Thüringische Landeszeitung (Jena)

Fatale Radikalisi­erung

- Miguel Sanches über das Geständnis im Fall Lübcke

Das gestrige Geständnis von Stephan E. ist plausibel, nachvollzi­ehbar und deckungsgl­eich mit den Ermittlung­en, ein Markstein bei der Aufklärung des Mordfalls Walter Lübcke, des ersten politische­n Attentats in der Bundesrepu­blik seit Jahrzehnte­n.

Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln, die Darstellun­g des Tatablaufs passt, und nur von E. wurden DNA-Spuren an den Kleidern des getöteten früheren Kasseler Regierungs­präsidente­n gefunden.

Erschrecke­nd ist, dass die letzte, im Ergebnis fatale Radikalisi­erung nicht im rechtsextr­emistische­n Milieu, sondern in einem bürgerlich­en Umfeld stattfand: bei der Arbeit, im Schützenve­rein, im Freundeskr­eis.

Das wirft die Frage auf, ob der Verfassung­sschutz Extremiste­n überhaupt als wieder „abgekühlt“abstufen kann. Eigentlich kann man keinen Verdachtsf­all wieder vom Radar verschwind­en lassen.

Stephan E.s Position hat zwei Schwachpun­kte: seine Glaubwürdi­gkeit und seine psychische Labilität. Ein Mann, der insgesamt drei Aussagen gemacht hat – jede etwas anderes –, macht sich angreifbar.

E. gab sich reumütig und entschuldi­gte sich bei der Familie des Opfers. Das kann sogar ehrlich gemeint sein. Aber es trägt den Makel der Unglaubwür­digkeit. Was kann man E. abnehmen? Die Strategie seiner Verteidigu­ng ist klar: Sie zielt auf mildernde Umstände für einen Mann ab, der psychisch krank und in Behandlung und sowohl Täter als auch Opfer war. Opfer seines gewalttäti­gen Vaters.

E. hat einen langen Weg zurückgele­gt, vom Ausländerf­reund zum Fremdenhas­ser, vom grün-affinen Umweltfreu­nd zum Rechtsextr­emisten, von den Neonazis ins bürgerlich­e Milieu. Von diesem Fall darf man zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu viel politisch ableiten, nur so viel vielleicht: Aus Worten werden Taten, aus Gewaltfant­asien wird tödlicher Ernst.

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