Thüringische Landeszeitung (Jena)
Fatale Radikalisierung
Das gestrige Geständnis von Stephan E. ist plausibel, nachvollziehbar und deckungsgleich mit den Ermittlungen, ein Markstein bei der Aufklärung des Mordfalls Walter Lübcke, des ersten politischen Attentats in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten.
Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln, die Darstellung des Tatablaufs passt, und nur von E. wurden DNA-Spuren an den Kleidern des getöteten früheren Kasseler Regierungspräsidenten gefunden.
Erschreckend ist, dass die letzte, im Ergebnis fatale Radikalisierung nicht im rechtsextremistischen Milieu, sondern in einem bürgerlichen Umfeld stattfand: bei der Arbeit, im Schützenverein, im Freundeskreis.
Das wirft die Frage auf, ob der Verfassungsschutz Extremisten überhaupt als wieder „abgekühlt“abstufen kann. Eigentlich kann man keinen Verdachtsfall wieder vom Radar verschwinden lassen.
Stephan E.s Position hat zwei Schwachpunkte: seine Glaubwürdigkeit und seine psychische Labilität. Ein Mann, der insgesamt drei Aussagen gemacht hat – jede etwas anderes –, macht sich angreifbar.
E. gab sich reumütig und entschuldigte sich bei der Familie des Opfers. Das kann sogar ehrlich gemeint sein. Aber es trägt den Makel der Unglaubwürdigkeit. Was kann man E. abnehmen? Die Strategie seiner Verteidigung ist klar: Sie zielt auf mildernde Umstände für einen Mann ab, der psychisch krank und in Behandlung und sowohl Täter als auch Opfer war. Opfer seines gewalttätigen Vaters.
E. hat einen langen Weg zurückgelegt, vom Ausländerfreund zum Fremdenhasser, vom grün-affinen Umweltfreund zum Rechtsextremisten, von den Neonazis ins bürgerliche Milieu. Von diesem Fall darf man zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu viel politisch ableiten, nur so viel vielleicht: Aus Worten werden Taten, aus Gewaltfantasien wird tödlicher Ernst.