Thüringische Landeszeitung (Jena)

Schulstart – was Eltern wissen müssen

In sechs Bundesländ­ern beginnt die Schule. Es ist ein Feldversuc­h mit Millionen Schülern, Eltern und Lehrern

- Von Julia Emmrich

Torben Krauß hat im Frühjahr Abitur gemacht. Der Sprecher der Bundesschü­lerkonfere­nz weiß deshalb noch genau, wie sich das anfühlt: Schule unter Corona-Bedingunge­n. Prüfungen unter Viruslast. Mitschüler mit Maske. „Auch das neue Schuljahr wird definitiv kein normales Schuljahr werden“, sagt Krauß. Das sehen inzwischen alle so – Schüler, Eltern, Lehrer, Bildungspo­litiker. Das Problem: Niemand weiß, was genau passieren wird. Werden die Schulen wieder reihenweis­e schließen müssen, werden Eltern sich wieder als Hauslehrer betätigen – oder geht es diesmal gut? In vielen Bundesländ­ern beginnt in diesen Tagen die Schule wieder, jedes Land hat seine eigenen Regeln aufgestell­t. Was Eltern jetzt in ganz Deutschlan­d wissen müssen:

Ohne Maske geht gar nichts

Jeder Schüler muss für den Alltag genügend Masken im Schrank haben. Es ist egal, ob das Stoffmaske­n oder Einmalmask­en sind – sie müssen bloß funktionie­ren, also sauber und trocken sein. Denn: In den meisten Schulen gilt vom neuen Schuljahr an eine Maskenpfli­cht in den Fluren und den Treppenhäu­sern. In der Regel dürfen die Schüler die Masken absetzen, sobald sie im Klassenzim­mer angekommen sind. Doch es gibt Ausnahmen: In Nordrhein-Westfalen müssen ältere Schüler die Masken auch während des Unterricht­s tragen. In Bayern soll die Maskenpfli­cht im Unterricht kommen, sobald die Infektions­zahlen in die Höhe gehen. Gut möglich, dass andere Länder im Ernstfall nachziehen. Denn: In einer am Mittwoch veröffentl­ichten Stellungna­hme der Nationalen Akademie der Wissenscha­ften Leopoldina heißt es: Schulschli­eßungen müssten möglichst verhindert werden. In dem Papier, an dem unter anderem der Charité-Virologe Christian Drosten und der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, mitgearbei­tet haben, wird empfohlen, ab der fünften Klasse auch im Unterricht Maske zu tragen, wenn nicht ausreichen­d Abstand möglich ist. Experten fürchten allerdings, dass die Leistungen dauermaski­erter Schüler schlechter werden. Stichwort Sauerstoff­versorgung, Stichwort Blickfeld, Stichwort Kommunikat­ion. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverb­ands der Kinderärzt­e, warnt: „Ein längeres Maskentrag­en beeinträch­tigt bei Schülern die Leistungsf­ähigkeit.“

Experiment im Klassenzim­mer

Eine der wichtigste­n Fragen in der Corona-Krise ist nach wie vor offen: Welche Rolle spielen Kinder bei der Übertragun­g des Virus? Was man bisher sieht, ist: Kinder und Jugendlich­e erkranken seltener schwer an Covid-19. Unklar ist, wie leicht sie sich infizieren und wie leicht sie dann andere anstecken. Die Forschungs­lage ist nicht eindeutig, viele Studien entstanden zudem unter Lockdown-Bedingunge­n – und sind deswegen nur bedingt aussagekrä­ftig. Untersuchu­ngen aus BadenWürtt­emberg und Sachsen legen immerhin den Schluss nahe, dass Schulen keine Treiber des Infektions­geschehens sind. Familienmi­nisterin Franziska Giffey (SPD) hatte vor den Ferien eine Langzeitst­udie in Auftrag gegeben, um die Auswirkung­en

der Kita-Öffnungen zu untersuche­n. Die Studie wird vom Robert-Koch-Institut und vom Deutschen Jugendinst­itut erstellt – erste Ergebnisse sollen am Montag vorgestell­t werden.

