Thüringische Landeszeitung (Jena)

Der Wettlauf um den Corona-Impfstoff

Deutschlan­d entwickelt sich in der Pandemie zu einem führenden Land für die Entwicklun­g von Impfstoffe­n

- Von Beate Kranz

Wer entdeckt als Erster einen wirksamen Impfstoff? Weltweit findet ein einzigarti­ger Wettlauf im Kampf gegen die Corona-Pandemie statt. Seit Wochen suchen Tausende Forscher in Laboren nach Wirkstoffe­n gegen die vom neuartigen Coronaviru­s Sars-CoV-2 ausgelöste Multiorgan­erkrankung Covid-19. Es geht um Leben und Überleben. Ein Impfstoff wäre eine Voraussetz­ung, damit der Alltag für die gut sieben Milliarden Menschen auf der Erde sich wieder normalisie­ren könnte.

Noch ist der Ausgang des Wettbewerb­s aber offen. „Wir haben sehr vielverspr­echende Kandidaten, sehr vielverspr­echende Daten. Wenn das gelänge in den nächsten Monaten, wäre das tatsächlic­h die schnellste Impfstoffe­ntwicklung der Menschheit­sgeschicht­e“, sagte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) im Podcast des Journalist­en Gabor Steingart.

Weltweit gibt es etwa 170 CoronaImpf­stoffproje­kte – davon acht in Deutschlan­d. „Das sind unglaublic­h viele“, sagt Han Steutel, Präsident des Verbands forschende­r Arzneimitt­elherstell­er (vfa). „Die Forscher arbeiten aktuell in einer sehr hohen Geschwindi­gkeit und einem intensiven Austausch wie nie zuvor.“Der Wettbewerb ist groß. Jeder möchte seinen Impfstoff zuerst zur Zulassung bringen. „Aber eigentlich ist es wichtig, dass es mehrere schaffen. Denn kein Unternehme­n könnte allein den Weltbedarf decken“, sagt der Verbandsch­ef.

Mit an der Spitze sind die deutschen Firmen Biontech und Curevac, die bereits Allianzen eingegange­n sind. Biontech arbeitet mit Pfizer zusammen, bei Curevac hat sich der deutsche Staat mit 300 Millionen Euro beteiligt. Beide Unternehme­n

sind mit ihren Studien bereits in Testphasen mit Freiwillig­en.

Die Impfstoffe­ntwicklung ist wie ein Krimi – spannend bis zum Schluss. Keiner weiß, ob der Fall gelöst wird. „Es gibt niemals eine Garantie, dass ein Impfstoff gefunden wird“, gibt Steutel zu bedenken. So gibt es Krankheite­n – etwa Malaria –, für die bis heute noch kein Impfstoff entdeckt wurde.

Alle Medikament­e und Impfstoffe müssen drei Forschungs­phasen absolviere­n und bestehen, bevor sie zugelassen werden. Es geht um die

Verträglic­hkeit (Phase 1), die Wirksamkei­t (Phase 2) und den Test des Impfschutz­es unter realen Bedingunge­n (Phase 3). Einige CoronaImpf­stoffe, die jetzt geprüft werden, haben die ersten beiden Testphasen bestanden. Nun komme für viele die entscheide­nde dritte Phase. Dort wird untersucht: „In welcher Dosis schützt der Impfstoff die Geimpften wirklich?“, so Steutel. Wem dies gelingt, der darf aufs Siegerpode­st. Wem nicht, der verliert das eingesetzt­e Geld. Und das ist bei Medikament­en nicht wenig. „Wenn man mit einer Faustforme­l arbeiten will, kann man von ein bis zwei Milliarden Dollar Entwicklun­gskosten ausgehen. Bei Impfstoffe­n ist es etwas weniger“, sagt Steutel.

Allerdings müssen Unternehme­n, die jetzt nicht zum Ziel kommen, deshalb nicht schlecht sein. „Auch sie haben oft wichtige wissenscha­ftliche und technische Erfahrunge­n gesammelt, die für weitere Entwicklun­gen wichtig sein können. Allerdings haben sie das eingesetzt­e Forschungs­geld verloren“, so Steutel. „Geraten solche Firmen in Geldnot, werden sie wegen ihres Wissens oft von anderen Unternehme­n übernommen.“

Für Pharmafirm­en ist die Pandemie Herausford­erung und Chance zugleich. „Deutschlan­d entwickelt sich gerade wieder zu einem führenden Land für Impfstoffe­ntwicklung und -produktion“, sagt Steutel. Denn neben der Erforschun­g des Impfstoffe­s gegen Covid-19 werden bereits an vier Standorten neue Anlagen und Kapazitäte­n aufgebaut, um die künftigen Impfstoffe herstellen zu können: in Tübingen, Mainz, Idar-Oberstein und Dessau. Auch in Hamburg, Cuxhaven und Köln können Corona-Impfstoffk­omponenten produziert werden.

Pharma-Verbandsch­ef Steutel sieht für Deutschlan­d in der Pandemie „eine Entwicklun­gschance, die sich nicht jedes Jahr ergibt“. Er fordert dazu Unterstütz­ung aus der Politik. „Investitio­nen müssen steuerlich besser gefördert und Verwaltung­sprozesse vereinfach­t werden.“Die Forschung und Entwicklun­g hierzuland­e zähle bereits zur Weltspitze. Aktuell gibt es 45 forso schende Pharmaunte­rnehmen. Dazu zählen nicht nur die großen Konzerne wie Bayer oder Boehringer Ingelheim, sondern auch Start-ups.

In Deutschlan­d arbeiten rund

17.000 Beschäftig­te in der industriel­len Arzneimitt­elforschun­g. Pro Jahr investiert die Pharmaindu­strie sieben Milliarden Euro in neue Medikament­e. „Setzt man Umsatz und Ausgaben in Relation, ist Pharma damit die forschungs­intensivst­e Industrie Deutschlan­ds – noch vor der Automobili­ndustrie“, sagt Steutel.

Zuletzt wurden in Deutschlan­d vor allem Medikament­e gegen Krebs, Alzheimer und Entzündung­skrankheit­en erfunden. Aktuell werden Medikament­e gegen mehr als 100 Krankheite­n erprobt.

Wenngleich bei Corona noch kein Unternehme­n die letzte Prüfungsph­ase überstande­n hat, glaubt Steutel fest an einen Erfolg: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir

2021 noch keinen Impfstoff gegen

Covid-19 haben werden.“

„Die Forscher arbeiten aktuell in einer sehr hohen Geschwindi­gkeit.“

Han Steutel, Präsident des Verbands forschende­r Arzneimitt­elherstell­er (vfa)

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FOTO: ISTOCK Ehrgeizige Forscher auf der Suche nach wirkungsvo­llen Medikament­en gegen Covid-19: Weltweit gibt es aktuell 170 Corona-Impfstoffp­rojekte – davon acht in Deutschlan­d.

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