Thüringische Landeszeitung (Jena)

Jetzt grinst die Kunst schon wieder

Die Schau „Eisenach Paintings One“im Thüringer Museum ist Doping fürs Zeitgenöss­ische

- Von Michael Helbing

Epo, also Erythropoi­etin, gegen Blutarmut entwickelt, machte bekanntlic­h als Dopingmitt­el etwa im Radsport zweifelhaf­te Karriere. Inzwischen aber, so konnte man jüngst lesen, plant das Max-PlanckInst­itut in Göttingen eine klinische Studie zur Epo-Behandlung bei Covid-19-Patienten. Es gibt wohl erste Hinweise auf eine Wirksamkei­t.

Ganz ähnlich, ließe sich sagen, setzt aktuell „Epo“in der Kunst auf eine Dreifachwi­rkung für die Präsenz des Zeitgenöss­ischen: „Eisenach Paintings One“nämlich richtet sich im Marstall des Stadtschlo­sses gegen entspreche­nde Blutarmut, sorgt gewisserma­ßen fürs Doping und reagiert akut auf Corona.

Binnen zwei Wochen konnte das Kulturamt diese Kunstausst­ellung aus dem Boden stampfen: auf Wunsch und Geheiß „von Frau Oberbürger­meisterin“, wie man hört, unterstütz­t vom Fördervere­in „Freunde des Thüringer Museums Eisenach“sowie abgestimmt mit dem Kunstverei­n Eisenach, dem einige der Aussteller angehören. Vierzehn der 21 angeschrie­benen Künstler sagten umgehend zu.

Allzu oft verschwind­et die Gegenwart hinter dem großen Kulturerbe

„Es ist zu lange zu wenig passiert“, sagt Kulturamts­chef Achim Heidenreic­h und will den Satz nicht weiter kommentier­en. Dieser mag einen Befund aus dem Kunstverei­n bestätigen, dass generell die Gegenwart hinterm Kulturerbe (Wartburg, Luther, Bach) zu oft verschwind­et. Er mag sich aber wohl auch auf ein kulturell besonders ereignislo­ses Corona-Frühjahr beziehen.

Das war für einige ziemlich deprimiere­nd. Dieter Horn zum Beispiel, selbst mit Fotogramme auf Cyanotypie-Papier und Leinen vertreten, die in der Corona-Isolation entstanden, fühlt sich regelrecht ertappt: wenn er auf „Der Absturz“blickt.

Dieses eher abstrahier­ende AcrylDypty­chon der Malerin und Galeristin Lydia Schindler zur IkarusLege­nde mag den tiefen Fall zeigen, den jüngst Einzelne ebenso erlebten wie die Gesellscha­ft insgesamt. Dabei entstand es schon 2011.

Deutlich konkreter ist ein Gemälde von derselben Hand, mit anderer Handschrif­t: Schindlers bläulich-violetter Frauenakt, den sie 2018 „Leb wohl“nannte und der hier „Reset.Neustart“heißt. Wohl nach einer Liebesnach­t verschwind­et der Schatten eines Mannes im Spiegel (oder hinterm Fenster).

Wieder allein. Ganz auf sich gestellt. Ein Sinnbild gewiss auch für Lähmung und Sinnkrise, selbst wenn das nicht intendiert sein mag.

Aber jetzt grinst die Kunst schon wieder etwas: so wie der comic-hafte poppige „Fisch Mo“mit Zahnspange, der sich von einer Zahnbürste am Angelhaken ködern lässt.

Der Besucher als eigener Kurator in der „hierarchie­losen Ausstellun­g“Dieses Bild von Jo Fingerhut steht kaum von ungefähr am Beginn eines undefinier­ten Rundgangs, dessen Route sich ansonsten jeder selbst erstellt: gerne auch „im Zickzack oder in Achten“, so Heidenreic­h. Diese „hierarchie­lose Ausstellun­g“wurde nicht kuratiert. Jeder Künstler wählte Bilder aus, über die Hängung entschied das Los.

Da gibt es die gestandene­n freiberufl­ichen Maler und Grafiker, wie zum Beispiel Christian Butter, der etwa mit einem Stillleben aus den Achtzigern und Federzeich­nungen aus der Toskana der Neunziger vertreten sind. Andere waren oder sind im Hauptberuf Kunsterzie­her: so wie Volker R. Hedwig, früher Chef der heute auf Eis liegenden Eisenacher Zeichensch­ule. Eines seiner Grafit-Aquarell-Bilder, auf denen sich Gesichter in Baumstämme­n abzeichnen, lässt erklärterm­aßen den verlorenen Flügel des Ikarus „zeitlos in den Zweigen“schweben.

An jener Zeichensch­ule tat Johann

Bärenklau, 20, erste Schritte. Heute ist der neo-expression­istische „Jungstar“Kunststude­nt in Dresden und zeigt hier, in Leuchtkäst­en, Siebdrucke auf Bütten. Jo Fingerhut, der hier auch die „Punkikonin“zeigt, ist von Hause aus Schlagzeug­er, malt erst seit 2014 und stellte 2019 erstmals aus: in Creuzburg, wo sein Freund Tobias Künzel („Die Prinzen“) laudatiert­e.

Katrin Becker steuert Stadtansic­hten als Aquarelle bei, Karin Weinrich abstrakte Sand- und Steinbilde­r. Und der Metallbild­hauer Peter Schäfer stellt verspielte Skulpturen in die Ausstellun­g.

Es fehlen zur Gesamtscha­u Eisenacher Kunst wichtige Positionen: Sabine und Friedrich Rittweger, Elke Albrecht, Marion Schmidt-Werthern oder Jürgen Sieker. Sie stellen gerade andernorts aus und sollen zu Hause später nachgereic­ht werden.

Bis Mitte September im Thüringer Museum Eisenach. Am 23. August spielt dort das Arditti-Quartett (London).

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FOTO: JO FINGERHUT „Der Fisch Mo“von Schlagzeug­er und Maler Jo Fingerhut eröffnet die „Eisenach Paintings One“.
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FOTO: LYDIA SCHINDLER Lydia Schindlers Akt „Leb wohl“, der im Marstall als „Reset.Neustart“hängt.

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