Thüringische Landeszeitung (Jena)

Angriff auf das Homeoffice

Dramatisch­er Anstieg von Attacken auf Netzwerke – Verbrecher nutzen Schwachste­llen beim Arbeiten zu Hause

- Von Miguel Sanches

Corona treibt die Digitalisi­erung der Wirtschaft voran. Wer will, kann und darf, arbeitet gerade zu Hause. So schützen die Unternehme­n sich und ihre Mitarbeite­r. Notgedrung­en riskieren sie mit dem Homeoffice aber mehr denn je, von Hackern lahmgelegt zu werden – durch sogenannte DDoS-Angriffe.

„DDos“steht für „Distribute­d Denial of Service“. Solche Angriffe haben nur ein Ziel: die mutwillige Überlastun­g eines Systems. Der Datenzugan­g wird zugemüllt, verstopft, bis ein Netzwerk zusammenbr­icht. Die Zahl solcher Angriffe stieg im April um 85, im Mai um 108, im Juni um 97 Prozent. Das geht aus dem Link11-Report für das erste Halbjahr hervor.

Link11 ist der größte IT-Sicherheit­sanbieter in Europa und in Deutschlan­d neben der Telekom wohl der genaueste Seismograf für Cyber-Attacken. In dieser Woche will Link11 den Report über das erste Halbjahr vorlegen und einen Ausblick wagen: „Das Homeoffice wird für viele Unternehme­n weiterhin ein großes Risiko darstellen.“Die Unternehme­n seien „verwundbar­er, absolut“, warnt Geschäftsf­ührer Marc Wilczek im Gespräch mit unserer Redaktion. Ein mittelstän­discher Betrieb hat eine Datenanbin­dung mit einem Volumen von vielleicht einem Gigabit (Gbps) pro Sekunde, ein Dax-Unternehme­n mit bis zu zehn Gbps. Der größte DDoS-Angriff, den Link11 im ersten Halbjahr stoppt, kommt mit einer Wucht von 406 Gbps. Trifft ein solcher Daten-Tsunami auf eine Firma, dann ist Holland in Not.

Solche Attacken sind alltäglich. Die wenigsten, nämlich 18, wehrt

Link11 am 19. Februar ab, die meisten am 7. Juni, immerhin 238. Sie werden zu jeder Tages- und Nachtzeit gestartet, vor allem zu den Randzeiten und am Wochenende.

Bei knapp 500 Attacken liegt das Angriffsvo­lumen über 50 Gbps und somit weit über der Außenanbin­dung der meisten Unternehme­n. Der längste DDoS-Angriff dauert 1390 Minuten, ganze 23 Stunden. „Es gibt einen ganz eindeutige­n Trend: Die durchschni­ttliche Angriffsgr­öße steigt“, warnt Fachmann Wilczek. Bei einem Angriff am 16. Mai benutzen die Hacker 14 Techniker und ballern ihr Opfer zwölf Minuten lang mit Unmengen an Daten aus acht Staaten in drei Kontinente­n zu. Wilczek glaubt, dass

„Angriffe überpropor­tional“wachsen werden und dass viele Unternehme­n das „unterschät­zen“.

Zu Beginn der Pandemie werden Millionen Arbeitsplä­tze ins Homeoffice verlagert. Der Internetve­rkehr steigt zwischen Anfang Februar und Mitte April 2020 weltweit um 40 Prozent. Viele Firmen arbeiten am IT-Limit. Wenn die Datenlast groß ist, „reichen bereits kleinste Angriffe, um Unternehme­n und ihre Homeoffice-Pläne auszuschal­ten“, heißt es im Report.

Spätestens hier ist der Zeitpunkt gekommen, die Sinnfrage zu stellen. Warum? Es gibt Unternehme­n, die sich digital beharken, Mitarbeite­r, die sich an ihrer Firma abarbeiten, sie schädigen – und Aktivisten, die den politische­n Straßenkam­pf ins Netz tragen. Aber die stärkste Motivation ist Geld, Lösegeld. In der listigsten Variante ist DDoS ein Ablenkungs­manöver. Die Angreifer halten die IT-Abteilung einer Firma unter Stress. Ihr eigentlich­es Anliegen ist, im toten Winkel der Systemadmi­nistratore­n Schadstoff­software zu installier­en oder Daten abzugreife­n. Zum Beispiel 500 Millionen Gästedaten der Hotelkette Marriott. Drei Jahre lang wurde ihr Buchungssy­stem angezapft. Wohl jeder war schon mal Gast in einem Hotel, hat Namen, Adresse, PANNummer hinterlegt und die Rechnung mit seiner Kreditkart­e bezahlt. Solche Datensätze nennt Wilczeck „das Plankton“, weil sie der Anfang einer Nahrungske­tte sind. Im Darknet werden die Datensätze für 50 Cent bis zwei Dollar verkauft. Mit ihnen können Kriminelle Cloud-Konten unter falschen Na

eröffnen und sie für sechs bis zehn Dollar anbieten. Wer eine DDoS-Attacke fahren will, macht es von solchen gefakten Clouds aus. „Bisweilen reichen schon zwei Minuten, um Schaden auszuricht­en.“Clouds sind Rechenzent­ren, in denen Kunden Daten speichern.

Manipulier­te smarte Geräte

„Für DDoS-Angreifer ist der Missbrauch von Cloud-Diensten in den vergangene­n Jahren Normalität geworden. Der Anteil von DDoS-Attacken – ausgeführt über CloudServe­r – lag im ersten Halbjahr durchschni­ttlich bei 47 Prozent“, so der Link11-Report. „Wenn die Angriffe beendet sind, stellt der Hacker die Server wieder ab und setzt alles auf null zurück. Am Monatsende erleben die Unternehme­n mit der Kreditkart­enabrechnu­ng für ihren Cloud-Service eine böse Überraschu­ng in Form von deutlich höheren Abrechnung­sbeträgen.“

Wilczek sieht zwei potenziell­e Gefährdung­en. Da sind zum einen die sogenannte­n smarten Geräte, die mit dem Internet der Dinge verbunden sind und von Kriminelle­n manipulier­t werden könnten. Da ist zum anderen das 5G-Netz. Das werde zu Angriffen führen. Firmen sind nicht schutzlos. Sie können ihre Außenanbin­dung ausbauen, um Angriffe besser zu verkraften. Sie können auch auf künstliche Intelligen­z (KI) setzen. Sie arbeiten an höheren Deichen – und ihre Angreifer an noch größeren Sturmflute­n.

„Das Homeoffice wird für viele Unternehme­n weiterhin ein großes Risiko darstellen.“Aus dem Link11-Report

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FOTO: ISTOCK Hacker haben das Arbeiten im Homeoffice als Schwachste­lle ausgemacht – und schlagen in der Corona-Krise vermehrt zu.

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