Thüringische Landeszeitung (Jena)
Jüdische Inhalte sollen dominieren
Fünfte Ausgabe verlässt Landeshauptstadt und geht in Eisenach und Weimar auf Konsolidierungskurs
Eisenach. Den Achava-Festspielen, ihrem hebräischen Namen nach der Brüderlichkeit geweiht, kam im Vorfeld ihrer fünften Auflage ein bisschen was abhanden. Das betrifft einerseits das Industriedenkmal „Altes Heizwerk“und die Peterskirche zu Erfurt: als Spielstätten. Das eine wird von mehreren Projektentwicklern als Veranstaltungsort neu und umgestaltet, die andere mit Blick auf die Bundesgartenschau restauriert.
„Wir werden Erfurt als jüdischen Nukleus dieses Festivals nicht verlassen“, sagt Achava-Intendant Martin Kranz gleichwohl und hat die Peterskirche als Spielstätte ab 2021 fest im Blick. Einstweilen bleibt die Landeshauptstadt unter anderem mit dem Mariendom vertreten, wo Silvius von Kessel seine neue „Missa Cum Jubilo“uraufführen wird, nach dem Vorbild der gleichnamigen gregorianischen Messe (wir berichteten). In der Kunsthalle präsentiert der 90-jährige Maler und Bildhauer Arik Brauer, ein wichtiger Vertreter der Wiener Schule des Phantastischen Realismus, seine Retrospektive. Und in einem Werkstattbericht stellen die Künstler Ruth Horam und Nihad Dabeet den „Paradiesbaum für den Petersberg 2020“vor, der in Israel als Kupfer-Stahl-Skulptur entsteht.
Schwerpunktmäßig weichen die Festspiele allerdings nach Eisenach aus, wo sie mit einem viertägigen Programm beginnen, sowie nach Weimar, wo sie eine Woche lang stattfinden. Wenn Martin Kranz auf Nachfrage erklärt, man befinde sich „im Konsolidierungsprozess“, dann verweist das unterdessen aber darauf, dass „Achava“aktuell die jüngste der drei abrahamitischen Religionen abhanden kam: „Die Zusammenarbeit mit dieser Religionsgemeinschaft ist schwierig“, sagt er über den Islam. Der Zentralrat der Muslime ist nicht mehr an Bord, das progressive Muslimische Forum Deutschland arbeite faktisch nicht mehr und auch sonst „wird‘s manchmal ganz schön mau“, wenn man die ernsthafte Frage nach Kooperation stelle. „Wenn die ,Achava‘ hören, schreien sie nicht sofort ,Hier!‘“, berichtet Kranz über muslimische Gemeinden.
Also dominiert erst recht das Jüdische, von dem die Festspiele ohnehin ausgehen. Reinhard Schramm von der jüdischen Landesgemeinde ist das auch besonders wichtig, obschon er den Brückenbau zu anderen Religionen und Weltanschauungen nicht kleinredet. „Achava“betrachtet er als Hilfe, jüdische Inhalte zu transportieren. „Aus historischen Gründen schaffen wir das nicht alleine, mit den paar Hanseln, die wir sind.“
Und schon kommt aktuell Eisenach ins Spiel, wo den Festspielen laut Kranz sofort Gastfreundschaft entgegenschlug. OB Katja Wolf (Linke) freut sich „ungemein“über „die spezielle Handschrift“, die man diesen Festspielen hier nun geben könne: „durch eine besondere DNA.“
Die zeigt sich politisch dadurch, dass gerade sowohl die AfD als auch die NPD mit vier Abgeordneten in den Stadtrat einzogen. Und sie zeigt sich historisch dadurch, dass Eisenach zum jüdischen Erbe im Grunde nur noch wenig zu zeigen hat: „Unsere Stadt hat ordentlich aufgeräumt“, so Kulturarbeiterin und Museumspädagogin Alexandra Husemeyer bitter-sarkastisch zur NS-Zeit. Das verlangt nach einem Jetzt-erst-recht.
Zugleich darf sich die Stadt Teile des jüdischen Erbes zurückholen, etwa durch den Nachlass der 2017 gestorbenen Publizistin Avital BenChorin, die 1923 als Erika Fackenheim in Eisenach zur Welt kam. Ihre Eltern, die Auschwitz nicht überlebten, ließen sie 1936 nach Palästina ausreisen. Seit 2012 ist Avital BenChorin Ehrenbürgerin Eisenachs.
Ihre Tochter wird am 19. September zur Festivaleröffnung kommen und den Nachlass offiziell überreichen, darunter Dokumente jüdischen Lebens (und Sterbens) in der Stadt. Das gehöre nach Eisenach, soll sie gesagt haben, als OB Wolf sie jüngst in Jerusalem besuchte, zugleich habe sie Angst vor einer erstarkenden Rechten hierzulande.
Kranz: Bei „Achava“schreien Muslime nicht sofort „Hier!“
Ausstellung über Eisenacher „Entjudungsinstitut“
Der Nachlass trifft auf eine bereits dichte Sammlung von Judaica, so Stadtarchivar Reinhold Brunner. Und ein Stück aus diesem wird demnächst im Lutherhaus zu sehen sein, das aus Sicht von „Achava“ebenso wie der Nachlass selbst für eine günstige Koinzidenz sorgt: mit einer Sonderausstellung zum „Institut zur Erforschung (und Beseitigung) des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“. Dieses vor achtzig Jahren auf der Wartburg gegründete „Entjudungsinstitut“, von den Deutschen Christen durchgesetzt, gehört eben auch zur DNA Eisenachs – und zu jener der evangelischen Kirche Mitteldeutschlands.
Zur DNA Weimars, gerade in diesem Jahr wieder virulent, zählt das Bauhaus, jüdische Vertreter sowie seine zwangsweise Perspektive im jüdischen Staat Israel inklusive. So blickt „Achava“, gemeinsam mit der Jazzmeile Thüringen, in die weiße Stadt Tel Aviv und holt „White City Jazz“in die Weimarhalle. Zugleich eröffnen die Festspiele die „Triennale der Moderne“, auf der später Dessau und Berlin folgen werden.
Angedockt ist eine internationale wissenschaftliche Tagung mit der mit der Liszt-Hochschule Weimar und der Universität Haifa, die „Das Bauhaus und die musikalische Moderne in der Weimarer Republik und in Israel“betrachten wird. Derweil interpretiert das Düsseldorfer „Theater der Klänge“Oskar Schlemmers „Triadisches Ballett“neu.
Nach der „Musik des Bauhauses“fragt unterdessen auch ein Chor- und Orchesterworkshop mit 160 Schülern, die mit drei Meistern „im Einklang“arbeiten sollen: mit Sängerin Timna Brauer aus Wien, Klarinettist Helmut Eisel aus Saarbrücken und Pianist Jascha Nemtsov aus Weimar.