Thüringische Landeszeitung (Jena)
Laschets Neustart im „Dschungel“
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident besucht Lager in Griechenland. Kann der Regierungschef in seinem Kampf um die Spitzenkandidatur wieder Tritt fassen?
Armin Laschet hat sich bestmöglich getarnt, als er am Dienstagmorgen das berüchtigte Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos betritt. Wenn der nordrhein-westfälische Ministerpräsident schon als erster deutscher Spitzenpolitiker das Elendsviertel in Augenschein nehmen wolle, solle er sich informell kleiden, hatten ihm die örtlichen Behörden geraten. Laschet trägt also ein Polohemd zur Sommerhose und ist mit seinen nur 1,72 Meter Körpergröße in einer Menschentraube leicht zu übersehen.
Doch unter den Flüchtlingen hat sich das Gerücht verbreitet der „Prime Minister of Germany“sei da. Schnell sammeln sich Dutzende Bewohner, umringen Laschets Delegation, skandieren „Free Moria!“. Es wird wild gestikuliert und an Zäunen gerüttelt. Polizisten mit schwerer Aufrüstung beziehen Position. Die Sicherheitsbeamten drängen zum Aufbruch. Laschets Gespräch mit Vertretern von Ärzte ohne Grenzen muss ins deutlich ruhigere Flüchtlingslager Kara Tepe wenige Kilometer weiter verlegt werden.
„Die ganze Europäische Union muss jetzt wach werden.“
Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen
Moria ist der Hinterhof Europas. Rund um ein ursprünglich für 3000 Bewohner ausgelegtes ContainerDorf auf einem ehemaligen Militärgelände harren 14.000 Flüchtlinge in Zelten und Holzverschlägen aus. Die Griechen nennen das Gelände „Dschungel“. Laschet weiß, dass er hier keine unbeschwerten Sommerbilder bekommt. „Ich habe erwartet, dass man an diesem Ort den Schrecken sieht, der in Europa Realität ist“, sagt er. Die Tumulte seien ein „Aufschrei der Verzweifelten“. Man dürfe die griechische Regierung auch in Corona-Zeiten nicht mit dem Flüchtlingsproblem alleinlassen. „Die ganze Europäische Union muss jetzt wach werden“, fordert Laschet. Später entwindet er sich seinen Protokollbeamten und fährt auf eigene Fast noch einmal zurück nach Moria. Laschet watet dort durch die Tristesse aus Dreck und zerstobenen Hoffnungen.
Warum macht er das in einer Phase, in der die CDU einen neuen Vorsitzenden sucht und die Union einen künftigen Kanzlerkandidaten? Mit allerlei Ungeschicklichkeiten
und Kommunikationspannen hatte sich der 59-jährige Laschet in fünf Monaten Corona-Krise schwer geschadet. Obwohl NRW besser durch die Pandemie gekommen ist als andere Bundesländer, wurde der Regierungschef als fahrig und wenig führungsstark wahrgenommen. Miserable Umfragewerte und ein vielstimmiger Abgesang auf seine Ambitionen auf Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur waren die Folge.
Als überzeugter Europäer ist Laschet hier ganz bei sich
In Griechenland scheint Laschet nun wieder zu sich selbst finden zu wollen – raus aus dem unausgesprochenen Fernduell mit Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder in der K-Frage, weg von der Dauerdebatte über Corona-Infektionszahlen und Lockerungsschritte. Als überzeugter Europäer aus dem Aachener Dreiländereck ist der ehemalige EU-Abgeordnete Laschet hier ganz bei sich. Als letzter Verteidiger der humanitären Merkel’schen Flüchtlingspolitik musste er sich – anders als Söder – seit 2015 nie korrigieren.
Die griechische Regierung empfängt Laschet mit großem protokollarischen Besteck. Premier Mitsotakis nimmt sich für ihn fast drei Stunden Zeit – inklusive eines Vieraugengesprächs
auf der Dachterrasse des Hotels Grande Bretagne mit Blick auf die Akropolis. Mit Blaulichteskorte wird Laschet durch die sengende Hitze chauffiert. Man ist in Athen dankbar, dass sich wenigstens ein deutscher Spitzenpolitiker noch für das Flüchtlingselend interessiert.
„Meine Botschaft ist: Die Flüchtlinge betreten griechischen Boden, sie betreten aber auch europäischen Boden. Deshalb lässt sich diese Krise nur gemeinsam europäisch lösen“, sagt Laschet. Wenn in Griechenland die EU-Außengrenze geschützt und humanitäre Hilfe gesichert werde, „dann ist auch für Europa Ordnung hergestellt“.Obwohl Laschet weiß, dass in seiner Partei die meisten gerade froh sind, dass dieses Elend heute weit weg wirkt, will er den Blick dafür wieder schärfen. Laschet betont, dass er seine Initiative als Teil der deutschen EU-Ratspräsidentschaft sieht und „im Vorfeld“mit der Kanzlerin und Innenminister Horst Seehofer (CSU) über seine Reise gesprochen habe.
Laschet hat während seines Urlaubs am Bodensee wahrgenommen, wie er als politischer Leichtfuß beschrieben wurde, während CSU-Kollege Söder zum Erbfolger der Kanzlerin im Spiegelsaal von Herrenchiemsee aufstieg. Wenn ihn so etwas ärgern sollte, lässt er es sich nicht anmerken. Laschet wirkt in Griechenland fatalistisch-fröhlich und entschlossen, bis zum CDUBundesparteitag im Dezember durchzuziehen. Allen Spekulationen über einen Rollentausch mit seinem Tandempartner Jens Spahn zum Trotz. Laschet scheint dem fast 20 Jahre jüngeren Bundesgesundheitsminister zu vertrauen, dass der ihn weiter als sein Vizekandidat unterstützen wird. Die Griechenland-Reise soll wohl noch mal die komplette Angebotspalette zeigen: Laschet ist der, der mal als Mann für Merkels „Weiter so“galt.