Thüringische Landeszeitung (Jena)
„Carlotta oder Die Lösung aller Probleme“von Klaus Jäger
Er trat vom Fenster zurück und suchte sich einen Platz zum Lesen. Das war nicht ganz einfach, er hatte die Wohnung möbliert angemietet und sie entsprach so gar nicht seinem Geschmack. Eine große Eckcouch aus weinrotem Leder dominierte das Wohnzimmer. Gegenüber ein Fernseher, den er nicht brauchte, aber doch nutzte, daneben eine Essecke mit einem hässlichen dunklen Glastisch und vier Freischwingern aus Chrom und schwarzem Kunstleder, Fischgrätenparkett auf dem Fußboden, wenig Regalfläche. Ein kleiner runder Sessel stand in einer Nische am Fenster. Dort hatte er es gestern versucht, aber der Sessel war einfach unbequem. Heute setzte er sich auf das Sofa. Er wusste, er würde auf dem Lederzeug auf Dauer nicht angenehm sitzen, er hatte das schon mal in Restaurants bemerkt, irgendwann klebte die Hose am Bein, als würde man schwitzen. Ich sollte mir eine Wolldecke kaufen, dachte Stadler, und angelte sich das Buch mit dem grünen Leineneinband vom Tisch, in dem Paolo Tozzi seine Memoiren hinterlassen hat, und in dem er regelmäßig blätterte, so wie andere in ihrer Bibel.
An der Stelle, an der er letztens mit dem Lesen aufgehört hatte, befand sich Tozzi ähnlich wie Stadler in einer Umbruchphase. Gleichwohl war Tozzi zu diesem Zeitpunkt ein junger Mann. Geboren am Ende des Ersten Weltkrieges war er zu Beginn des Zweiten Weltkrieges genau im wehrfähigen Alter. Stadler war gespannt. Er rückte sich zurecht und las.