Thüringische Landeszeitung (Jena)
Explodierte in Beirut ein Waffenlager?
Die Hisbollah ist heimlicher Herrscher am Hafen – und nun unter Verdacht. Laschet will Verletzte nach NRW holen
Auf ihrem letzten Foto strahlen die Feuerwehrleute in dem Minibus gut gelaunt in die Kamera. Brand im Hafengelände, das zehnköpfige Team glaubte sich am Dienstagnachmittag auf einem Routineeinsatz. Vor Ort versuchten sie zunächst, mit einer Brechstange das schwere Eisentor der Halle 12 zu öffnen, um an den Brandherd heranzukommen, dessen Rauch aus den Oberlichtern quoll. Plötzlich explodierte die Halle neben dem gigantischen Getreidesilo. Eine erste Säule aus grau-weißem Rauch schoss in den Himmel. Viele kleinere Blitze sind auf Handyvideos von Augenzeugen zu sehen. Kaum 30 Sekunden später verwandelte ein orangeroter Mammutpilz von 2750 Tonnen Ammoniumnitrat halb Beirut in ein Trümmerfeld. 137 Tote wurden bisher geborgen. Mehr als
5000 Menschen sind verletzt,
300.000 verloren ihre Wohnungen.
Der Innenminister will keine
Hilfe bei den Ermittlungen
Und so konzentriert sich die verzweifelte Wut der Libanesen jetzt vor allem auf die Frage, wer die Verantwortung für die Beiruter Jahrhundertkatastrophe trägt. Sämtliche Verantwortliche des Hafens, die sich der Gefahr in Halle 12 seit Jahren bewusst waren, wurden unter Hausarrest gestellt. Sie alle gelten als hoch korrupt. Im Zuge erster Ermittlungen wurden am Donnerstag zudem 16 Mitarbeiter des Hafens festgenommen, wie der amtierende Militärrichter Fadi Akiki laut einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur NNA mitteilte.
Heimlicher Herrscher an den Kais ist die Hisbollah. Die Schmiergelder der Importeure machten den Beiruter Hafen zu einer der lukrativsten Einnahmequellen des Landes. Der Chef der Zollbehörde, Badri Daher, reklamierte dagegen für sich in einem Fernsehinterview, zwischen 2014 und 2017 in sechs Briefen an die Justiz vor den Gefahren gewarnt und einen Export des Ammoniumnitrats, eine Übergabe an die Armee oder einen Verkauf an die private Lebanese Explosives Company vorgeschlagen zu haben, ohne dass je eine Reaktion erfolgte.
Seit Mittwoch werden die für Beirut bestimmten Schiffe zu dem wesentlich kleineren Hafen von Tripoli umgeleitet. Nach Informationen der Zeitung „L’Orient – Le Jour“hat dort unmittelbar nach dem Beiruter Unglück bereits der Streit zwischen den verschiedenen Clans begonnen, wie künftig die Schmiergelder verteilt werden sollen.
Wegen dieser allgegenwärtigen Korruption bezweifeln viele Libanesen,
dass die ganze Wahrheit über Halle 12 jemals ans Tageslicht kommt. Er habe keine Ahnung, was das erste Feuer ausgelöst habe, sagte der Generaldirektor des Hafens, Hassan Koraytem. Und fügte hinzu, es sei jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, nach Schuldigen zu suchen. „Wir leben in einer nationalen Katastrophe.“
Libanons Innenminister Mohammed Fahmi erklärte, man brauche bei den Ermittlungen keine Unterstützung internationaler Experten. Das nährt den Verdacht, dass sich in Halle 12 möglicherweise auch ein Waffenlager der Hisbollah befand, in dem die verheerende Apokalypse ihren Ausgang nahm. Die Umstände, die zur Detonation des Materials führten, seien bisher nicht klar, schrieb Human Rights Watch. Angesichts des „vielfachen Versagens der Verantwortlichen, schwere Versäumnisse der Regierung aufzuklären, und angesichts des öffentlichen Misstrauens in staatliche Stellen“forderte die Menschenrechtsorganisation eine internationale Ermittlungskommission. Dies sei „die beste Garantie, dass die Opfer der Explosion die Gerechtigkeit bekommen, die sie verdienen.“
Derweil lief eine Welle internationaler Hilfe an. Während Frankreichs
Präsident Emmanuel Macron bei einem Besuch vor Ort versuchte Trost zu spenden, landeten immer mehr Flugzeuge auf dem internationalen Flughafen von Beirut, der weitgehend unbeschädigt geblieben ist. An Bord hatten die Hilfsteams Medikamente, Zelte und Feldlazarette.
Krankenhäuser zerstört oder überlastet Von den örtlichen Krankenhäusern wurden vier völlig zerstört und zwei beschädigt. Die anderen sind auch wegen einer steigenden Zahl von Corona-Patienten total überlastet.
Um die Kliniken Beiruts zu entlasten, will die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen Verletzte nach Deutschland holen. In einem Brief an Libanons Botschafter in Deutschland, Mustapha Adib-Abdul-Wahed, der dieser Redaktion vorliegt, schrieb Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), dass das Land bereit sei, „schwerverletzte Patientinnen und Patienten aus den überfüllten Krankenhäusern in Nordrhein-Westfalen zu behandeln“. Man stehe „in dieser dramatischen Situation an der Seite des Libanons“. Nach Informationen dieser Redaktion hat Laschet dazu mit Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) telefoniert. Die Bundeswehr hat spezielle Fähigkeiten für den Lufttransport von Schwerverletzten.