Thüringische Landeszeitung (Jena)
Nur Mutige gründen in der Krise
Gewerbeanmeldungen in Thüringen scheitern an Kontaktbeschränkungen oder Personalmangel
Die Corona-Pandemie macht sich in Thüringen auch in der Zahl der Gewerbeanmeldungen bemerkbar. Die Zahlen für Mai gibt das Thüringer Landesamt für Statistik zwar erst am heutigen Freitag bekannt, doch schon im April schlug sich der Lockdown diesbezüglich nieder: Nach Angaben der Behörde, die die von den Gewerbeämtern der Landkreise und kreisfreien Städte übermittelten Daten addiert hat, sei ein deutlicher Rückgang im
Vergleich zum April 2019 zu verzeichnen gewesen.
Als mögliche Gründe für den Rückgang führen die Statistiker die im Zusammenhang mit der Pandemie verhängten Kontaktbeschränkungen, die Einstellung des Besucherverkehrs in den Verwaltungen und Personalengpässe in den Gewerbeämtern an. Von Januar bis April wurden demnach 3568 Gewerbeanmeldungen gezählt – fast 550 weniger als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Zurückgegangen sei aber auch die Zahl der Abmeldungen:
um 876 auf 3623. Das könnte neben den bereits genannten Gründen auch mit den Soforthilfemaßnahmen von Bund und Land, die so manchen Gewerbetreibenden über Wasser hielten, und der Aussetzung der Insolvenzanzeigepflicht zusammenhängen.
Rund drei Viertel aller Gewerbeanmeldungen entfielen den Angaben zufolge auf gewerbliche Neugründungen, wobei Kleinunternehmen und Nebenerwerbsbetriebe den größten Anteil (72,6 Prozent) ausmachten. Schwerpunkte sowohl bei An- als auch bei Abmeldungen waren in den ersten vier Monaten das Kfz-Gewerbe, Reisebüros und -veranstalter sowie die Gebäudebetreuung und der Garten- und Landschaftsbau. Zu denen, die sich in der Krise selbstständig machten, gehören die Brüder Collin und Vincent Höckendorf mit ihrer Weimarer Rösterei sowie Ulrike Brandt und Olaf Nocke in Erfurt: Sie eröffneten die Buchbar, einen Mix aus Buchladen und – gerade in der Pandemie eher ungewöhnlich – Reisebüro.
20 Jahre, 20 Bücher: Emsig hat der Weimarer Germanist und Theologe Felix Leibrock (60) Romane geschrieben; zumal seine Krimis machten Furore. Unterdessen arbeitete er im Hauptberuf als Pfarrer in Weimar und in Apolda oder als Kulturdirektor der Klassikstadt; seit 2012 führt er die Geschäfte des Evangelischen Bildungswerks in München und engagiert sich als Polizeiseelsorger sowie in der Obdachlosenhilfe. Diese Woche ist sein neuestes Buch „Wenn der Sommer kommt, tanzen die Träume“erschienen. Wir erreichten den „Krimi-Pfarrer“, der seinen Wohnsitz in Weimar hat, telefonisch am Arbeitsort.
Warum haben Sie nach fünf erfolgreichen Krimis dieses mörderische Handwerk abgelegt?
Die Anforderungen des Genres sind mit der Zeit immer blutrünstiger geworden, so dass ich kein „Krimi-Pfarrer“mehr sein wollte. In den Krimis, die einen Reiz im Weimarer Lokalkolorit haben mögen, habe ich bereits gesellschaftliche Themen behandelt. Jetzt schreibe ich über solche Themen auch andere Bücher. Darin stelle ich statt Tätern und Opfern lieber Helden des Alltags, die schwere Lebenskrisen überwinden, in den Mittelpunkt, versuche also, den Lesern ein wenig poetische Lebenshilfe zu leisten.
Hat eigene Anschauung Ihre literarischen Mordgelüste authentischer gemacht?
Natürlich habe ich als Polizeiseelsorger realistische Einblicke in die kriminalistische Ermittlungsarbeit bekommen. Ich halte berufsethischen Unterricht in der Ausbildung, fahre aber auch Einsätze mit und weiß also, wie hart die Wirklichkeit ist. Motive wie Rache, Neid, Eifersucht oder Gier sind uns allen ja nicht völlig fremd; trotzdem haben wir zum Glück eine Sperre im Kopf, bevor wir zu Mördern werden. Über allem steht also immer die Frage: Warum tut jemand so etwas? Aber der Antwort kann man sich höchstens annähern.
Dient ein Krimi damit als Ventil – für den Autor wie seine Leser?
