Thüringische Landeszeitung (Jena)

„Die größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg“

Peter Gerber, neuer Präsident der deutschen Luftverkeh­rswirtscha­ft, fordert Aufhebung der Reisebesch­ränkungen

- Von Alexander Klay

Ohne die baldige Wiederaufn­ahme internatio­naler Flüge fehlt Fluggesell­schaften und Flughäfen in der Corona-Krise die Perspektiv­e, warnt Peter Gerber, Präsident des Bundesverb­andes der Deutschen Luftverkeh­rswirtscha­ft (BDL) und Vorstandsc­hef von Lufthansa Cargo. Die Branche stehe vor tiefen Einschnitt­en.

Herr Gerber, wie schwer hat die Corona-Krise die deutsche Luftfahrt im Griff?

Da gibt es eigentlich nur ein Wort: beispiello­s. Das ist die größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg und damit seit Bestehen der zivilen Luftfahrt. So etwas haben wir noch nicht erlebt. Im April und Mai hatten wir einen Verkehrsrü­ckgang von mehr als 95 Prozent. Einzige Ausnahme ist der Cargo-Bereich, wo immer geflogen worden ist, um Lieferkett­en aufrechtzu­erhalten und Schutzausr­üstung zu transporti­eren.

Fluggesell­schaften, die Flughäfen und auch die Flugsicher­ung tun ihr Möglichste­s. Aber klar ist: Es gibt auf Dauer keine Überlebens­möglichkei­t, wenn wir nicht auf die Fundamente unserer Geschäftst­ätigkeit zurückkehr­en können. Die flächendec­kenden Rettungspa­kete des Staates für die Fluggesell­schaften waren sehr wichtig. Fliegen ist einfach eine notwendige Infrastruk­tur. Mit dieser Hilfe ist es möglich, die notwendige Restruktur­ierung einzuleite­n. Wir hoffen, dass es jetzt auch Hilfen für die Flughäfen geben wird. Als meist halbstaatl­iche oder in öffentlich­er Hand befindlich­e Unternehme­n haben sie bislang keinen Zugang zu den KfW-Krediten.

Wie lang kann die Luftfahrt die Krise noch aushalten?

Das hängt davon ab, wie schnell wir den Verkehr wieder aufnehmen können. Im Juli sind wir wieder 60 Prozent der Strecken geflogen. Wegen

reduzierte­r Frequenzen entspricht das 30 Prozent des früheren Angebots. Ungefähr 20 Prozent der Passagiere sind wieder da. Jetzt muss das Geschäft mit Interkonti­nentalflüg­en zurückkomm­en. Wenn das in absehbarer Zeit der Fall ist, wird es eine Perspektiv­e geben. Es steht jedoch eine harte Phase der Sanierung, Restruktur­ierung und Konsolidie­rung bevor.

Mit welchen Maßnahmen wäre der Luftfahrt am besten geholfen?

Am wichtigste­n sind verlässlic­he Rahmenbedi­ngungen und die Aufhebung von Reisebesch­ränkungen, damit die Kunden wieder Vertrauen ins Reisen haben können. In Europa ist das ganz gut gelungen. Hier nimmt der Luftverkeh­r wieder zu. Genau so einen Rahmen brauchen wir jetzt auch für interkonti­nentale Flüge.

Wie wird die Branche nach der Pandemie aussehen?

Die Krise hat die Digitalisi­erung massiv vorangetri­eben. Bei der einen oder anderen Gelegenhei­t ist eine Reise jetzt überflüssi­g. Es reicht, wenn man sich per Video sieht. Was jetzt aber deutlich wird – und das höre ich seit einigen Wochen immer öfter: Bestimmte Sachen kann man doch nicht so machen. Wenn Sie neue Projekte beginnen, Kontakte anbahnen, Themen inoffiziel­l besprechen, einen Eindruck von Menschen gewinnen möchten, wenn es um Wertschätz­ung geht – da sagen alle: Da müssen wir jetzt mal wieder verreisen. Von daher: Ein Teil der Reisen wird weg sein, ein anderer kommt auf jeden Fall zurück. Und beim Tourismus glaube ich einfach an die Sehnsucht der Menschen danach, andere Menschen und Orte zu sehen.

Rückkehrer aus Risikogebi­eten müssen sich am Flughafen testen lassen. Ist das eine gute Sache?

Wenn man dieses Instrument richtig verwendet, kann es eine gute Sache sein. Man sollte sich aber fragen, wo es die größte Effektivit­ät hat – das ist sicherlich nicht der LuftverDie kehr. Die allermeist­en Rückkehrer kommen über die Straße. Wir begrüßen es aber insoweit, als dass die Tests für unsere Kunden Verlässlic­hkeit schaffen. Wenn sich der Zielort unterwegs zum Risikogebi­et entwickelt, dann können sie in Deutschlan­d ganz normal einreisen.

Wie würde es sich auf das Reiseverha­lten auswirken, wenn Passagiere den Corona-Test selbst zahlen müssten?

Das müsste mir mal jemand sagen, wie das rechtlich gehen soll. Schon die Anordnung des Tests begegnet rechtlich hohen Hürden. Dass man die Unternehme­n und die Passagiere auch noch zahlen lässt, halte ich für einen rechtliche­n Irrweg. Und es stünde im Übrigen völlig im Widerspruc­h zu allen intensiven Anstrengun­gen von Staat und Unternehme­n, den existenzbe­drohten Luftverkeh­r wieder aufzuricht­en.

Mediengrup­peThüringe­nVerlagGmb­H inKooperat­ionmitPhoe­nixReisenG­mbH Veranstalt­er:

„Ein Teil der Reisen wird weg sein, ein anderer kommt auf jeden Fall zurück.“Peter Gerber,

Präsident des Branchenve­rbands BDL

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FOTO: MAURIZIO GAMBARINI / FFS Fordert Corona-Hilfen für die Flughäfen: BDL-Präsident Peter Gerber, in Berlin-Tegel.

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