Thüringische Landeszeitung (Jena)

Ein vernichten­der Bogen aus Licht

- Von Anette Elsner

Schwarz wie die Nacht ist das Wasser. Die Menschen trinken es dennoch, es gibt nichts anderes und die Luft ist heiß und trocken wie während eines Feuers. Schwarze Schatten fallen auf die Straßen. Die Schatten bewegen sich nicht. Sie sind Menschen, verschmelz­en mit dem Asphalt, in der Sekunde, als ein Bogen aus Licht aufblitzt.

Wer noch lebt, liegt schwer verletzt in Trümmern, verwirrt, vor Schmerzen schreiend oder bewusstlos oder auf der Flucht, will nur noch weg aus Hiroshima, weg von der Katastroph­e, die die Menschen nicht einordnen können. Splitterbo­mben, die kennen sie, die verwüsten auf andere Art im Zweiten Weltkrieg. Was radioaktiv­e Strahlung anrichtet, erfahren Menschen zum ersten Mal am 6. August

1945 um 8.16 Uhr, als US-Streitkräf­te die erste Atombombe zünden. Sie trifft Hiroshima, tötet zwischen

90.000 und 200.000 Menschen sofort und verwüstet 80 Prozent der Stadt.

Durch die Trümmer irren der

17-Jährige Ichiro und Hiro, sein Freund . Hiro wird nicht überleben. Ichiro verspricht, dessen fünfjährig­e

Schwester Keiko zu beschützen und nie zu verlassen. Er kann das Verspreche­n nicht halten, die Schuld verfolgt ihn lebenslang und zieht sich als Leitmotiv durch Kerry Drewerys eindrucksv­olles Buch. Sie verknüpft das Grauen des Atombomben­abwurfes, dem am 9. August ein weiterer auf Nagasaki folgen sollte, mit einer Geschichte um Liebe und Freundscha­ft.

Ichiro blickt 2018 zurück, erzählt seiner Enkelin Mizuki von dem Tag, an dem er Schuld auf sich lud, während er seinen 999. Kranich faltet – aus einem Buch seines Vaters, das ausgerechn­et Keiko für ihn rettete.

Dem Prosa-Kapitel über den 6. August 1945 stellt die Autorin Mizukis Gedanken und Beobachtun­gen gegenüber – in freien Versen. Durch die Augen der Enkelin gewinnt der Ichiro der Gegenwart Kontur. Nach der Legende hat er beim 1000. Kranich einen Wunsch frei, der sich dank Mizuki erfüllt und ihm das Schuldgefü­hlt nimmt.

Ein Haiku begleitet jedes Kapitel, ein japanische­s Kurzgedich­t, mit einem Pinselstri­ch umrahmt von Natsko Seki. Ihre feinen Illustrati­onen sind beklemmend, in Rot, Grau, Schwarz, den Farben der Katastroph­e. 75 Jahre sind seit dieser vergangen: Drewerys Roman ist gut gegen das Vergessen.

Kerry Drewery (Text)/Natsko Seki (Illu.)/ Meritxell Janina Piel (Übers.): Der letzte Papierkran­ich – Eine Geschichte aus Hiroshima. Arctis, 304 Seiten, 19 Euro, ab 14

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