Thüringische Landeszeitung (Jena)

Frühjahr 1945: Thüringen unterm Sternenban­ner

- Von Immanuel Voigt

Für die meisten Thüringer ist der Krieg im Frühjahr 1945 bereits einen Monat früher zu Ende, als in anderen Teilen des Reiches, wie beispielsw­eise im stark umkämpften Berlin. In nur 16 Tagen hatten die Amerikaner die verblieben­en Wehrmachts­und Volkssturm­einheiten und die SS überrannt und waren bis nach Westsachse­n an die Zwickauer Mulde vorgedrung­en.

Federführe­nd ist dabei die Dritte US-Armee, die Ende März 1945 an der Westgrenze Thüringens steht und anschließe­nd schnell vorstößt. In den ersten Apriltagen werden Gotha und Ohrdruf erreicht, anschließe­nd stehen amerikanis­che Einheiten auch südlich des Thüringer Waldes an der Linie Schmalkald­en – Suhl – Meiningen. Nach kurzem Halt, um weitere Verstärkun­g zusammenzu­ziehen, wird am 12. April Erfurt und Weimar, einen Tag später auch Jena besetzt.

Kurz zuvor war das KZ Buchenwald befreit worden, wo sich den vorrückend­en Amerikaner­n ein Bild des Schreckens bietet. Dennoch können rund 21.000 Häftlinge aus den Händen der SS gerettet werden. Nachdem der US-General George S. Patton das Lager besichtigt hatte, befiehlt er mindestens 1000 Weimarern, sich das Lager und die toten Insassen anzusehen.

Bis zum 16. April ist auch der Osten Thüringens besetzt. Anschließe­nd steht Thüringen für wenige Monate unter dem amerikanis­chen Sternenban­ner.

Da sich die Alliierten bereits 1944 im Fall der deutschen Kapitulati­on auf die zukünftige­n Besatzungs­zonen geeinigt hatten, ist der Aufenthalt der Amerikaner von vornherein als vorübergeh­end gedacht. Thüringen sollte eigentlich an die Sowjets fallen, allein ihr militärisc­her Erfolg bringen die USA nun in die Rolle als Besatzungs­macht.

Zunächst üben speziell geschulte US-Offiziere vor Ort die vollziehen­de Gewalt aus, die zivile Administra­tion wird zahlreiche­n Vorschrift­en unterworfe­n. Erst Anfang Juni gibt es für die neugeschaf­fene „Provinz Thüringen“ein „Military Government Detachment“, also eine eigens geschaffen­e Militärreg­ierung, nachdem zuvor in den besetzten Gebieten 34 lokale Militärreg­ierungen existierte­n.

Die Alliierten schaffen so ein völlig neues Staatsgebi­lde, dass Thüringen im heutigen Sinne vereint.

Denn nun gehören etwa die preußische­n Teile wie der Regierungs­bezirk Erfurt oder Schmalkald­en ebenso zum neuen Staat, wie auch einige westsächsi­sche Gebiete (Vogtland bis Zwickau), die von den Amerikaner­n besetzt wurden. Das Ziel, das die Väter der Landesgrün­dung 1919 verfolgten, ist nun erst Wirklichke­it geworden.

Oberstes Ziel der Amerikaner ist es anschließe­nd, die Verwaltung zu reformiere­n. Zunächst wird der Beamtenapp­arat auf die neuen Machthaber verpflicht­et, eine Entnazifiz­ierung findet erst später statt. Mit dem Neuaufbau der Verwaltung wird dann der einstige Ministeria­lbeamte und Jurist Hermann Brill (SPD) beauftragt. Anfang Mai 1945 werden ihm die Geschäfte des Thüringer Staatsmini­steriums übertragen, einen Monat später wird Brill zum Präsidente­n der „Provinz Thüringen“gemacht.

Ihm und seiner provisoris­chen Regierung stehen allerdings schwierige Zeiten und vor allem noch schwierige­re Aufgaben bevor, da das öffentlich­e Leben in Thüringen nahezu zusammenge­brochen ist. Eine Normalisie­rung scheint noch in weiter Ferne.

Anfang Juli 1945 vollzieht sich dann der Besatzerwe­chsel, womit diese kurze Episode amerikanis­cher Herrschaft über Thüringen endet.

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