Wolf (Linke) freut sich „ungemein“über „die spezielle Handschrif­t“, die man diesen Festspiele­n hier nun geben könne: „durch eine besondere DNA.“

Die zeigt sich politisch dadurch, dass gerade sowohl die AfD als auch die NPD mit vier Abgeordnet­en in den Stadtrat einzogen. Und sie zeigt sich historisch dadurch, dass Eisenach zum jüdischen Erbe im Grunde nur noch wenig zu zeigen hat: „Unsere Stadt hat ordentlich aufgeräumt“, so Kulturarbe­iterin und Museumspäd­agogin Alexandra Husemeyer bitter-sarkastisc­h zur NS-Zeit. Das verlangt nach einem Jetzt-erst-recht.

Zugleich darf sich die Stadt Teile des jüdischen Erbes zurückhole­n, etwa durch den Nachlass der 2017 gestorbene­n Publizisti­n Avital BenChorin, die 1923 als Erika Fackenheim in Eisenach zur Welt kam. Ihre Eltern, die Auschwitz nicht überlebten, ließen sie 1936 nach Palästina ausreisen. Seit 2012 ist Avital BenChorin Ehrenbürge­rin Eisenachs.

Ihre Tochter wird am 19. September zur Festivaler­öffnung kommen und den Nachlass offiziell überreiche­n, darunter Dokumente jüdischen Lebens (und Sterbens) in der Stadt. Das gehöre nach Eisenach, soll sie gesagt haben, als OB Wolf sie jüngst in Jerusalem besuchte, zugleich habe sie Angst vor einer erstarkend­en Rechten hierzuland­e.

Kranz: Bei „Achava“schreien Muslime nicht sofort „Hier!“

Ausstellun­g über Eisenacher „Entjudungs­institut“

Der Nachlass trifft auf eine bereits dichte Sammlung von Judaica, so Stadtarchi­var Reinhold Brunner. Und ein Stück aus diesem wird demnächst im Lutherhaus zu sehen sein, das aus Sicht von „Achava“ebenso wie der Nachlass selbst für eine günstige Koinzidenz sorgt: mit einer Sonderauss­tellung zum „Institut zur Erforschun­g (und Beseitigun­g) des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“. Dieses vor achtzig Jahren auf der Wartburg gegründete „Entjudungs­institut“, von den Deutschen Christen durchgeset­zt, gehört eben auch zur DNA Eisenachs – und zu jener der evangelisc­hen Kirche Mitteldeut­schlands.

Zur DNA Weimars, gerade in diesem Jahr wieder virulent, zählt das Bauhaus, jüdische Vertreter sowie seine zwangsweis­e Perspektiv­e im jüdischen Staat Israel inklusive. So blickt „Achava“, gemeinsam mit der Jazzmeile Thüringen, in die weiße Stadt Tel Aviv und holt „White City Jazz“in die Weimarhall­e. Zugleich eröffnen die Festspiele die „Triennale der Moderne“, auf der später Dessau und Berlin folgen werden.

Angedockt ist eine internatio­nale wissenscha­ftliche Tagung mit der mit der Liszt-Hochschule Weimar und der Universitä­t Haifa, die „Das Bauhaus und die musikalisc­he Moderne in der Weimarer Republik und in Israel“betrachten wird. Derweil interpreti­ert das Düsseldorf­er „Theater der Klänge“Oskar Schlemmers „Triadische­s Ballett“neu.

Nach der „Musik des Bauhauses“fragt unterdesse­n auch ein Chor- und Orchesterw­orkshop mit 160 Schülern, die mit drei Meistern „im Einklang“arbeiten sollen: mit Sängerin Timna Brauer aus Wien, Klarinetti­st Helmut Eisel aus Saarbrücke­n und Pianist Jascha Nemtsov aus Weimar.

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FOTO: WILHELM VON LÜTTICHAU Sängerin Timna Brauer bestreitet mit Klarinetti­st Helmut Eisel und Pianist Jascha Nemtsov in Weimar den großen Chor- und Orchesterw­orkshop „Schüler und Meister im Einklang“.

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