Thüringische Landeszeitung (Jena)
Schulstart – was Eltern wissen müssen
In sechs Bundesländern beginnt die Schule. Es ist ein Feldversuch mit Millionen Schülern, Eltern und Lehrern
Torben Krauß hat im Frühjahr Abitur gemacht. Der Sprecher der Bundesschülerkonferenz weiß deshalb noch genau, wie sich das anfühlt: Schule unter Corona-Bedingungen. Prüfungen unter Viruslast. Mitschüler mit Maske. „Auch das neue Schuljahr wird definitiv kein normales Schuljahr werden“, sagt Krauß. Das sehen inzwischen alle so – Schüler, Eltern, Lehrer, Bildungspolitiker. Das Problem: Niemand weiß, was genau passieren wird. Werden die Schulen wieder reihenweise schließen müssen, werden Eltern sich wieder als Hauslehrer betätigen – oder geht es diesmal gut? In vielen Bundesländern beginnt in diesen Tagen die Schule wieder, jedes Land hat seine eigenen Regeln aufgestellt. Was Eltern jetzt in ganz Deutschland wissen müssen:
Ohne Maske geht gar nichts
Jeder Schüler muss für den Alltag genügend Masken im Schrank haben. Es ist egal, ob das Stoffmasken oder Einmalmasken sind – sie müssen bloß funktionieren, also sauber und trocken sein. Denn: In den meisten Schulen gilt vom neuen Schuljahr an eine Maskenpflicht in den Fluren und den Treppenhäusern. In der Regel dürfen die Schüler die Masken absetzen, sobald sie im Klassenzimmer angekommen sind. Doch es gibt Ausnahmen: In Nordrhein-Westfalen müssen ältere Schüler die Masken auch während des Unterrichts tragen. In Bayern soll die Maskenpflicht im Unterricht kommen, sobald die Infektionszahlen in die Höhe gehen. Gut möglich, dass andere Länder im Ernstfall nachziehen. Denn: In einer am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina heißt es: Schulschließungen müssten möglichst verhindert werden. In dem Papier, an dem unter anderem der Charité-Virologe Christian Drosten und der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, mitgearbeitet haben, wird empfohlen, ab der fünften Klasse auch im Unterricht Maske zu tragen, wenn nicht ausreichend Abstand möglich ist. Experten fürchten allerdings, dass die Leistungen dauermaskierter Schüler schlechter werden. Stichwort Sauerstoffversorgung, Stichwort Blickfeld, Stichwort Kommunikation. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinderärzte, warnt: „Ein längeres Maskentragen beeinträchtigt bei Schülern die Leistungsfähigkeit.“
Experiment im Klassenzimmer
Eine der wichtigsten Fragen in der Corona-Krise ist nach wie vor offen: Welche Rolle spielen Kinder bei der Übertragung des Virus? Was man bisher sieht, ist: Kinder und Jugendliche erkranken seltener schwer an Covid-19. Unklar ist, wie leicht sie sich infizieren und wie leicht sie dann andere anstecken. Die Forschungslage ist nicht eindeutig, viele Studien entstanden zudem unter Lockdown-Bedingungen – und sind deswegen nur bedingt aussagekräftig. Untersuchungen aus BadenWürttemberg und Sachsen legen immerhin den Schluss nahe, dass Schulen keine Treiber des Infektionsgeschehens sind. Familienministerin Franziska Giffey (SPD) hatte vor den Ferien eine Langzeitstudie in Auftrag gegeben, um die Auswirkungen
der Kita-Öffnungen zu untersuchen. Die Studie wird vom Robert-Koch-Institut und vom Deutschen Jugendinstitut erstellt – erste Ergebnisse sollen am Montag vorgestellt werden.
Drei Szenarien für den Ernstfall
In den meisten Bundesländern können sich Lehrer mit Beginn des neuen Schuljahrs regelmäßig kostenlos testen lassen – für Schüler gilt das grundsätzlich nur dann, wenn ein konkreter Verdacht vorliegt. Kommt es zu einem Corona-Fall in einer Klasse, muss nicht zwangsläufig die ganze Schule geschlossen werden. RKI-Chef Wieler hat die Schulen aufgefordert, „epidemiologische Einheiten“zu bilden. Also eine Art Laborsituation zu schaffen: Strikt getrennte Schülergruppen, die sich im Schulalltag nicht begegnen dürfen. Die Idee klingt schlau – doch vor Ort wissen alle, dass so was in der Regel nur in der Theorie klappt: Spätestens im Schulbus hocken alle wieder auf wenigen Quadratmeter zusammen. Stefanie Hubig klingt besorgt: „In den vergangenen Tagen ist ein Anstieg der Neuinfektionen in Deutschland zu verzeichnen“, sagte die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz (KMK) am Mittwoch. Die Länder planten deswegen mit mehreren Szenarien. Szenario 1: Regelbetrieb mit Hygienemaßnahmen. Szenario 2: Wechsel von Fern- und Präsenzunterricht. Szenario 3: lokale oder regionale Schulschließungen. Welche Folgen das hätte, zeigen die Ergebnisse zweier aktueller Studien: Der Medienkonsum stieg im ersten Lockdown dramatisch an. Die Zeit, in der sich Kinder täglich mit Schulstoff beschäftigten, hat sich einer Ifo-Umfrage zufolge während der coronabedingten Schulschließungen in etwa halbiert. Statt 7,4 Stunden waren es auf dem Höhepunkt der Krise nur noch 3,6 Stunden. Zwar haben alle Schulen mittlerweile begriffen, wie wichtig digitale
Unterrichtsmöglichkeiten sind – doch zwischen Wollen und Können klafft vielerorts auch im neuen Schuljahr noch eine Lücke. Ob die kleiner wird? Eine neue KfW-Studie warnt bereits: Die Krise könnte den Investitionsrückstand an den Schulen durch wegbrechende Einnahmen vieler Kommunen verschärfen.
Unterrichtsausfall und Notenbonus Bildungsgewerkschaften schätzen, dass bis zu 20 Prozent der Lehrkräfte zur Risikogruppe gehören und möglicherweise nicht wie sonst im Klassenraum unterrichten können. Sicher ist: Die Corona-Lücken vergrößern vielerorts den bestehenden Lehrermangel. Der Unterrichtsausfall dürfte sich also auch ohne längeren Lockdown noch vergrößern. Schülervertreter Krauß wünscht sich auch deswegen Ausnahmeregeln für die Ausnahmelage: „Sollte es zu Unterrichtsausfall kommen, wäre es eine mögliche Lösung, den betroffenen Schülern einen Nachteilsausgleich zu geben. Es ist oft nicht möglich, kurzfristig die Prüfungsaufgaben zu ändern. Lehrer sollten aber in solchen Fällen mehr Freiraum beim Korrigieren haben.“
„Sollte es zu Unterrichtsausfall kommen, wäre es eine Lösung, den betroffenen Schülern einen Nachteilsausgleich zu geben.“Torben Krauß, Sprecher der Bundesschülerkonferenz