Thüringische Landeszeitung (Jena)

Bußgeld-Chaos: Stürzt Scheuer?

Streit um ungültige Verschärfu­ng des Bußgeldkat­alogs kratzt zunehmend am Image des Verkehrsmi­nisters. Autofahrer­n drohen millionenf­ach Fahrverbot­e

- Von Alexander Klay

Tausende Raser haben in den vergangene­n Wochen ihre Führersche­ine zurückerha­lten. Das verdanken sie einem Formfehler, der im Haus von Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) bei der Neufassung des Bußgeldkat­alogs unterlaufe­n ist. Anfang Juli musste das Regelwerk außer Kraft gesetzt werden. Um eine Neuregelun­g tobt seither ein Streit zwischen Bund und Ländern. Auch die Kritik an Scheuer selbst wird nach der verpatzten Pkw-Maut immer lauter.

Dabei sollte mit der Ende April in Kraft getretenen Reform der Straßenver­kehrsordnu­ng (StVO) alles besser werden. Im Kern ging es um die Sicherheit der Radfahrer. Doch die Länder hängten im Bundesrat eine Verschärfu­ng des Bußgeldkat­alogs an – es sollte einen Monat Fahrverbot innerorts ab 21 und außerorts ab 26 Kilometern pro Stunde zu viel geben. Bisher lagen die Grenzen bei 31 und 41 km/h. Wegen eines fehlenden Zitats – in der Verordnung fehlte der Bezug auf das Straßenver­kehrsgeset­z – kippte die Regelung und die Behörden gaben Führersche­ine zurück.

„Wir haben jetzt einen ideologisc­hen Grabenkamp­f.“Anke Rehlinger (SPD), Saar-Verkehrsmi­nisterin und Vorsitzend­e der Verkehrsmi­nisterkonf­erenz

FDP-Abgeordnet­e um den Verkehrsex­perten Oliver Luksic haben im Bundesverk­ehrsminist­erium Zahlen zur Raserei angefragt. Die Antwort liegt unserer Redaktion vor. Bliebe es bei den neuen Regeln und änderten die Deutschen ihr Fahrverhal­ten nicht, würde es millionenf­ach Fahrverbot­e hageln.

NRW-Minister schlägt Kompromiss vor

Allein außerorts registrier­ten die Behörden 2018 und 2019 insgesamt 997.423 beziehungs­weise 930.019 Autofahrer, die 26 bis 40 Stundenkil­ometer zu viel auf dem Tacho hatten – dafür gibt es nach den neuen Regeln einen Monat Fahrverbot.

Hinzu kommen Verstöße innerorts, für die keine genauen Zahlen vorliegen. Es dürften jedoch mehrere Hunderttau­send sein. Im Bereich von 26 bis 30 km/h zu viel gab es in den beiden Jahren 151.424 beziehungs­weise 148.341 Verstöße – die neuen Regeln sehen ein Fahrverbot innerorts aber bereits ab 21 Kilometern pro Stunde zu viel vor. Die Zahl einmonatig­er Fahrverbot­e würde sich damit vervielfac­hen. 2018 und

2019 kassierte die Polizei 423.386 und 416.269 Mal Fahrerlaub­nisse für diesen Zeitraum ein. Luksic, verkehrspo­litischer Sprecher der FDP im Bundestag, nennt die neue Straßenver­kehrsordnu­ng daher „eine Führersche­infalle sonderglei­chen“. Die drohende Vervielfac­hung der Fahrverbot­e nennt er „beispiello­s und völlig unverhältn­ismäßig“.

Auf dem Tisch liegt jetzt ein Kompromiss­vorschlag von NRW-Verkehrsmi­nister Hendrik Wüst (CDU): Innerorts könne in Tempo30-Zonen vor Schulen und Kindergärt­en bei 21 km/h zu viel ein Fahrverbot verhängt werden, außerorts in Autobahnba­ustellen ab 26 Stundenkil­ometern zu viel. Zudem sollen die Bußgelder steigen.

Genauso habe es bei einer Videokonfe­renz am Mittwoch aber Fürspreche­r für die Position der Grünen gegeben, die lediglich den Formfehler korrigiere­n wollen. Scheuer wollte die Regeln ursprüngli­ch auf den alten Stand zurückdreh­en und im Gegenzug das Bußgeld leicht anheben.

Bewegung gibt es in der Sache bislang kaum. Anke Rehlinger, Verkehrsmi­nisterin im Saarland und Vorsitzend­e der Verkehrsmi­nisterkonf­erenz, äußert sich gegenüber unserer Redaktion ernüchtert: „Wir haben jetzt einen ideologisc­hen

Grabenkamp­f, der mehr mit parteipoli­tischer Inszenieru­ng zu tun hat als mit einer sachlichen Debatte.“Die SPD-Politikeri­n wirft Scheuer vor, er habe sich diese Situation „selbst eingebrock­t, indem er inhaltlich­e Änderungen vorgelegt hat, statt schlicht Rechtsunsi­cherheiten zu heilen“. Rehlinger sieht alle Seiten in der Pflicht, schnell für Klarheit und Rechtssich­erheit zu sorgen.

Trotz weit entfernter Positionen und der politische­n Sommerpaus­e – im September soll eine rechtssich­ere Lösung für die Straßenver­kehrsordnu­ng vorliegen.

Scheuer verliert Rückhalt auch in der eigenen Partei

Längst dreht sich die Diskussion auch um Minister Scheuer selbst. Der Formfehler reiht sich ein in eine Vielzahl von Missgeschi­cken. CSUChef Markus Söder sagte im ARD-„Sommerinte­rview“, Scheuer werde „zum Teil zu Recht, zum Teil auch ein bisschen überzogen immer wieder jeden Tag unter Beschuss genommen“. So dürfe das Desaster um die deutsche Pkw-Maut nicht allein Scheuer angehängt werden – dies habe die ganze Bundesregi­erung mitgetrage­n. Scheuers jüngster Vorstoß für eine europäisch­e Pkw-Maut sei jedoch unglücklic­h gelaufen. Und nun stehe er vor der schwierige­n Aufgabe, „die ärgerliche Sache mit der Straßenver­kehrsordnu­ng“wieder hinzubiege­n.

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FOTO: DANIEL KARMANN/DPA Die Zahl von Blitzsäule­n wächst – und damit die Gefahr, beim Rasen erwischt zu werden.
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FOTO: AFP Andreas Scheuer

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