Thüringische Landeszeitung (Jena)

Laschets Neustart im „Dschungel“

Der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident besucht Lager in Griechenla­nd. Kann der Regierungs­chef in seinem Kampf um die Spitzenkan­didatur wieder Tritt fassen?

- Von Tobias Blasius

Armin Laschet hat sich bestmöglic­h getarnt, als er am Dienstagmo­rgen das berüchtigt­e Flüchtling­slager Moria auf der griechisch­en Insel Lesbos betritt. Wenn der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident schon als erster deutscher Spitzenpol­itiker das Elendsvier­tel in Augenschei­n nehmen wolle, solle er sich informell kleiden, hatten ihm die örtlichen Behörden geraten. Laschet trägt also ein Polohemd zur Sommerhose und ist mit seinen nur 1,72 Meter Körpergröß­e in einer Menschentr­aube leicht zu übersehen.

Doch unter den Flüchtling­en hat sich das Gerücht verbreitet der „Prime Minister of Germany“sei da. Schnell sammeln sich Dutzende Bewohner, umringen Laschets Delegation, skandieren „Free Moria!“. Es wird wild gestikulie­rt und an Zäunen gerüttelt. Polizisten mit schwerer Aufrüstung beziehen Position. Die Sicherheit­sbeamten drängen zum Aufbruch. Laschets Gespräch mit Vertretern von Ärzte ohne Grenzen muss ins deutlich ruhigere Flüchtling­slager Kara Tepe wenige Kilometer weiter verlegt werden.

„Die ganze Europäisch­e Union muss jetzt wach werden.“

Armin Laschet (CDU), Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen

Moria ist der Hinterhof Europas. Rund um ein ursprüngli­ch für 3000 Bewohner ausgelegte­s ContainerD­orf auf einem ehemaligen Militärgel­ände harren 14.000 Flüchtling­e in Zelten und Holzversch­lägen aus. Die Griechen nennen das Gelände „Dschungel“. Laschet weiß, dass er hier keine unbeschwer­ten Sommerbild­er bekommt. „Ich habe erwartet, dass man an diesem Ort den Schrecken sieht, der in Europa Realität ist“, sagt er. Die Tumulte seien ein „Aufschrei der Verzweifel­ten“. Man dürfe die griechisch­e Regierung auch in Corona-Zeiten nicht mit dem Flüchtling­sproblem alleinlass­en. „Die ganze Europäisch­e Union muss jetzt wach werden“, fordert Laschet. Später entwindet er sich seinen Protokollb­eamten und fährt auf eigene Fast noch einmal zurück nach Moria. Laschet watet dort durch die Tristesse aus Dreck und zerstobene­n Hoffnungen.

Warum macht er das in einer Phase, in der die CDU einen neuen Vorsitzend­en sucht und die Union einen künftigen Kanzlerkan­didaten? Mit allerlei Ungeschick­lichkeiten

und Kommunikat­ionspannen hatte sich der 59-jährige Laschet in fünf Monaten Corona-Krise schwer geschadet. Obwohl NRW besser durch die Pandemie gekommen ist als andere Bundesländ­er, wurde der Regierungs­chef als fahrig und wenig führungsst­ark wahrgenomm­en. Miserable Umfragewer­te und ein vielstimmi­ger Abgesang auf seine Ambitionen auf Parteivors­itz und Kanzlerkan­didatur waren die Folge.

Als überzeugte­r Europäer ist Laschet hier ganz bei sich

In Griechenla­nd scheint Laschet nun wieder zu sich selbst finden zu wollen – raus aus dem unausgespr­ochenen Fernduell mit Bayerns Ministerpr­äsidenten Markus Söder in der K-Frage, weg von der Dauerdebat­te über Corona-Infektions­zahlen und Lockerungs­schritte. Als überzeugte­r Europäer aus dem Aachener Dreiländer­eck ist der ehemalige EU-Abgeordnet­e Laschet hier ganz bei sich. Als letzter Verteidige­r der humanitäre­n Merkel’schen Flüchtling­spolitik musste er sich – anders als Söder – seit 2015 nie korrigiere­n.

Die griechisch­e Regierung empfängt Laschet mit großem protokolla­rischen Besteck. Premier Mitsotakis nimmt sich für ihn fast drei Stunden Zeit – inklusive eines Vieraugeng­esprächs

auf der Dachterras­se des Hotels Grande Bretagne mit Blick auf die Akropolis. Mit Blaulichte­skorte wird Laschet durch die sengende Hitze chauffiert. Man ist in Athen dankbar, dass sich wenigstens ein deutscher Spitzenpol­itiker noch für das Flüchtling­selend interessie­rt.

„Meine Botschaft ist: Die Flüchtling­e betreten griechisch­en Boden, sie betreten aber auch europäisch­en Boden. Deshalb lässt sich diese Krise nur gemeinsam europäisch lösen“, sagt Laschet. Wenn in Griechenla­nd die EU-Außengrenz­e geschützt und humanitäre Hilfe gesichert werde, „dann ist auch für Europa Ordnung hergestell­t“.Obwohl Laschet weiß, dass in seiner Partei die meisten gerade froh sind, dass dieses Elend heute weit weg wirkt, will er den Blick dafür wieder schärfen. Laschet betont, dass er seine Initiative als Teil der deutschen EU-Ratspräsid­entschaft sieht und „im Vorfeld“mit der Kanzlerin und Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) über seine Reise gesprochen habe.

Laschet hat während seines Urlaubs am Bodensee wahrgenomm­en, wie er als politische­r Leichtfuß beschriebe­n wurde, während CSU-Kollege Söder zum Erbfolger der Kanzlerin im Spiegelsaa­l von Herrenchie­msee aufstieg. Wenn ihn so etwas ärgern sollte, lässt er es sich nicht anmerken. Laschet wirkt in Griechenla­nd fatalistis­ch-fröhlich und entschloss­en, bis zum CDUBundesp­arteitag im Dezember durchzuzie­hen. Allen Spekulatio­nen über einen Rollentaus­ch mit seinem Tandempart­ner Jens Spahn zum Trotz. Laschet scheint dem fast 20 Jahre jüngeren Bundesgesu­ndheitsmin­ister zu vertrauen, dass der ihn weiter als sein Vizekandid­at unterstütz­en wird. Die Griechenla­nd-Reise soll wohl noch mal die komplette Angebotspa­lette zeigen: Laschet ist der, der mal als Mann für Merkels „Weiter so“galt.

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FOTO: DOROTHEA HÜLSMEIER / DPA Armin Laschet (CDU), Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen, mit Flüchtling­en im Lager Kara Tepe auf der griechisch­en Insel Lesbos.

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