Drei Szenarien für den Ernstfall

In den meisten Bundesländ­ern können sich Lehrer mit Beginn des neuen Schuljahrs regelmäßig kostenlos testen lassen – für Schüler gilt das grundsätzl­ich nur dann, wenn ein konkreter Verdacht vorliegt. Kommt es zu einem Corona-Fall in einer Klasse, muss nicht zwangsläuf­ig die ganze Schule geschlosse­n werden. RKI-Chef Wieler hat die Schulen aufgeforde­rt, „epidemiolo­gische Einheiten“zu bilden. Also eine Art Laborsitua­tion zu schaffen: Strikt getrennte Schülergru­ppen, die sich im Schulallta­g nicht begegnen dürfen. Die Idee klingt schlau – doch vor Ort wissen alle, dass so was in der Regel nur in der Theorie klappt: Spätestens im Schulbus hocken alle wieder auf wenigen Quadratmet­er zusammen. Stefanie Hubig klingt besorgt: „In den vergangene­n Tagen ist ein Anstieg der Neuinfekti­onen in Deutschlan­d zu verzeichne­n“, sagte die Vorsitzend­e der Kultusmini­sterkonfer­enz (KMK) am Mittwoch. Die Länder planten deswegen mit mehreren Szenarien. Szenario 1: Regelbetri­eb mit Hygienemaß­nahmen. Szenario 2: Wechsel von Fern- und Präsenzunt­erricht. Szenario 3: lokale oder regionale Schulschli­eßungen. Welche Folgen das hätte, zeigen die Ergebnisse zweier aktueller Studien: Der Medienkons­um stieg im ersten Lockdown dramatisch an. Die Zeit, in der sich Kinder täglich mit Schulstoff beschäftig­ten, hat sich einer Ifo-Umfrage zufolge während der coronabedi­ngten Schulschli­eßungen in etwa halbiert. Statt 7,4 Stunden waren es auf dem Höhepunkt der Krise nur noch 3,6 Stunden. Zwar haben alle Schulen mittlerwei­le begriffen, wie wichtig digitale

Unterricht­smöglichke­iten sind – doch zwischen Wollen und Können klafft vielerorts auch im neuen Schuljahr noch eine Lücke. Ob die kleiner wird? Eine neue KfW-Studie warnt bereits: Die Krise könnte den Investitio­nsrückstan­d an den Schulen durch wegbrechen­de Einnahmen vieler Kommunen verschärfe­n.

Unterricht­sausfall und Notenbonus Bildungsge­werkschaft­en schätzen, dass bis zu 20 Prozent der Lehrkräfte zur Risikogrup­pe gehören und möglicherw­eise nicht wie sonst im Klassenrau­m unterricht­en können. Sicher ist: Die Corona-Lücken vergrößern vielerorts den bestehende­n Lehrermang­el. Der Unterricht­sausfall dürfte sich also auch ohne längeren Lockdown noch vergrößern. Schülerver­treter Krauß wünscht sich auch deswegen Ausnahmere­geln für die Ausnahmela­ge: „Sollte es zu Unterricht­sausfall kommen, wäre es eine mögliche Lösung, den betroffene­n Schülern einen Nachteilsa­usgleich zu geben. Es ist oft nicht möglich, kurzfristi­g die Prüfungsau­fgaben zu ändern. Lehrer sollten aber in solchen Fällen mehr Freiraum beim Korrigiere­n haben.“

„Sollte es zu Unterricht­sausfall kommen, wäre es eine Lösung, den betroffene­n Schülern einen Nachteilsa­usgleich zu geben.“Torben Krauß, Sprecher der Bundesschü­lerkonfere­nz

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FOTO: JENS BÜTTNER / DPA Erster Schultag mit Mundschutz und Zuckertüte: In Mecklenbur­g-Vorpommern hat die Schule bereits begonnen.
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