Ich denke schon. Die Buchhandlungen sind ja voll von Krimis und historischen Romanen; offenbar ist der Bedarf groß. Ich selbst hatte 1999 mit einem Mordfall in Weimar zu tun, weil ich den Vorabend der Tat zufällig mit dem Täter verbracht habe und er sogar noch seine Waffensammlung
im Keller gezeigt hat. Das hat mich danach noch sehr lange beschäftigt.
Sind in Ihr Obdachlosenbuch ebenso eigene Erfahrungen geflossen?
Richtig, „Nur im Dunkeln leuchten die Sterne“schildert, wie leicht ein Mensch in die Obdachlosigkeit abrutschen kann und wie man so lebt auf der Straße. Das hat ganz und gar nichts Romantisches. Und Sie werden es nicht glauben: Ich selbst war zweieinhalb Jahre lang in München zwar nicht obdach-, aber immerhin wohnungslos.
Sie haben „auf der Platte“genächtigt?
Auch das kam mal vor. Ich habe vor acht Jahren einen guten Job, aber eben keine Bleibe gefunden in der begehrten Großstadt. Also habe ich anfangs möbliert gewohnt und häufig gewechselt, weil ich es oft mit sittenwidrigen Mietverträgen und mit Vermietern zu tun hatte, die absurde Forderungen stellten: zum Beispiel, dass ich morgens um sieben das Haus zu verlassen hätte oder nur auf Knien duschen dürfe. Zum Schluss habe ich ein halbes Jahr lang auf einer Notfallliege im Büro übernachtet; das hat keine der Kolleginnen gemerkt.
Wie gelingt’s da, ein zivilisiertes Erscheinungsbild abzugeben?
Ich habe morgens früh ein FitnessStudio aufgesucht und pro forma ein paar Hanteln bewegt, um dann zu duschen. Einmal gab es dort eine Havarie, also musste ich am Hauptbahnhof duschen. – Von den hygienischen Umständen in so einem angeblichen Wasch- und Pflegecenter hatte ich vorher keine Idee, und da wusste ich, wie sich das anfühlt: „ganz unten“. Inzwischen wohne ich sehr glücklich auf 16 Quadratmetern an Werktagen in München und deutlich komfortabler an den Wochenenden in Weimar.
Das aktuelle Buch handelt von Selma, einer jungen Frau, die erblindet...
Auch dahinter steckt eine persönliche Erfahrung. Als junger Mensch hatte ich zwei Hornhauttransplantationen, die damals noch keine Routineoperationen, sondern ziemlich riskant waren. Im Falle eines Scheiterns hätte ich mein Augenlicht verloren. Dafür, dass es nicht so gekommen ist, bin ich bis heute dankbar.
Aber Sie erzählen aus der Perspektive einer 18-Jährigen?
Selmas Sehnerv wird bei einem Unfall durchtrennt; auch dafür gibt es ein Vorbild aus meinem Umkreis. Wie junge Leute heutzutage ticken, weiß ich recht gut; ich erlebe ja die 17- bis 30-Jährigen in der Polizeiausbildung.
Aber es geht nicht ums Alter, sondern darum, wie ein Mensch eine schwere Lebenskrise bewältigt – egal, ob mit 18 oder mit 80.
Was wollten Sie mit diesen Büchern erreichen?
Ich glaube an die therapeutische Kraft des Lesens und hoffe, dass die Leser von meinen Büchern Inspirationen erhalten. Die 18-jährige Selma, die Ich-Erzählerin im neuen Buch, spricht sehr viel mit älteren Menschen – wie ich auch, und sie legt am Ende eine Liste mit Lebensregeln für Krisen an. Das heißt: Diese Regeln hat sich der Autor nicht ausgedacht, sondern selber erfahren und gesammelt. Selmas Quintessenz lautet: „Geh durch deine Schwarze Wand oder reiße sie ein.“Das hat nichts mit Wissen zu tun, sondern mit Weisheit. Sie lernt, die Dinge des Lebens aus anderer Perspektive zu betrachten, gleichsam mit einem inneren Auge.
Felix Leibrock: Wenn der Sommer kommt, tanzen die Sterne. Europa-Verlag, München, 236 S., 16 Euro; Buchpremiere: morgen, Sonnabend in Ottstedt (ausverkauft) und am Freitag,
14. August, 18 Uhr, in der Kirche Oberweimar
Lesereise mit Terminen am 18. September in Oßmaritz, 26. September in Herressen, 27. September in Oelze und am
24. Oktober in Wutha-Farnroda