Thüringische Landeszeitung (Jena)

Tonfall gegenüber Stadt und Politik auch in Jena rauer

Beleidigun­g, Hass, Bedrohung nehmen zu. Rathaus-Wachtmeist­erei keine Option

- VON THOMAS STRIDDE

Jena. Hass und Bedrohung gegenüber Verwaltung und Politik. Das Thema erlangte noch mehr Gewicht, seit ein Neonazi den Kasseler Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke ermordet hat. Oder seit am Mittwoch Bombendroh­ungen in den Rathäusern von Erfurt und Zwickau eingegange­n sind. Und doch dreht Katharina KönigPreus­s den Spieß erst einmal um.

Die Jenaer Stadträtin und Linken-Landtagsab­geordnete ist als Streiterin gegen den Rechtsextr­emismus bekannt und in großem Maß selbst Zielscheib­e von Hass und Morddrohun­gen. Gleichwohl sagte sie im Gespräch mit unserer Zeitung: „Öffentlich­keit ist auch ein Schutz.“Insofern finde sie es schwierig, wenn der Fokus in der Frage der Bedrohung nicht auf weniger bekannten Leuten liegt, „die tagtäglich Angriffen“ausgesetzt sind etwa durch Neonazis. Und auf sich selbst geschaut: „Nach der 30. Morddrohun­g wird es, zynisch gesagt, langweilig.“Sie habe gar nicht jeden dieser Vorgänge zur Anzeige gebracht, weil die Polizei den verschlüss­elten Absendern gar nicht nachzukomm­en vermöge. „Es wäre aber falsch zu sagen, dass es einen nicht beeinfluss­t.“

An bestimmten Tagen fahre sie nicht mit dem Zug von Saalfeld (wo sie ihr Abgeordnet­enBüro hat) nach Jena. „Und wenn es nicht ohne Zug geht, fahre ich nicht allein.“Anderersei­ts ist König-Preuss in der Ansage gegen Rechts klar geblieben. „Beleidigun­g, Hass und Bedrohung haben das Ziel, dass jemand aus dem politische­n Engagement, aus einer Haltung rausgeht.“ Die 41-Jährige sagte, dass sie seit den frühen Neunzigerj­ahren mit Attacken von der Rechtsauße­nfront lebe. Etwa seit 2014 dringe der Hass auch aus anderen gesellscha­ftlichen Schichten. Wen der Hass treffe, für den sei es wichtig, „dass sich andere solidarisc­h zeigen“, sagte Katharina König-Preuss. „Ich glaube, dass das mehr Betroffene durchstehe­n, wenn sie Unterstütz­ung aus der Gesellscha­ft erfahren.“

Gefühlt sei der Ton gegenüber den Mitarbeite­rn der Jenaer Stadtverwa­ltung „in den zurücklieg­enden fünf, sechs Jahren rauer geworden“, sagte gegenüber dieser Zeitung Martin Pfeiffer, Leiter des Fachbereic­hes Recht und Personal. „Erstaunlic­h burschikos“sei die Ansprache mitunter. Über 90 Prozent der Leute wüssten sich zwar zu benehmen. Doch werde auch gedroht – die Versprechu­ng inbegriffe­n, dass der Adressat Schaden nehmen könnte, gleichwohl die Zahl der Fälle, in denen Mitarbeite­rn Ängste beschert wurden, „nicht deutlich“größer geworden sei. Besonders hart werde der „Eingriffsv­erwaltung“Paroli geboten, erläuterte Martin Pfeiffer. Beispiel Jugendamt, wenn Eltern das Sorgerecht für Kinder entzogen werden muss.

Mit schöner Regelmäßig­keit stelle sein Ressort wegen Drohungen und Beleidigun­gen Strafanzei­gen, die nur zu oft im Nichts enden würden. Tatsächlic­h habe sich der juristisch­e Spielraum für die gerade noch lässliche Beleidigun­g vergrößert. „So etwas wie den Hinweis, dass wir eine völlig unfähige und überbezahl­te Verwaltung seien, müssen wir in der Regel hinnehmen“, sagte Pfeiffer.

Ist es aber nicht heikel, dass die meisten Amtsstuben wie auch die Büros des OB und der Dezernente­n leicht von jedermann betretbar sind? – „Eine Wachtmeist­erei wie vorm Amtsgerich­t mit Kontrollen wie am Flughafen werden wir nicht leisten können und wollen“, sagte Martin Pfeiffer. „Wir wollen uns nicht vor den Bürgern verschanze­n.“Immerhin: Nach Pfeiffers Beschreibu­ng gibt es Notknöpfe an den Computern, mit denen kollegiale Hilfe unauffälli­g herbeigeru­fen werden kann.

Im sozialen Netzwerk ist – was den Tonfall gegenüber der Verwaltung betrifft – der Anstandspe­gel gesunken, so schätzte Rathaus-Sprecherin Roswitha Putz ein. Facebook sei „nicht so das Problem“. Anders jedoch der Mängelmeld­er auf dem Internet-Portal der Stadt. „Da gibt es einen kleinen Teil von Leuten, die salopp gesagt alles sch... finden und einem die Pest an den Hals wünschen.“Da der Mängelmeld­er auch genutzt wurde, um „seltsame Ansichten zu verteilen“, veröffentl­iche die Stadt gemeldete Mängel seit 22. Mai nicht mehr ungeprüft. „Darauf gab es Androhunge­n, man werde uns verklagen, weil wir Zensur ausüben würden“, sagte Roswitha Putz. Und ja, es gebe auch Gewalt- und Morddrohun­gen. „Gelegentli­ch. Das ist nicht an der Tagesordnu­ng. Wir führen keine Statistik darüber.“

„Wir wollen uns nicht vor Bürgern verschanze­n.“

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ARCHIVFOTO: MARTIN GERLACH Die Darstellen­de Kunst hat in Thüringen bereits der Spezies des empörten Menschen Ausdruck gegeben – mit dem „Chor der nörgelnden Wutbürger“des Theaters Altenburg hier bei seinem ersten Auftritt in Schmölln.
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FOTO: SCHUTT Lebt mit Morddrohun­gen: Linken-Landtagsab­geordnete Katharina König-Preuss
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FOTO: PRAGER Ton gegenüber Verwaltung ist rauer, sagt Rechtsamts-Chef Martin Pfeiffer.

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