Thüringische Landeszeitung (Jena)
Jetzt grinst die Kunst schon wieder
Die Schau „Eisenach Paintings One“im Thüringer Museum ist Doping fürs Zeitgenössische
Epo, also Erythropoietin, gegen Blutarmut entwickelt, machte bekanntlich als Dopingmittel etwa im Radsport zweifelhafte Karriere. Inzwischen aber, so konnte man jüngst lesen, plant das Max-PlanckInstitut in Göttingen eine klinische Studie zur Epo-Behandlung bei Covid-19-Patienten. Es gibt wohl erste Hinweise auf eine Wirksamkeit.
Ganz ähnlich, ließe sich sagen, setzt aktuell „Epo“in der Kunst auf eine Dreifachwirkung für die Präsenz des Zeitgenössischen: „Eisenach Paintings One“nämlich richtet sich im Marstall des Stadtschlosses gegen entsprechende Blutarmut, sorgt gewissermaßen fürs Doping und reagiert akut auf Corona.
Binnen zwei Wochen konnte das Kulturamt diese Kunstausstellung aus dem Boden stampfen: auf Wunsch und Geheiß „von Frau Oberbürgermeisterin“, wie man hört, unterstützt vom Förderverein „Freunde des Thüringer Museums Eisenach“sowie abgestimmt mit dem Kunstverein Eisenach, dem einige der Aussteller angehören. Vierzehn der 21 angeschriebenen Künstler sagten umgehend zu.
Allzu oft verschwindet die Gegenwart hinter dem großen Kulturerbe
„Es ist zu lange zu wenig passiert“, sagt Kulturamtschef Achim Heidenreich und will den Satz nicht weiter kommentieren. Dieser mag einen Befund aus dem Kunstverein bestätigen, dass generell die Gegenwart hinterm Kulturerbe (Wartburg, Luther, Bach) zu oft verschwindet. Er mag sich aber wohl auch auf ein kulturell besonders ereignisloses Corona-Frühjahr beziehen.
Das war für einige ziemlich deprimierend. Dieter Horn zum Beispiel, selbst mit Fotogramme auf Cyanotypie-Papier und Leinen vertreten, die in der Corona-Isolation entstanden, fühlt sich regelrecht ertappt: wenn er auf „Der Absturz“blickt.
Dieses eher abstrahierende AcrylDyptychon der Malerin und Galeristin Lydia Schindler zur IkarusLegende mag den tiefen Fall zeigen, den jüngst Einzelne ebenso erlebten wie die Gesellschaft insgesamt. Dabei entstand es schon 2011.
Deutlich konkreter ist ein Gemälde von derselben Hand, mit anderer Handschrift: Schindlers bläulich-violetter Frauenakt, den sie 2018 „Leb wohl“nannte und der hier „Reset.Neustart“heißt. Wohl nach einer Liebesnacht verschwindet der Schatten eines Mannes im Spiegel (oder hinterm Fenster).
Wieder allein. Ganz auf sich gestellt. Ein Sinnbild gewiss auch für Lähmung und Sinnkrise, selbst wenn das nicht intendiert sein mag.
Aber jetzt grinst die Kunst schon wieder etwas: so wie der comic-hafte poppige „Fisch Mo“mit Zahnspange, der sich von einer Zahnbürste am Angelhaken ködern lässt.
Der Besucher als eigener Kurator in der „hierarchielosen Ausstellung“Dieses Bild von Jo Fingerhut steht kaum von ungefähr am Beginn eines undefinierten Rundgangs, dessen Route sich ansonsten jeder selbst erstellt: gerne auch „im Zickzack oder in Achten“, so Heidenreich. Diese „hierarchielose Ausstellung“wurde nicht kuratiert. Jeder Künstler wählte Bilder aus, über die Hängung entschied das Los.
Da gibt es die gestandenen freiberuflichen Maler und Grafiker, wie zum Beispiel Christian Butter, der etwa mit einem Stillleben aus den Achtzigern und Federzeichnungen aus der Toskana der Neunziger vertreten sind. Andere waren oder sind im Hauptberuf Kunsterzieher: so wie Volker R. Hedwig, früher Chef der heute auf Eis liegenden Eisenacher Zeichenschule. Eines seiner Grafit-Aquarell-Bilder, auf denen sich Gesichter in Baumstämmen abzeichnen, lässt erklärtermaßen den verlorenen Flügel des Ikarus „zeitlos in den Zweigen“schweben.
An jener Zeichenschule tat Johann
Bärenklau, 20, erste Schritte. Heute ist der neo-expressionistische „Jungstar“Kunststudent in Dresden und zeigt hier, in Leuchtkästen, Siebdrucke auf Bütten. Jo Fingerhut, der hier auch die „Punkikonin“zeigt, ist von Hause aus Schlagzeuger, malt erst seit 2014 und stellte 2019 erstmals aus: in Creuzburg, wo sein Freund Tobias Künzel („Die Prinzen“) laudatierte.
Katrin Becker steuert Stadtansichten als Aquarelle bei, Karin Weinrich abstrakte Sand- und Steinbilder. Und der Metallbildhauer Peter Schäfer stellt verspielte Skulpturen in die Ausstellung.
Es fehlen zur Gesamtschau Eisenacher Kunst wichtige Positionen: Sabine und Friedrich Rittweger, Elke Albrecht, Marion Schmidt-Werthern oder Jürgen Sieker. Sie stellen gerade andernorts aus und sollen zu Hause später nachgereicht werden.
Bis Mitte September im Thüringer Museum Eisenach. Am 23. August spielt dort das Arditti-Quartett (London).