Thüringische Landeszeitung (Jena)
Hart, aber richtig
AOK-Plus-Vorstand Rainer Striebel über die Corona-Folgen für Krankenkassen und das Hoffen auf einen Impfstoff
Corona ist nicht nur für das Gesundheitssystem ein Stresstest, sondern auch für die Krankenkassen. Die AOK Plus ist das Flaggschiff, sie betreut in Thüringen fast jeden zweiten gesetzlich Versicherten. Verkraftet sie finanziell die Folgen, wie sieht sie die Zukunft und wie sollen künftig Impfungen organisiert werden? Wir sprachen mit Rainer Striebel, Vorstand der AOK Plus für Sachsen und Thüringen.
Herr Striebel, Kritiker halten viele Maßnahmen des Lockdowns für überzogen. War es richtig, den Normalbetrieb in den Krankenhäusern so stark herunterzufahren?
Mit dem Wissen von heute würde man sicher einiges anders machen. Aber Anfang März wusste niemand, was auf uns zukommt. Wir hatten die Bilder aus Italien, wo die Särge für die Toten nicht reichten, vor Augen. Wir wussten, dass in den Kliniken dort Beatmungsplätze ein Engpass waren. Es war konsequent, in den Krankenhäusern hier alle planbaren Operationen zu verschieben, um Intensivbetten, aber auch Ärzte und Pflegekräfte zu haben, für das, was da möglicherweise kommen würde. Jeder Infizierte mit Symptomen sollte adäquat behandelt werden können, das hatte oberste Priorität. Die Entscheidungen waren hart, aber richtig.
Durch die wirtschaftlichen Problemlagen fehlen auch Versicherungsbeiträge, sind bei der AOK Plus die Kassen leer?
Leere Kassen haben wir nicht. Wir hatten im ersten Quartal, also noch vor Corona, ein Minus von 130 Millionen – vor allem bedingt durch gestiegene Kosten, die neue Versorgungsgesetze den Krankenkassen insgesamt bescheren. Dann haben wir seit April Tausenden Arbeitgebern in Thüringen und Sachsen Beitragszahlungen gestundet. Aber während der Pandemie hatten wir in einigen Bereichen deutlich weniger Ausgaben: durch ausgefallene Operationen in den Krankenhäusern, nicht angetretene Kuren oder Physiotherapien.
Warum klagen die Kassen dann über eine drohende finanzielle Schieflage wegen Corona?
Nach unseren Berechnungen werden in diesem Jahr den gesetzlichen Krankenkassen bis zu zehn Milliarden Euro Beitragseinnahmen fehlen. 2021 wird es ähnlich schwierig, weil die Wirtschaftskraft und damit die Beitragsfähigkeit sinkt. Damit die Kassen zahlungsfähig bleiben, gibt der Bund in diesem Jahr 3,5 Milliarden an Steuermitteln in den Gesundheitsfond hinein. Die spannende Frage wird sein, ob das unterm Strich die Zuweisungen für das kommende Jahr senken wird. Dann würden alle Kassen unter massiven Druck geraten.
Befürchten Sie, Ihren Versicherten Beitragserhöhungen erklären zu müssen?
Davon gehe ich derzeit nicht aus. 2021 ist Bundestagswahl. Es ist das oft erklärte Ziel der Bundesregierung, dass die Summe der Lohnnebenkosten 40 Prozent nicht übersteigt. Diese Grenze ist fast erreicht. Wir rechnen damit, dass der Finanzminister
deswegen die Beitragsausfälle mit Steuermilliarden ausgleicht, damit die Beiträge stabil bleiben.
Arbeiten Sie schon an Szenarien, wie Sie das logistisch schaffen wollen, wenn ein großer Run auf die Corona-Impfung einsetzt?
Dazu muss es einen gesellschaftlichen Konsens geben. Viel wird davon abhängen, wann, in welcher Infektionslage und in welchen Mengen Impfstoff verfügbar sein wird. Das alles ist derzeit nicht vorhersehbar. Man wird sich verständigen müssen, welche Personengruppen zuerst geimpft werden. Im Moment können wir nur hoffen, dass es im nächsten Jahr einen Impfstoff gibt.