Thüringische Landeszeitung (Jena)
„Die größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg“
Peter Gerber, neuer Präsident der deutschen Luftverkehrswirtschaft, fordert Aufhebung der Reisebeschränkungen
Ohne die baldige Wiederaufnahme internationaler Flüge fehlt Fluggesellschaften und Flughäfen in der Corona-Krise die Perspektive, warnt Peter Gerber, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) und Vorstandschef von Lufthansa Cargo. Die Branche stehe vor tiefen Einschnitten.
Herr Gerber, wie schwer hat die Corona-Krise die deutsche Luftfahrt im Griff?
Da gibt es eigentlich nur ein Wort: beispiellos. Das ist die größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg und damit seit Bestehen der zivilen Luftfahrt. So etwas haben wir noch nicht erlebt. Im April und Mai hatten wir einen Verkehrsrückgang von mehr als 95 Prozent. Einzige Ausnahme ist der Cargo-Bereich, wo immer geflogen worden ist, um Lieferketten aufrechtzuerhalten und Schutzausrüstung zu transportieren.
Fluggesellschaften, die Flughäfen und auch die Flugsicherung tun ihr Möglichstes. Aber klar ist: Es gibt auf Dauer keine Überlebensmöglichkeit, wenn wir nicht auf die Fundamente unserer Geschäftstätigkeit zurückkehren können. Die flächendeckenden Rettungspakete des Staates für die Fluggesellschaften waren sehr wichtig. Fliegen ist einfach eine notwendige Infrastruktur. Mit dieser Hilfe ist es möglich, die notwendige Restrukturierung einzuleiten. Wir hoffen, dass es jetzt auch Hilfen für die Flughäfen geben wird. Als meist halbstaatliche oder in öffentlicher Hand befindliche Unternehmen haben sie bislang keinen Zugang zu den KfW-Krediten.
Wie lang kann die Luftfahrt die Krise noch aushalten?
Das hängt davon ab, wie schnell wir den Verkehr wieder aufnehmen können. Im Juli sind wir wieder 60 Prozent der Strecken geflogen. Wegen
reduzierter Frequenzen entspricht das 30 Prozent des früheren Angebots. Ungefähr 20 Prozent der Passagiere sind wieder da. Jetzt muss das Geschäft mit Interkontinentalflügen zurückkommen. Wenn das in absehbarer Zeit der Fall ist, wird es eine Perspektive geben. Es steht jedoch eine harte Phase der Sanierung, Restrukturierung und Konsolidierung bevor.
Mit welchen Maßnahmen wäre der Luftfahrt am besten geholfen?
Am wichtigsten sind verlässliche Rahmenbedingungen und die Aufhebung von Reisebeschränkungen, damit die Kunden wieder Vertrauen ins Reisen haben können. In Europa ist das ganz gut gelungen. Hier nimmt der Luftverkehr wieder zu. Genau so einen Rahmen brauchen wir jetzt auch für interkontinentale Flüge.
Wie wird die Branche nach der Pandemie aussehen?
Die Krise hat die Digitalisierung massiv vorangetrieben. Bei der einen oder anderen Gelegenheit ist eine Reise jetzt überflüssig. Es reicht, wenn man sich per Video sieht. Was jetzt aber deutlich wird – und das höre ich seit einigen Wochen immer öfter: Bestimmte Sachen kann man doch nicht so machen. Wenn Sie neue Projekte beginnen, Kontakte anbahnen, Themen inoffiziell besprechen, einen Eindruck von Menschen gewinnen möchten, wenn es um Wertschätzung geht – da sagen alle: Da müssen wir jetzt mal wieder verreisen. Von daher: Ein Teil der Reisen wird weg sein, ein anderer kommt auf jeden Fall zurück. Und beim Tourismus glaube ich einfach an die Sehnsucht der Menschen danach, andere Menschen und Orte zu sehen.
Rückkehrer aus Risikogebieten müssen sich am Flughafen testen lassen. Ist das eine gute Sache?
Wenn man dieses Instrument richtig verwendet, kann es eine gute Sache sein. Man sollte sich aber fragen, wo es die größte Effektivität hat – das ist sicherlich nicht der LuftverDie kehr. Die allermeisten Rückkehrer kommen über die Straße. Wir begrüßen es aber insoweit, als dass die Tests für unsere Kunden Verlässlichkeit schaffen. Wenn sich der Zielort unterwegs zum Risikogebiet entwickelt, dann können sie in Deutschland ganz normal einreisen.
Wie würde es sich auf das Reiseverhalten auswirken, wenn Passagiere den Corona-Test selbst zahlen müssten?
Das müsste mir mal jemand sagen, wie das rechtlich gehen soll. Schon die Anordnung des Tests begegnet rechtlich hohen Hürden. Dass man die Unternehmen und die Passagiere auch noch zahlen lässt, halte ich für einen rechtlichen Irrweg. Und es stünde im Übrigen völlig im Widerspruch zu allen intensiven Anstrengungen von Staat und Unternehmen, den existenzbedrohten Luftverkehr wieder aufzurichten.
MediengruppeThüringenVerlagGmbH inKooperationmitPhoenixReisenGmbH Veranstalter:
„Ein Teil der Reisen wird weg sein, ein anderer kommt auf jeden Fall zurück.“Peter Gerber,
Präsident des Branchenverbands BDL