Thüringische Landeszeitung (Jena)
Vom Fotomodell zur Kriegsreporterin: Lee Miller in Erfurt
Zwischen Champagner und Benzin: Kunsthalle Erfurt zeigt Lee Millers Bilder. Sie war 1944/45 in Europa Kriegsreporterin der „Vogue“
Model, Muse, Kriegsberichterstatterin: Die Fotografin Lee Miller (1907 - 1977) war eine schillernde Figur und eine der wenigen Frauen, die von der US-Armee im Zweiten Weltkrieg als Militärkorrespondentin akkreditiert wurden. Sie arbeitete in Europa, dokumentierte die Befreiung von Paris, aber auch einen der ersten Einsätze von Napalm in St. Malo – und berichtete über die Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Dachau. Ihre Berichterstattung dokumentierte das Elend der Inhaftierten und das Grauen des Massenmordes. Miller war eine der Ersten, die Bilder vom zerstörten Westdeutschland publizierte und damit die Wahrnehmung unmittelbar nach der Kapitulation stark prägte. So groß ihr Mitgefühl mit Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen war, so groß war ihre Verachtung für die besiegten Deutschen.
Es mag zunächst verstörend sein, sogar unpassend wirken: Leichenbilder aus Buchenwald und Dachau in einer Kunsthalle. Oder Leichen im Leipziger Rathaus: Der Vize-OB als „monströse Puppe“in Volkssturm-Uniform, seine Tochter mit Rot-Kreuz-Binde; die Nazi-Familie hatte Zyanid geschluckt.
Ist das eine Kunstausstellung? Nein! Und doch . . . Elizabeth „Lee“Miller aus New York (1907-1977) war zunächst eine Kunstfigur, als Modemodell, dann surrealistische Fotokünstlerin. Sie spielte 1930 in Paris eine Statue in Cocteaus Spielfilm „Das Blut eines Dichters“, Picasso malte sie 1937 in sechs Porträts.
Den Dreck von Dachau wusch sie sich in Hitlers Badewanne weg
Sie war zuvor auf Titelseiten der „Vogue“eine (Stil-)Ikone und schuf in Europa als Weltkriegsreporterin eben dieser Zeitschrift dann auch Ikonen fürs kollektive Gedächtnis.
Da ist etwa jene deutsche Frau im Dirndl, die im April 1945 vor dem Lagertor seitlich hinter einem schwarzen GI geht; soeben musste sie mit vielen anderen Weimarern das Grauen besichtigen, von dem man unten in der Stadt ja angeblich so gar keinen Schimmer hatte.
Da ist auch Lee Miller selbst, die sich in Hitlers Münchner Badewanne den Dreck Dachaus abwäscht, ohne den Gestank jemals wieder aus der Nase zu bekommen: aufgenommen von David Scherman („Life Magazine“), ausgerechnet an dem Tag, an dem sich „der Führer“in Berlin in den Tod wegstahl.
Anders als in Buchenwald, war sie in Dachau schon am Tag der Befreiung vor Ort und fotografierte auch Leichenberge, die aus Güterwaggons schwappten: letzte Häftlingstransporte aus Buchenwald.
Mit Buchenwald-Leichen begann am 1. Juni 1945 eine Fotoreportage Lee Millers in der „Vogue“. Die Redakteure zitierten in der Schlagzeile, was Miller zu den Bildern gekabelt hatte: „Believe it“(Glaubt es!).
Fotos bewiesen Unglaubliches. „Ich bin damit beschäftigt“, schrieb sie, als sie von März bis Mai in „Krautland“unterwegs war, Dokumente zu machen, keine Kunst.“Und doch . . .
Es gibt da gewiss eine Entwicklung, die sich in der von Kurator Daniel Blochwitz chronologisch inszenierten Erfurter Ausstellung ebenso nachvollziehen lässt wie Millers Weg durchs finale Weltkriegseuropa selbst. Es beginnt mit „The Blitz“, den Miller in London erlebte: monatelangen Luftangriffen der Deutschen auf Großbritannien 1940/41.
Und es endet, rund fünf Jahre sowie mehr als einhundert Bilder später, mit einem US-amerikanischen Kriegsgräberfeld in Rumänien.
Das beschreibt den langen Weg von der Künstlerin zur Dokumentaristin. Und doch bleibt da ein ästhetisches Bewusstsein sichtbar, der unbedingte Wille zur Bildkomposition, den Miller mit ihrer aufwendiger zu bedienenden Rolleiflex-Kamera befriedigte. Nur im Notfall, wenn es mal schnell gehen musste, griff sie auf ihre Leica zurück.
Die Ausstellung lädt ein, es zu sehen, um es zu glauben: „To believe it“, wie der Titel die „Vogue“-Schlagzeile abwandelt. Sie lädt aber eben auch zum kritischen Blick ein.
Unvoreingenommen ging Miller jedenfalls nicht ans Werk. Sie war voller Verachtung für die Deutschen. Diese waren, insistierte sie, besiegt worden, nicht befreit. „Alle benehmen sich ganz wie richtige Menschen“, schrieb sie. „Aber sie sind keine. Sie sind der Feind.“
Nur Verachtung hatte sie auch für Französinnen übrig, die sich mit Besatzern eingelassen hatten. Ihnen rasierte man im befreiten Paris die Köpfe öffentlich kahl, Miller hielt die Szenen mit der Kamera fest.
In Paris saß Miller länger fest als geplant. Sie sollte für die „Vogue“das wieder erwachende Leben fotografieren: Frauen im Café mit Einschusslöchern im Fenster, beim Friseur und bei kleinen Modeschauen.
Die Leben der Lee Miller werden demnächst mit Kate Winslet verfilmt Ein Pariser Bild im Schnee zeigt Champagnerflaschen neben Benzinkanistern: ein Sinnbild auch für Lee Millers parallele Leben als Lady und Tramp, die mit Exzentrik unzureichend beschrieben wären. Sie werden demnächst verfilmt, mit Kate Winslet in der Hauptrolle.
Miller reiste der US-Armee hinterher, eilte ihr bisweilen voraus. Sie war im Elsass, in Köln, Bonn und Aachen, sie war Zeugin des Treffens mit der Roten Armee in Torgau.
Jenseits des üblichen Konvoluts aus dem Lee-Miller-Archiv in EastSussex hat die Kunsthalle Erfurt verstärkt Thüringer Abzüge angefordert: zu Buchenwald sowieso, aber auch zum zerstörten Schillerund zum Goethehaus in Weimar, den Zeiss-Werken in Jena oder zum unterirdischen Rüstungswerk im Walpersberg bei Kahla.
Die Bilder aus Deutschland wurde Miller nie mehr los. In Kindertagen bereits sexuell missbraucht, versuchte sie später, diese in viel Alkohol zu ertränken. Vergeblich.
„Lee Miller: To Believe It“, vom 9. August bis 1. November, Kunsthalle Erfurt